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# taz.de -- Queens of Color im Schwulen Museum: Die Definition von Queen
> Die Ausstellung „Queens“ im Schwulen Museum* mit Fotos von Nihad Nino
> Pušija zeigt queere, (post)migrantische Subkulturen im Berlin der 1990er.
Bild: Nihad Nino Pušija: Queen Kenny bei den Teddy Awards 1996 im SO36
Berlin taz | Es sind super Tage, um sich noch mal vor Augen zu halten, dass
das SO36 in Kreuzberg nicht einfach eine Beschallungshalle ist. Sondern
einer der wichtigsten Orte queerer Subkulturen in Berlin – und das schon
seit Dekaden. Es sind super Tage, um daran zu denken, gerade weil es so
beschissene Tage dafür sind. Beschissen, weil man nicht weiß, ob das SO36
die Coronazeit übersteht, die eben auch eine Clubkillerzeit ist.
Aber super wäre es trotzdem, sich die Bedeutung dieses Ortes noch mal
klarzumachen – damit er sich vielleicht doch noch retten ließe, durch
Spenden und anderes Engagement, wie von den liebenswerten
Kieznachbar:innen, die SO36-Fanartikel nähen und sticken, um den
Verkaufserlös dem SO36 zu spenden. Ja, warum bedeutet der Ort Menschen so
viel?
Eben davon erzählt, neben anderem, die Ausstellung „Queens“ im Schwulen
Museum derzeit, verlängert bis Ende Oktober. Es sind
Schwarz-Weiß-Fotografien von Nihad Nino Pušija, Jahrgang 1965, der in
Sarajevo, Bosnien-Herzegowina, geboren wurde und zur Wendezeit mit einer
Gruppe Roma nach Berlin gelangte. Und wenn man eine Queen war im Berlin der
1990er und dann vielleicht noch eine Queen of Color: Dann muss das SO36 ein
besonders empowernder Schutzraum gewesen sein, bei der Party „Gayhane –
House of Halay“ mit türkisch-arabischen Klängen und auch bei den „Black G…
Nights“, die unbedingt politisch waren.
Ein SO36-Plakat dieser Zeit zeigt eine Gruppe im Club vor einer
überdimensionalen Fotografie von James Baldwin, der ja gerade in den
letzten Jahren dafür wiederentdeckt wird, dass er schon in den 1960ern den
Kampf gegen Rassismus und den Kampf gegen Queerphobie zusammen gedacht hat.
Intersektional, wie man heute sagt.
## Überlebensort Ballroom
Nihad Nino Pušijas Fotografien zeigen (Drag-)Queens, voller Grazie und
Kraft, im Blick wie in den Gesten und im Tanz. Und zugleich spürt man, dass
diese Kraft auch bitter nötig war und ist, als Überlebensstrategie inmitten
einer allzu oft feindlich gesinnten Welt. Die trotz ihres dokumentarischen
Charakters verblüffend perfekt komponierten Bilder fangen ganz wunderbare
Momente ein, wie man sie vergleichbar vielleicht zurzeit aus der queeren
Netflix-Serie „Pose“ über die Harlem Ballroom Scene kennt – die besonders
fürs Voguing bekannt ist –, wie man sie aber von Berlin kaum je sieht.
Dass Pušija da so nah rankam mit der Linse, hat wohl auch viel damit zu
tun, dass er sich diesen Szenen sehr verbunden gefühlt hat. Also kein
Voyeur von außen, auf der Jagd nach coolen „exotischen“ Motiven, sondern
einer, der verstehen will. Dazu passt auch, dass er Politikwissenschaft und
Journalismus studiert und oft als Fotojournalist an Langzeitprojekten
gearbeitet hat. Aktuell in Berlin übrigens an einem über Corona.
Eine der Lieblingsprotagonist:innen von Nihad Nino Pušija muss wohl
Queen Kenny gewesen sein. Ein Porträt zeigt sie 1996 bei den an die
Berlinale angedockten Teddy Awards, dem wichtigsten queeren Filmpreis der
Welt. Queen Kenny hat auf diesem Bild etwas von Whitney Houston, aber mit
blonder Marilyn-Monroe-Perücke. Pompöses Collier und Ohrringe, bei denen
man rätseln darf, ob sie nun sündhaft teuer oder sündhaft billig waren.
Egal! Der sinnlich mit dunklem Lippenstift forcierte Mund und das
metallisch schimmernde Kleid und die übertrieben spitzen, geradezu
drachendivenhaften Fingernägel – all das trägt zu einem Hammer-Auftritt von
Queen Kenny bei.
Wenn man nicht wüsste, dass das in Berlin war, könnte es auch fast in L.A.
sein, bei den Oscars. Und doch ist da auch eine Melancholie in den Augen
von Queen Kenny zu entdecken, eine Ernsthaftigkeit, die überrascht im
Entertainment-Kontext. Man beginnt zu rätseln, was da noch so los war,
jenseits des Gay-Glitters. Die anschließende Party wurde freilich im SO36
geschmissen.
## Die „Black Gay Nights“ im SO36
Der Wahnsinn ist auch eine Fotografie von den „Black Gay Nights“ im SO36,
wo sich ein:e Tänzer:in dermaßen in Schale geworfen hat, dass man fast die
legendäre Tänzerin Anita Berber aus den goldenen, koksenden, Aspirin
schmeißenden 1920ern zu sehen meint. Die Zeit, als auch der schwule
Schriftsteller Christopher Isherwood eigens wegen des sagenhaften queeren
Nachtlebens nach Berlin zog. Man hätte diese:r Tänzer:in jedenfalls nur
allzu gern zugehört. Was sie wohl zu singen hatte, während ihre Ketten wohl
eindrucksvoll im Takt klapperten? War es jazzy Charleston? Oder funky
House?
Die an einer langen Wand in Kapitelblöcken gehängte, inspirierende und
einfach auch zauberschöne Ausstellung nimmt einen mit zu einem Dragball im
Hotel Berlin und auch zu einer Fashion-Show im Checkpoint, der noch heute
ein Vintage-Kleidungs-Store am Mehringdamm ist. Bei allem Tüll und Lack und
Perlen und Pomp bleibt letztlich auch hängen, dass die Definition von Queen
noch größer als Queen B alias Beyoncé war und bleiben muss. Die Ausstellung
„Queens“ ist übrigens ausdrücklich zu verstehen als Teil der größer
angelegten Schau „Love At First Fight“, die sich der queeren
Emanzipationsbewegung in Deutschland widmet. Es lohnt sich sehr, diese
Kapitel aufzuschlagen. Eigentlich müsste man eine Serie darüber drehen,
und zwar eine, bei der das SO36 2021 wieder öffnen darf.
31 Jul 2020
## AUTOREN
Stefan Hochgesand
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