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# taz.de -- Kunst und Ökologie: Teil eines Kreislaufs
> Mit der Ausstellung „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“ wirbt das
> Kunsthaus Dresden für ein symbiotisches Verhältnis von Natur und
> Zivilisation.
Bild: Melanie Bonajos Video „Night Soil – Nocturnal Gardening“ von 2016
Hitzewelle [1][in Sibirien]; die [2][Insekten in aller Welt sterben aus];
der deutsche [3][Wald im Dürre-Stress]. Kein Tag vergeht, der uns nicht vor
Augen führt, dass das Verhältnis der Zivilisation zur Natur mehr als nur
aus den Fugen geraten ist. Zwar sollen die Deutschen inzwischen [4][nur
noch halb so viel Restmüll entsorgen wie 1985], heißt es. Trotzdem scheint
alles immer katastrophaler zu werden. Kann da ausgerechnet die
friedliebende Kunst einen Ausweg aus dieser tödlichen Mesalliance weisen?
Wie sich die Gattungsfrage zum ökologischen Überleben in den Künsten
spiegelt, gehört zu den derzeit spannendsten Themen. Man fragt sich, warum
es nicht längst eine „grüne“ documenta gab.
„Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“ nennt das Kunsthaus Dresden, die
Kommunale Galerie der sächsischen Landeshauptstadt, [5][die jüngste Schau
zu dem Thema]. Sie beweist, dass es keiner gewaltigen Biennale bedarf, um
ein fundamental gestörtes Verhältnis inspirierend auszuleuchten. Zum Glück
verfällt sie nicht in Alarmismus.
Vor ein paar Jahrzehnten glaubte der Plakatkünstler Klaus Staeck das
Problem den Wohlstandbürger:innen noch mit dem visuellen Meißel einhämmern
zu müssen. [6][„Saures Fest“ nannte der aktivistische Grafiker 1983 ein
Werk], das pünktlich zu Weihnachten vom damals durch sauren Regen zerstörte
Tannen als expressionistische Skelette zeigte. Das Gefühl von Bedrohung
blenden die zehn Künstler:innen nicht aus, die die Kurator:innen Christina
Mennicke-Schwarz und Vincent Schier in dem verwinkelten Altbau in der
Dresdner Neustadt versammelt haben. Es manifestiert sich aber eher als
historisches Hintergrundgrauen.
„Dritte Landschaft“ nennt Volker Kreidler seine fotografische Spurensuche
in der Ukraine. Der Fotograf und Filmemacher hat 2014 und 2016 das Gebiet
um Tschernobyl besucht. In seinen Schwarz-Weiß-Fotografien der 1986
angelegten, nun vom Militär kontrollierten Sperrzone dokumentiert er, wie
sich die Natur das verseuchte Gelände zurückerobert hat. Das diffuse
Dämmerlicht, in dem sich da Sträucher und schlanke Bäume ihren Platz
zwischen geborstenen, hier und da von einem Sonnenstrahl durchblitzten
Ruinen suchen, verklärt den Blick auf ein unbewohnbar gewordenes
Territorium fast ins Romantische.
Kreidler hat seinen Titel „Dritte Landschaft“ dem französischen
Gartenarchitekten Gilles Clément entlehnt. In einem Manifest bezeichnete
der damit einen Raum, der sich nach der menschlichen Nutzung in ein
ökologisches Primärsystem zurückverwandelt. Die Arbeit ist nicht als
Metapher dafür misszuverstehen, wie Gras über derlei Mega-Katastrophen
wächst. Eher ist sie ein subtiler Hinweis auf die (re-)generative Kraft der
Natur, die sich als roter Faden durch die beziehungsreich orchestrierte
Ausstellung zieht.
## Das scheinbar böse Geschwür
Nehmen wir Lois Weinbergers Arbeit „Invasion“, die die Besucher:innen
gleich zu Beginn der Schau begrüßt. Die Schaufensterpuppe wirkt wie eine
surrealistische Skulptur. Die seltsam geriffelten Halbrunde, mit denen sie
überzogen ist, entpuppen sich bei näherer Betrachtung aber als
Zunderschwämme: Pilze.
Der Parasitenpilz, der sich gelegentlich beim Waldspaziergang an Bäumen
findet, sieht aus wie ein bösartiges Geschwür. In Wahrheit transformiert er
Holz zu Mutterboden und dient als Katalysator für Mini-Ökosysteme.
Zunderschwamm wird auch als Heilpflanze oder Feuermaterial eingesetzt. Dass
Weinberger, der im Frühjahr verstorbene, bescheidene Pionier der Öko-Kunst,
ihn hier dem Homo sapiens appliziert hat, macht die Skulptur zum Sinnbild:
Auch der Mensch ist Teil eines Kreislaufs, den er nur bei Strafe des
eigenen Untergangs unterbricht.
Die Rückkehr zu diesem Kreislauf, die Unterordnung des Menschen unter die
vermeintlichen „Gesetze der Natur“ gehört zu den Essentials der
Ökologiebewegung. Man mag das für einen naiven Euphemismus halten. Mit dem
Bild einer nackten Frau, die sich mit geschlossenen Augen innig um einen
gewaltigen Baumstamm schmiegt, von Gräsern und Blumen bedeckt, hat Melanie
Bonajo freilich ein bezwingendes Bild für diesen Glauben gefunden. In einer
Video-Serie hat die selbsternannte „Digital-Öko-Feministin“ Menschen
porträtiert, die sich der kapitalistischen Verwertung von Natur zu
entziehen versuchen: Sie betreiben Gemeinschaftsgärten oder leben allein im
Wald, essen nur, was die Natur ihnen tagtäglich bietet.
Dass die individuelle Umkehr, für die diese Beispiele stehen, eine
ökologische Systemwende einleiten könnte, ist eher unwahrscheinlich. „Eine
Schwalbe macht noch keinen Sommer“ – der Titel der Schau, der eigentlich
aufruft, wie wenig die alten Gewissheiten noch gelten, wird hier in anderer
Form sinnfällig. Ein:e tree-hugger verhindert das Waldsterben nicht. Aber
als Memento für einen anderen Stoffwechsel mit der Natur – so nennen
Materialisten das überzeugend entfaltete Thema der Ausstellung – taugt die
Arbeit dann doch.
6 Aug 2020
## LINKS
[1] /Heisszeit-in-Sibirien/!5699131
[2] /Analyse-zu-Insektensterben/!5678256
[3] /Folgen-von-Duerre-und-Insektenbefall/!5703977
[4] /Studie-zu-Restmuell/!5699352
[5] http://kunsthausdresden.de/veranstaltungen/eine-schwalbe-macht-noch-keinen-…
[6] https://www.edition-staeck.de/produkt/pk-saures-fest/
## AUTOREN
Ingo Arend
## TAGS
Kunst
Natur
Umweltschutz
Ökologie
Kunstausstellung
Kunst
Schwerpunkt #metoo
Berghain
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