# taz.de -- Kunstausstellung „Mainly Fair Later“: Flugzeugfenster als Sehns… | |
> Wetter ist immer: Lena Marie Emrich forscht in ihrer Einzelausstellung im | |
> Kunstverein Göttingen über Wolken und Meteorologie. | |
Bild: Installationsansicht Lena Marie Emerich „Mainly Fair Later“ im Kunstv… | |
Der Londoner Pharmakologe und Apotheker Luke Howard führte im beginnenden | |
19. Jahrhundert jene Begriffe ein, die noch heute in der Meteorologie | |
gelten: Howard teilte Wolken nach ihrer Form in Cumulus-, Stratus-, Cirrus- | |
und Nimbuswolken ein und begründete damit die moderne Nephologie oder | |
Wolkenkunde. | |
Caspar David Friedrich, so heißt es, habe sich seinerzeit geweigert, Wolken | |
im Sinne der gerade eingeführten Klassifikation zu malen, als ihn Johann | |
Wolfgang von Goethe damit beauftragen wollte. Streng den Regeln der Natur | |
zu folgen, würde „einen Umsturz in der Landschaftsmalerei bedeuten“, | |
argumentierte Friedrich. | |
Lena Marie Emrich malt keine Landschaften, Wolken sind dennoch ihr Thema, | |
Wolken und das Wetter. „Mainly fair later“ (Später vorwiegend heiter) | |
lautet der Titel ihrer Einzelausstellung im Kunstverein Göttingen | |
entsprechend, und anders als Friedrich hat sie offenbar kein Problem damit, | |
Romantik und meteorologische Erkenntnis miteinander zu verbinden. | |
## An den Regeln der Natur orientiert | |
Tatsächlich hat Emrich sich recht präzise an den Regeln der Natur | |
orientiert und sogar mit einem Forscher vom Max-Planck-Institut für Dynamik | |
und Selbstorganisation zusammengearbeitet, der mittels sogenannter „Cloud | |
Kites“ die Zusammensetzung der Himmelsgebilde untersucht. Spröde Daten hat | |
sie in poetische Formen übersetzt, in sinnliche, sich immer wieder in sich | |
selbst spiegelnde Objekte, oder in klirrende, Glasperlenvorhänge und – in | |
Zusammenarbeit mit Philipp Maier – in abstrakten Sound. | |
Dieses spezielle Jahr 2020 spielt der Künstlerin in die Karten. Über das | |
Wetter zu sprechen war schließlich lange nicht so interessant wie jetzt, wo | |
es nicht nur maßgeblich das soziale Leben bestimmt, das pandemiebedingt | |
vornehmlich draußen stattfindet, sondern gleichzeitig unberechenbarer | |
wurde. Den Prognosen fehlen die Daten des zuvor so regen Flugverkehrs. So | |
sieht sie aus, die neue Ungewissheit. Aber später vielleicht doch alles | |
heiter? | |
Zumindest glänzt alles hübsch. Das romantische In-die-Wolken-gucken hat | |
Emrich quasi mit schillerndem Autolack und mit reflektierender Spionfolie | |
überzogen: Sehnsuchtsbilder sind vor allem ihre „Dreamliner Series“ und | |
„Sunset Series“. Aus Plexiglas hat die Künstlerin Flugzeugfenster der | |
Langstreckenverkehrsflugzeuge Boeing 787 und Airbus A350 in Originalgröße | |
nachgebaut, die Scheiben wiederum mit himmelblauer und abendroter Farbfolie | |
und eben Spionfolie beschichtet, dann aber mit zarten Spuren menschlichen | |
Daseins versehen. | |
## Als man noch einfach so geflogen ist | |
Bei den feinen Zeichnungen auf der Oberfläche, die man erkennt, wenn man | |
nah herantritt, handelt es sich um die Umrisse von den Abdrücken, die | |
Berührungen von Fingerkuppen, Stirn oder Nase auf der Scheibe hinterlassen. | |
Wehmütig können sie einen stimmen diese objektgewordene Reminiszenzen an | |
eine Zeit, in der man – wider alle ökologische Bedenken –, ohne groß | |
darüber nachzudenken, in den Flieger gestiegen ist. Der Sonne entgegen zum | |
Beispiel. Wann war das noch gleich? Vor sechs Monaten? | |
„Mainly fair later“ ist Emrichs erste institutionelle Einzelausstellung. | |
„Vorwiegend heiter“ sind auch ihre weiteren Aussichten: Kürzlich hat sie | |
das zweijährige Förderstipendium des Kunstvereins Hannover gewonnen, | |
aktuell ist sie außerdem Finalistin der Berlin Masters. | |
In der Ausstellung tut sie indes so, als habe sie den Überblick verloren: | |
„Once in a cloud we have lost sight of it“, schreibt sie auf die | |
Spiegelwolke, die im Raum zu schweben scheint. Nur eine Täuschung ist das, | |
wie auch die Handtrockengeräte der Marke Dyson, die in einem weiteren Raum | |
nebeneinander hängen. Emrich hat sie aus MDF nachgebaut, fein poliert und | |
mit schillernden Flip-Flop-Effektfarben besprüht. Fantastisch, besser als | |
die echten sehen sie aus, nur die warme Luft muss man sich dazu denken. | |
Wie ja leider auch sonst. Für einen ungemütlichen Sommer hat der | |
Kunstverein aber auch vorgesorgt: Zur Ausstellung gibt es passende | |
Regenjacken. | |
26 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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