| # taz.de -- Neue Ausstellung in der Galerie Wedding: Ausmustern und weiternutzen | |
| > Die Galerie Wedding stellt in einer Gruppenausstellung die drei | |
| > DAAD-Stipendiat*innen Burak Delier, Ieva Epnere und Runo Lagomarsino vor. | |
| Bild: „And That Song Is Our Amulet“, Galerie Wedding, Berliner Künstlerpro… | |
| Zwei Fotos kleben an den Schaufenstern der Galerie Wedding. Die Fotos sind | |
| schwarz-weiß und wirken wie Passbilder, wie Bilder auch, die auf dem | |
| Polizeirevier nach einer Verhaftung entstanden sein könnten. Die Bilder | |
| zeigen zwei Weddinger, Elise und Otto Hampel. Die Hampels sind verewigt in | |
| Hans Falladas Roman „[1][Jeder stirbt für sich allein“]. Fallada hatte die | |
| reale Widerstandsgeschichte des Arbeiterehepaars, das nicht mehr an | |
| Hitlers Deutschland glaubte und seine Zweifel an diesem „Hitlerischen | |
| Ausbeuter Gesindel“ mittels Postkarten kundtat, literarisch bearbeitet. | |
| Jetzt nimmt sich der schwedische Künstler Runo Lagomarsino der Hampels an. | |
| Die Großplakate mit dem Doppelporträt sollen nach seinem Wunsch an ganz | |
| vielen Weddinger Fenstern hängen. Die Müllerstraße möge zur Hampel-Galerie | |
| werden. | |
| Bislang reicht die Wirkung der Plakataktion aber kaum über die der | |
| Hampel’schen Postkartenaktion hinaus. Die Protestpostkarten wurden den | |
| damaligen Polizei- und Sicherheitsbehörden flugs angezeigt. Sie | |
| zirkulierten, entgegen der Hoffnung der Hampels, kaum innerhalb der | |
| Bevölkerung. Und auch die Hampels findet man jenseits der Galerie noch | |
| nicht. | |
| Von der Fensterfront der Galerie schauen ihre Augen immerhin sehr direkt | |
| und geradlinig in die Augen derjenigen Weddinger, die sich hier in | |
| Schlangen stellen, um Grundsicherung und andere Sozialleistungen zu | |
| beantragen. [2][Denn die Galerie ist, die taz berichtete, weiterhin einer | |
| Hybridnutzung ausgesetzt.] Vormittags beherbergen die Räume das Sozialamt, | |
| das von hier aus etwa 14.200 Haushalte betreut. Ab Mittag übernimmt die | |
| Galerie. | |
| Das Beste aus der Situation machen | |
| Das ungewöhnliche Mit- und Nebeneinander, zuweilen auch Gegeneinander | |
| mündete inzwischen in geregelter wirkende Bahnen. Die zunächst im | |
| Do-it-Yourself-Modus angebrachten transparenten Trennwände zwischen | |
| Bezirksamtsmitarbeiter*innen und ihren „Kund*innen“ sind jetzt durch | |
| professionelleren Sicht- und Spuckschutz ersetzt. | |
| Die Künstler*innen sorgten dafür, dass Wasserbehälter und Sitzkissen | |
| Einzug fanden. Auch auf die Wände wurde Farbe aufgetragen. Das Grün im | |
| ersten Raum orientiert sich an der Farbpalette der lettischen | |
| Bildungsreformerin Marta Rinka. Diese eröffnete im Jahre 1900 die Pforten | |
| ihrer „Grünen Schule“, einer Reformschule mit Kindergarten für Kinder von | |
| Arbeiter*innen. Die lettische Künstlerin und DAAD-Stipendiatin Ieva Epnere | |
| erschließt seit etwa vier Jahren Rinkas Wirken. In einem Video stellt sie | |
| Lern- und Spielaufgaben vor. | |
| Als Epnere mit dem Problem konfrontiert wurde, die Ausstellung in einem | |
| Raum zu zeigen, der auch für den Verwaltungsbetrieb genutzt wird, war sie | |
| zunächst schockiert. „Wir haben uns etwa ein Jahr auf die Ausstellung in | |
| diesen Räumen vorbereitet und mussten plötzlich vieles ändern“, erzählt s… | |
| der taz. Weil alle drei DAAD-Stipendiat*innen – neben Epnere und | |
