# taz.de -- Opernpremiere bei Salzburger Festspielen: Fiebriger Aktionismus | |
> Bekannte Sänger, berühmtes Vorbild, eine sichere Nummer? Wie das | |
> schiefgehen kann, zeigt „Der Würgeengel“ von Thomas Adès. | |
Bild: Berührt wenig trotz superber Sänger: Szene aus „Der Würgeengel“ | |
Die Salzburger Festspiele wollten immer schon mehr sein, als ein | |
glamouröses Klassikfestival für Kulinariker. Uraufführungen haben daher | |
eine lange Tradition an der Salzach. In letzter Zeit ist der Hang zum | |
Eklektischen allerdings unübersehbar. | |
Alexander Pereira, der vorzeitig nach Mailand abgerauschte Intendant der | |
Festspiele, der die Leitung an Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf und | |
Präsidentin Helga Rabl-Stadler weiterreichte, hatte drei Uraufführungen in | |
Auftrag gegeben. „Charlotte Salomon“ von Marc-André Dalbavie ging vor zwei | |
Jahren über die Bühne – ein verträgliches, zitatseliges Werk über die | |
bekannte Malerin. „Endspiel“ nach Samuel Beckett von György Kurtag wurde | |
bis heute nicht fertig. Nun aber „The Exterminating Angel“ von Thomas Adès | |
– das Libretto von Tom Cairns bezieht sich auf das Drehbuch „El ángel | |
exterminador“ („Der Würgeengel“) von Luis Buñuel. | |
Die in kargem Schwarz-Weiß gedrehte surrealistische Parabel erzählt von | |
einer großbürgerlichen Gesellschaft, die sich nach einem Opernbesuch in | |
einer Villa zum Dinner trifft. Die Party wird zur Falle, es geschehen | |
merkwürdige Dinge: Das Personal haut ab, der verbliebene Diener lässt das | |
Ragout fallen, und die Sängerin Letitia will partout nicht singen. | |
Der Abend schleppt sich, die Gäste bleiben über Nacht, und rasch wird klar, | |
dass es aus unerfindlichen Gründen für alle unmöglich geworden ist, den | |
Raum wieder zu verlassen. Die Vorräte schwinden, die Gäste verrohen, unter | |
den feinen Manieren bricht die Barbarei durch. Nach quälenden | |
Wiederholungsschleifen löst sich irgendwann der Bann, ohne dass erklärt | |
wird, worin dieser eigentlich bestand. | |
## Gefahr der Einfühlung | |
Buñuels berühmter Film lebt von puristischer Strenge und dokumentarischer | |
Distanz, die nach Erklärungen nicht einmal sucht. Bewusst verzichtet Buñuel | |
auf Filmmusik, um der Gefahr der Einfühlung oder emotionalen Nähe zu den | |
Figuren, die er als Chiffren versteht, konsequent aus dem Weg zu gehen. | |
Genau darin liegt die Faszination des Films, sein beunruhigendes Rätsel. | |
Und genau dort setzt das fundamentale Missverständnis an, dem der | |
umtriebige und weltweit gern gespielte Komponist Thomas Adès (geboren 1971 | |
in London) auf den Leim geht. Er macht aus dem brav nacherzählten Filmstoff | |
ein überexpressives, geschäftiges, sich hysterisch spreizendes und absurd | |
aufwändiges Musiktheater, das im Orchestersatz dräut und kalt funkelt, und | |
legt darüber meist vielstimmig durcheinander singende Solisten. | |
Munter bedient Adès sich bei den Komponisten Strauß (Walzer) und Strauss | |
(Vokalsatz), Strawinsky und Britten. Mit dem Nebenpersonal außerhalb der | |
seltsamen Villa kommt die Oper auf nicht weniger als 21 Solisten. Das | |
Orchester ist traditionell üppig besetzt, eine elektronische Farbe bilden | |
im spätromantisch süffigen Orchester einzig die Ondes Martenot, | |
Tasteninstrumente aus der Pionierzeit der Elektronik. | |
In aberwitzige Höhen jenseits des dreigestrichenen c muss die Sängerin der | |
Letitia (Audrey Luna) klettern, aber auch der Rest des superben Ensembles | |
muss sich ausdauernd in extremen Lagen aufhalten und dabei noch jede Menge | |
geschwätzigen Text produzieren. Bühnenbildnerin Hildegard Bechtler hat für | |
die Bühne des „Hauses für Mozart“ ein gigantisches Tor aus Teakholz gebaut | |
und den Raum mit bequemen Sitzmöbeln und einem Flügel sparsam möbliert, | |
die Gäste tragen elegante Abendmode der 1960er Jahre. | |
## Auf Nummer sicher | |
Bei der Produktion, die gemeinsam mit der New Yorker MET, der Londoner | |
Covent Garden Oper und der Königlichen Oper Kopenhagen gestemmt wird und | |
damit zum Erfolg gleichsam verdammt ist, ging man ansonsten auf Nummer | |
sicher. Erstens, weil Eklektisches zumindest in New York und London sehr | |
beliebt ist, und zweitens, weil das Ganze von den Schöpfern selbst | |
realisiert wird, ohne Gefahr einer kritischen Befragung: Librettist Tom | |
Cairns besorgt auch die konventionelle Regie, und Komponist Thomas Adès | |
steuert im Graben selbst durch seine komplexe Partitur. | |
So bleibt der Abend trotz seines fiebrigen Aktionismus, trotz superber | |
Sänger – ein Cast wie aus dem Who’s who der bedeutenden Sänger des 20. und | |
21. Jahrhunderts – eigenartig leer und berührt wenig. Die Partitur ist | |
durchaus gekonnt gemacht, effektvoll und dicht gewoben, funktionierende | |
Gebrauchsmusik. Aber insgesamt bleibt es ein hochtourig drehendes | |
Konversationsstück mit Musik. Es rauscht gefällig vorbei – dabei könnte | |
doch der Stoff wunderbar provozieren als böser Spiegel jener | |
großbürgerlichen Opernbesucher, die sich nirgends auf der Welt noch so | |
geschlossen versammeln wie in Salzburg. | |
Das Premierenpublikum aber feiert die Aufführung einhellig. Zwar gähnen | |
ziemlich viele Lücken in den Reihen, man bevorzugt in Salzburg im | |
Operngenre eben doch Gängigeres. Bleibt nur zu hoffen, dass unter der | |
kommenden Intendanz von Markus Hinterhäuser die Avantgarde nicht nur in den | |
Konzertreihen gepflegt wird, sondern endlich wieder auf die Opernbühne | |
findet. | |
31 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Regine Müller | |
## TAGS | |
Theater | |
Salzburger Festspiele | |
Premiere | |
Oper | |
Theater | |
Performance | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Salzburger Festspiele: Katharsis im Plastikmüll | |
Von Schiffbrüchigen und Menschenopfern: Peter Sellars inszeniert Mozarts | |
frühe Oper „Idomeneo“ in Salzburg als Utopie der Versöhnung. | |
Theaterfestival Impulse in NRW: Reiskörner werden Statistiken | |
Köln, Mülheim an der Ruhr und Düsseldorf: Der Trend zur Auflösung der | |
Genre-Grenzen setzt sich auch beim „Impulse“-Festival fort. | |
Sommerfestival auf Kampnagel: Der Porno, der mein Leben rettete | |
Zukunft, Zirkus, Pornografie und Theater: Das ist alles eine Frage der | |
Erwartung. Damit spielt das Sommerfestival auf Kampnagel in Hamburg. |