# taz.de -- Theaterfassung von „Enjoy Schatz“: Die Perle aus der Metamuschel | |
> Authentizität ist kein Stilmittel, sondern Kernelement. Sarah Kohm | |
> inszeniert Jovana Reisingers Roman „Enjoy Schatz“ in der Berliner | |
> Schaubühne. | |
Bild: Die Schriftstellerin und die Schriftstellerin der Schriftstellerin: Veron… | |
Wie zwei silbrige Weltrauminseln liegt das Studiobühnenbild dem Publikum im | |
Halbdunkel zu Füßen. [1][Jovana Reisinger] betritt die Szenerie. Sie trägt | |
einen klassischen Entertainer-Strassanzug, allerdings keinen seidenen | |
Doppelreiher, sondern einen Sweatsuit-Traum aus Acryl: Es wird nicht der | |
einzige Verweis des Abends auf Ästhetik und Klassenfrage bleiben. | |
Reisinger gibt sich betont lässig, während sie sich vorstellt, cool die | |
Handlung ihres Romans beschreibt, ihre eigene Motivation in den Kontext | |
setzt und das Kommende einordnet: Angekündigt wird ein Abend voll | |
Authentizität, „nicht als Stilmittel, sondern als Kernelement. Aber wird | |
das bei Frauen nicht eh verwechselt?“. Entspannt lässt sie sich auf einer | |
überdimensionierten Polly-Pocket-Muschel nieder und beginnt zu lesen. | |
Soweit so gut. | |
Es folgen Licht, Musik, Handlung. Das von Bühnenbildnerin [2][Lena Marie | |
Emrich] perfekt kopierte Plastikspielzeug, auf dem statt des Logos in | |
geschwungenen Lettern „Enjoy Schatz“ prangt, öffnet sich und offenbart eine | |
perlengleich schlafende Veronika Bachfischer in silbrigen Laken, die nach | |
einem Prinzessinnen-haften Erwachen erst einmal das Sexspielzeug zur Seite | |
räumt. | |
Es ist Frühling, das steht auf einem Schild, es gibt ein Horoskop, das | |
projiziert ein Beamer und den Rest, den erklärt Reisinger als Stimme aus | |
dem Off, während sie sich ostentativ gelangweilt auf einem plüschigen | |
Podest zwischen Bühnengarderobe und Lovehotel lümmelt, das sich neben der | |
Muschel befindet. | |
Begehren und Begehrt-werden | |
Für die nächsten zwei Stunden folgen wir einer fein changierend spielenden | |
Bachfischer in der Rolle der Schriftstellerin durchs Jahr in der Muschel: | |
Von Frühling zu Frühling, beim Arbeiten, Lieben, Begehren und | |
Begehrt-werden, beim Sich-selbst-finden und Analysieren diverser Gender- | |
und Gesellschaftsdiskurse in der alten Ehe, mit dem neuen Liebhaber, durch | |
eine miese Trennung und die finale Scheidung, in der leeren Wohnung mit | |
großem Kummer und beim selbstermächtigenden Alleinsein und immer wieder | |
beim Schreiben der Worte, der Kunst, während Reisinger, die | |
Schriftstellerin der Schriftstellerin, die teils recht langen Monologe von | |
der Seite kommentiert und einordnet. | |
Es ist der erste schauspielerische Auftritt [3][der Autorin], die in der am | |
Donnerstagabend uraufgeführten Theaterfassung ihres Romans „Enjoy Schatz“ … | |
ja was oder wen eigentlich genau verkörpert? Sich selbst? Die Erzählerin? | |
Moderatorin? Gastgeberin? Ihre eigenes Alter Ego? Das Spiel mit der | |
Authentizität, es verfängt sich auf der Bühne zu einem unauflösbaren, klug | |
verhedderten Knäuel. | |
Reisinger, die neben ihren Romanerfolgen auch eine Single-Kolumne für die | |
Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt, inszeniert sich im Stück mit | |
High-Heels, Cosmopolitans und Nude-Dress stilistisch als eine Art | |
abgebrühte working class [4][Carrie Bradshaw], Hauptfigur der | |
US-amerikanischen 90er Jahre Kult-Serie „Sex and the City“, während sie die | |
Aktivitäten ihrer eigens erschaffenen Figur fast paternalistisch | |
gelangweilt überprüft. Selten entsteht dabei ein Dialog, doch es sind | |
gerade diese Passagen, die dem Stück Dynamik verleihen, verhaften doch | |
ansonst die Figuren sowohl räumlich als auch inhaltlich auf ihrem | |
Standpunkt. | |
Reisingers Coolness | |
Die Bühnenpräsenz der beiden Darstellerinnen ist beeindruckend. Doch | |
während Bachfischer mit dem feinsinnigen und variantenreichen Repertoire | |
ihrer (Körper)Sprache lange Strecken trägt, wird sie von Reisingers | |
Coolness teils überstrahlt, ja fast abgewertet. Empathielos betrachtet die | |
Autorin die von ihr erschaffene Figur, gibt ihr Ratschläge, ermahnt und | |
ermuntert sie, meist zynisch anmutend durch Blicke, Worte, Gesten. | |
Das ist schade, nimmt es doch dem Text die Autorität. Als Bachfischer in | |
einer wilden Restaurant-Szene überaus körperlich die Nerven über drei | |
Fehlgeburten und 15 Austern verliert, die von Reisinger später als aus | |
ihrem vorangegangenen Roman „Spitzenreiterinnen“ entnommen erklärt wird, | |
betont die süffisante Entfremdung der Autorin zwar einerseits die | |
psychologischen Mechanismen zur Abspaltung des eigenen Schmerzes, die sie | |
selbst zu Beginn offenlegt. Andererseits wirkt es seltsam ironisch | |
gegenüber dem eigenen Werk – oder dem Werk ihrer Figur? Oder dem Werk ihrer | |
Figur in ihrem Werk? | |
Vielleicht liegt eben hierin der Zaubertrick des Stücks. Auch wenn kaum | |
Neues zum sexpositiven und feministischen Diskurs ergänzt wird und sich die | |
aufgerufenen Klischees teils abgenutzt anfühlen (Aldi-Champagner, erbende | |
Künstler unterm Weihnachtsbaum ihrer Eltern), bedient sich Sarah Kohms | |
Inszenierung doch so gekonnt und vielschichtig des [5][Genres der | |
Autofiktion], dass man als Zuschauende unmöglich nicht in eine der | |
interpretatorischen Fallen tappen kann. | |
Befriedigter Voyeurismus und selbstgerechte Überlegenheit werden hier von | |
der selbsternannten performativen Tussi gleichermaßen clever wie gnadenlos | |
aufgerufen und mischen sich zu einer unübersichtlichen und unterhaltsamen | |
Auto-Autofiktion: Enjoy Schatz. | |
1 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Hilka Dirks | |
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