| # taz.de -- Kunst trotz Corona im Berghain: Klangrausch in der Kathedrale | |
| > Die Klanginstallation „Eleven Songs“ in der Halle am Berghain wird zum | |
| > Besuchermagneten – nicht nur, aber wohl auch durch ein Missverständnis. | |
| Bild: Ausstellung „Eleven Songs“ in der Halle am Berghain in Berlin | |
| Berlin hat einen neuen Hotspot, einen kulturellen Hotspot. Eine lange | |
| Menschenschlange führt vom Eingang der Halle neben dem Berghain am Gemäuer | |
| des berühmten Klubs vorbei, passiert auch dessen Eingangspforten und | |
| breitet sich auf jenem Weg aus, auf dem in nächtlichen Vor-Corona-Zeiten | |
| die Massen auf Einlass in den Techno-Tempel warteten. Jetzt ist der | |
| Techno-Tempel geschlossen, keine Bässe erschüttern mehr das Gemäuer. Doch | |
| Menschen warten immer noch geduldig. | |
| Zurzeit warten sie darauf, dass sich für sie das Tor zur Klanginstallation | |
| „Eleven Songs“ des Künstlerduos tamtam alias Sam Auinger & Hannes Strobl | |
| öffnen möge. Für die wurde ein Haufen feinste Technik im Innern des etwa 20 | |
| Meter hohen Industriedenkmals verbaut. Noch über den gewaltigen | |
| Kohletrichtern, durch die der fossile Brennstoff einst in die Kessel des | |
| Heizkraftwerks polterte, sind jede Menge Lautsprecher angebracht. Sie | |
| beschallen aber nicht direkt den Raum, sondern sind gegen die Decke | |
| gerichtet. Und erst die reflektierten Schallwellen strömen so in den Raum. | |
| „Im Klang schwingt das Gebäude mit“, erzählt beglückt Kurator Carsten | |
| Seiffarth, der mit seinem Label Singuhr seit 30 Jahren ungewöhnliche Orte | |
| zu räumlichen Klangkunstinstrumenten macht. | |
| Das gelingt auch hier. Der ganze Raum ist erfüllt von Schwingungen. Mal | |
| hört man Glockenläuten heraus, mal Vogelstimmen, mal auch an- und | |
| abschwellenden Straßenverkehr. Auinger und Strobl sind von Field Recordings | |
| ausgegangen. Sie haben die Alltagsgeräusche aber auseinandergebaut, | |
| geloopt, gedehnt, die Amplituden bearbeitet und die diversen Klangschichten | |
| erneut übereinandergelegt. Klangfarben der realen Außenwelt gelangen so | |
| herein. Sie sind aber verändert. Und je länger man in den Räumen verweilt, | |
| desto mehr verstärkt sich auch der Eindruck, dass der schrundige Beton, von | |
| dem die Wellen abprallen, sich seinerseits mit Interferenzen in den | |
| Klangstrom einmischt. | |
| Da ergibt es Sinn, die Augen zu schließen und aus den Ohren auch den Klang | |
| so manch gehenden Mitbesuchers zu extrahieren. Corona sei Dank dürfen nicht | |
| so viele Menschen zeitgleich in die großen Räume. Für ein besseres | |
| Klangerlebnis ist Seiffarth sogar weit unterhalb der im Hygienekonzept | |
| vorgeschriebenen Maximalzahl an Besuchern geblieben. „120 wären erlaubt, | |
| wir haben uns aber entschieden, nur jeweils 50 Personen gleichzeitig | |
| einzulassen“, sagt Seiffarth zur taz. Das erklärt ein wenig die Schlangen | |
| draußen. Die Beschränkung aus ästhetischen Gründen ist aber sinnvoll. | |
| ## Perfektes Timing zur Kulturveranstaltungsflaute | |
| Überhaupt ist dieses Projekt eines, das mehrfach gegen den Strom schwimmt. | |
| Nicht nur weniger Leute als erlaubt wurden hereingelassen. Während viele | |
| andere Kunstprojekte, wenn sie denn überhaupt stattfinden, nach hinten | |
| verschoben sind, hat Seiffarth die Eröffnung um einen Monat vorgezogen. Er | |
| wollte einfach nicht länger warten. | |