| Lagomarsino noch der türkische Künstler Burak Delier – aber politisch und | |
| sozial engagierte Kunst machen, versuchten sie, der Situation das Beste | |
| abzugewinnen. | |
| Epneres Recherchen zur „Grünen Schule“ könnten sich angesichts des großen | |
| Durcheinanders beim [3][Schulbeginn unter Pandemiebedingungen] zu | |
| konstruktiven Anregungen entwickeln – dann jedenfalls, wenn | |
| Mitarbeiter*innen der Bildungsverwaltung auch mal den Weg ins Parterre | |
| finden würden. | |
| Mäandernde Möbel | |
| Delier hat für seine Videoarbeiten über die Arbeit von Kultur- und | |
| Sozialzentren in der Türkei und die Mischung aus Lust (an der Arbeit) und | |
| Frust (über die allgemeinen politischen Bedingungen im Lande) eine | |
| Sitz-und-Lunger-Landschaft aus aussortierten Büromöbeln des Bezirksamts | |
| angefertigt. | |
| Die Möbel, obgleich ausgemustert, sehen im Übrigen dem Mobiliar an den | |
| Arbeitsplätzen der Sozialamtsmitarbeiter*innen derart ähnlich, dass | |
| die Kriterien für das Ausmustern oder Weiternutzen so unergründlich anmuten | |
| wie Entscheidungen des administrativen Apparats auch sonst. Die Möbel der | |
| Verwaltung mäandern hier geschickt in die Ausstellungsarchitektur. | |
| Teile des ursprünglichen Ausstellungskonzepts wurden durch die | |
| Hybridnutzung aber undurchführbar. Lagomarsino etwa musste auf eine | |
| komplette Arbeit verzichten. Nach Auskunft von Kurator Malte Roloff | |
| handelte es sich um eine aufwendige Konstruktion, in der das Element | |
| Europium – genutzt vor allem für Leuchtstoffe – zur Oxidation gebracht | |
| werden sollte. | |
| Auf taz-Nachfrage teilte das Bezirksamt Mitte mit, dass die Doppelnutzung | |
| der Räume noch bis 30. September gehen soll, also auch die noch folgende | |
| Ausstellung betreffen wird. Danach soll aber Schluss sein. Und für die nach | |
| Bezirksamtsangaben bis zu 162 Klient*innen täglich soll es dann andere | |
| Räume geben. | |
| 21 Aug 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Berlinale-Wettbewerb/!5277880 | |
| [2] /Galerie-Wedding-in-Berlin/!5695562 | |
| [3] /Schulstart-in-der-Coronakrise/!5702054 | |
| ## AUTOREN | |
| Tom Mustroph | |
| ## TAGS | |
| Kunst Berlin | |
| Kunst | |
| Berlin-Wedding | |
| Kunst | |
| Oper | |
| Berghain | |
| Kunst Berlin | |
| Architektur | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Prepper-Ausstellung in Bernau: Ängste als Motor | |
| Der Künstler Alexander Poliček hat sich mit der Prepper-Szene beschäftigt. | |
| In der Galerie Bernau zeigt er eine provisorische Notunterkunft. | |
| Festival „Berlin is not Bregenz“: Oper an der Weddinger Stadtriviera | |
| Mit Wagner im Strandbad Plötzensee: Hier brachte die Künstlergruppe | |
| glanz&krawall am Wochenende „Lohengrin vs. Tristan & Isolde“ zur | |
| Aufführung. | |
| Kunst trotz Corona im Berghain: Klangrausch in der Kathedrale | |
| Die Klanginstallation „Eleven Songs“ in der Halle am Berghain wird zum | |
| Besuchermagneten – nicht nur, aber wohl auch durch ein Missverständnis. | |
| Galerie Wedding in Berlin: Kunst trifft Sozialamt | |
| In der kommunalen Galerie Wedding ist noch bis Samstag die Ausstellung | |
| „Gift“ zu sehen. Zwischenzeitlich zog wegen Corona das Sozialamt in die | |
| Räume. | |
| Arctic Nordic Alpine bei Aedes: Architektur mit Landschaft | |
| Ob sie nun ein Opernhaus bauen oder ein Hotel: Die Architekturen des | |
| norwegischen Büros Snøhetta tauschen sich mit der Umwelt aus. |