| Das führte schließlich zum perfekten Timing. „Eleven Songs“ findet nicht | |
| nur mitten in der Sommerpause statt, sondern auch inmitten der | |
| coronabedingten Kulturveranstaltungsflaute. Die Klanginstallation | |
| unmittelbar neben dem Berghain wird daher zum Magneten für die | |
| verschiedensten Zuschauergruppen. Menschen, die vom Alter her noch echte | |
| Fernwärme aus dem alten Heizkraftwerk in ihren Wohnzimmern erlebt haben | |
| dürften, mischen sich mit Mittvierzigern, die ganz ersichtlich der | |
| Künstlerszene angehören, sowie Vertretern und Vertreterinnen des aufs | |
| musikalisch Trockene gesetzten Berghain-Stammpublikums. | |
| Mancher Berlin-Tourist ist ebenfalls dabei und macht verzückt Handyfotos – | |
| offenbar in dem Glauben, er habe jetzt das echte Berghain, in dem | |
| bekanntlich Fotoverbot herrscht, digital gebannt. Ganz unberührt davon | |
| rauschen die Wellen durch den Raum. Sie dringen durch die Körper, scheinen | |
| sie sogar aufzulösen. Und wenn man dann die Augen aufschlägt und direkt in | |
| das Graffito-Auge hoch oben auf einem der alten Kohlentrichter blickt, | |
| fühlt man sich tatsächlich der Unendlichkeit nahe. | |
| In „Eleven Songs“ kann man wunderbar Corona entfliehen. Die Leere im großen | |
| Bau korrespondiert allerdings auch perfekt mit den Abstandsregeln. Und die | |
| zauberhafte Seite des Lockdown, die leeren Straßen und Plätze, kann man so | |
| noch einmal wiedererleben. Für 8 Euro nur (ermäßigt 5 Euro), erstanden | |
| allerdings in längerer Wartezeit. | |
| 29 Jul 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Tom Mustroph | |
| ## TAGS | |
| Klanginstallation | |
| Ausstellung | |
| Berghain | |
| Videokunst | |
| Kunst Berlin | |
| Ausstellung | |
| Kunsträume Berlin | |
| zeitgenössische Kunst | |
| Kunst Berlin | |
| Fotografie | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Videokunst in der Halle am Berghain: Die Schlangen des Spreewalds | |
| Unter dem Pflaster Berlins ist Sumpf. Jakob Kudsk Steensen erzählt davon in | |
| seiner Ausstellung „Berl-Berl“ von in der Halle des Berghain. | |
| Neue Ausstellung in der Galerie Wedding: Ausmustern und weiternutzen | |
| Die Galerie Wedding stellt in einer Gruppenausstellung die drei | |
| DAAD-Stipendiat*innen Burak Delier, Ieva Epnere und Runo Lagomarsino vor. | |
| Kunst und Ökologie: Teil eines Kreislaufs | |
| Mit der Ausstellung „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“ wirbt das | |
| Kunsthaus Dresden für ein symbiotisches Verhältnis von Natur und | |
| Zivilisation. | |
| Kunstschau mit Trampelpfad in Berlin: Sommer ist nur einmal im Jahr | |
| Goldgelbe Gräser zwischen grauem Beton: Im Kunstraum goeben berlin feiert | |
| der Bildhauer Martin Kähler voll Akribie die Magie der Vergänglichkeit. | |
| Kunstausstellung „Mainly Fair Later“: Flugzeugfenster als Sehnsuchtsbilder | |
| Wetter ist immer: Lena Marie Emrich forscht in ihrer Einzelausstellung im | |
| Kunstverein Göttingen über Wolken und Meteorologie. | |
| Galerie Wedding in Berlin: Kunst trifft Sozialamt | |
| In der kommunalen Galerie Wedding ist noch bis Samstag die Ausstellung | |
| „Gift“ zu sehen. Zwischenzeitlich zog wegen Corona das Sozialamt in die | |
| Räume. | |
| Neuentdeckung der Gebrauchsfotografie: An die Stadt ranpirschen | |
| Unstillbar ist der Hunger nach Bildern. Das belegt im Kunstmuseum Basel | |
| eine Sammlung von Alltagsfotografien, die alle Bereiche des Lebens | |
| durchdringt. |