# taz.de -- Yael Ronen an der Berliner Schaubühne: In der Wiederholungsschleife | |
> Das Leben, die Konflikte, die Geschichte. Alles verläuft in Zyklen in | |
> Yael Ronens neuem Stück. „Replay“ läuft an der Berliner Schaubühne. | |
Bild: Ruth Rosenfeld, Eva Meckbach und Carolin Haupt in „Replay“ an der Sch… | |
Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich, so ein Sprichwort. | |
[1][Theatermacherin Yael Ronen] macht daraus Zyklen, die, wie es Eva | |
Meckbach zu Beginn auf der Bühne bemerkt, an Jahreszeiten oder aber die | |
weibliche Periode erinnern. Was in Ronens neuem Stück [2][„Replay“ an der | |
Berliner Schaubühne] folgt, ist die Aufarbeitung einer Familiengeschichte, | |
die 1987 in der DDR beginnt und bis in unsere heutige Zeit reicht. | |
Zu Anfang macht sich eine Operndiva auf von Dresden nach Bayreuth, wo sie | |
als bisher „jüngste und schlankste“ Sopranistin die Brunhild singen darf. | |
Ruth Rosenfeld, selbst ausgebildete Sängerin, spielt und singt diese | |
exaltierte, im narzisstischen Spektrum verankerte Figur so souverän, dass | |
es schwer fällt, Sympathie ihr gegenüber aufzubringen. Das mag auch daran | |
liegen, dass die Operndiva zudem eine Mutter ist, die ihre Töchter | |
(gespielt von Eva Meckbach und Carolin Haupt) mit dem alkoholkranken Vater | |
(Renato Schuch) zurücklässt, während sie selbst Republikflucht begeht. | |
Eine Ost- oder Wendegeschichte ist „Replay“ nicht. Die geschichtliche | |
Referenzen bleiben oberflächlich und spielen bei der weiteren Entwicklung, | |
nur peripher eine Rolle. Etwa gegen Ende, wenn sich herausstellt, dass sich | |
der Vater der Opernsängerin erhängt hat, damit nicht herauskommt, wie er | |
den Zweiten Weltkrieg überlebte. Dennoch schwingt Geschichte immer mit, man | |
muss sie aber kennen, um sie zu erkennen. | |
Faszinierende Wiederholungsmuster | |
Ronen konzentriert sich eher auf die Mikrostrukturen, die kleinen Zyklen | |
des individuellen Lebens, wie sie im Begleitheft sagt: „Mich faszinieren | |
diese Wiederholungsmuster von bestimmten archetypischen Fragen, Konflikten | |
oder Verhaltensweisen, die man in jedem einzelnen Leben und in jeder | |
Beziehung findet.“ | |
Diese Wiederholungsmuster sorgen im Laufe von „Replay“ dafür, dass sich | |
Luise – Lu genannt – als Partner jemanden sucht, der zwar ebenso | |
musikalisch, aber auch ähnlich narzisstisch wie ihre Mutter und obendrauf | |
Alkoholiker wie ihr Vater ist. Dass diese Beziehung immer wieder zu | |
Auseinandersetzungen führt, Lu wiederholt getriggert wird, liegt an der | |
fehlenden Erkenntnis der eigenen Verhaltensmuster. | |
„Was ich in meinem Leben erlebe, hat nicht bei mir angefangen“, sagt Noga | |
Maivar, Therapeutin für Familienaufstellung im Begleitheft. Solange wir uns | |
der Probleme und Traumata unserer Vorfahren nicht gewahr würden, | |
wiederholten wir sie. Lu bekommt auch als Erwachsene ähnlich dramatische | |
Tobsuchtsanfälle wie als kleines Mädchen, in denen sie nur Schwester Lotte | |
wieder beruhigen kann. Carolin Haupt verausgabt sich beinah darin; sie und | |
Eva Meckbach spielen das [3][Kästners „Doppeltem Lottchen“] nachempfundene | |
Schwesternpaar durchaus überzeugend. | |
Überhaupt taucht man schnell ein in Ronens Handlung, wird mitgerissen, wie | |
in einen Film oder eine Serie. Zuweilen wird es etwas albern und | |
effekthascherisch. Doch dem Publikum scheint es zu gefallen, immer wieder | |
wird laut gelacht, trotz der eigentlichen Tragik der Geschichte. Ob es die | |
Einleitung mit Meckbach als auktoriale Erzählerin braucht, ist fraglich. | |
Auch wenn der Fakt interessant ist, dass neben dem Menschen nur die | |
Walweibchen eine Menopause erleben – alle anderen Säugetiere sterben | |
einfach, wenn sie nicht mehr fruchtbar sind. | |
Eindruck des Filmischen | |
Besonders ist das Bühnenbild von Magda Willi, das das Zyklische mit seinem | |
fahrenden Rundpodest in der Mitte und den mit Projektionen bespielten | |
Stoffbahnen, die von der Decke hängen, visuell interpretiert. Die Klavier- | |
und Streicherkompositionen von Yaniv Fridel und Ofer (OJ) Shabi untermalen | |
indes die Dramatik und verstärken den Eindruck des Filmischen: Theater wie | |
Netflix sorgt fürs Bingen des Bühnengeschehens. | |
Wie eine Grafik von M. C. Escher oder der „Canon perpetuus“ von Johann | |
Sebastian Bach – beides Referenzen im Stück – erleben wir die aktuellen | |
Geschehnisse wie in einem „strange loop“: Trump als Präsident, Krieg in | |
Nahost, eine Revolution in Syrien und ein russischer Imperator. | |
Laut der Zyklustheorie von William Strauss und Neil Howe, auf die sich | |
Ronen stützt, steht der Winter für den Zusammenbruch, aber auch für | |
Transformation. Ob für Letztere in „Replay“ keine Zeit mehr war – oder k… | |
Budget? –, fragt man sich etwas ratlos am Ende. Sichtlich ergriffen | |
verlässt das Publikum den Saal, aber auch nachdenklich. Was bleibt, ist die | |
„Game of Thrones“-Referenz, die Meckbach vor Handlungsbeginn in den Saal | |
ruft: „Winter is coming!“ | |
15 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Traumabewaeltigungs-Musical-an-Schaubuehne/!5978848 | |
[2] https://www.schaubuehne.de/de/produktionen/index-4.html?m=572 | |
[3] /50-Todestag-von-Erich-Kaestner/!6023774 | |
## AUTOREN | |
Sophia Zessnik | |
## TAGS | |
Bühne | |
Theater | |
Schaubühne | |
Yael Ronen | |
Familie | |
Familiengeschichte | |
Schaubühne Berlin | |
Theater | |
Theater | |
Musical | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Theaterstück „Angriffe auf Anne“: Die Terroristin im Kinderzimmer | |
„Angriffe auf Anne“ von Martin Crimp ist ein Klassiker des postdramatischen | |
Theaters. In Lilja Rupprechts Inszenierung wirkt die Gewalt gruselig real. | |
Theaterstück über Mutterschaft: Amnesie als Rettung | |
Anna Gschnitzer sucht in ihrem neuen Stück nach einer Neudefinition der | |
Mutterrolle. „Die Entführung der Amygdala“ läuft an der Berliner | |
Schaubühne. | |
Theaterfassung von „Enjoy Schatz“: Die Perle aus der Metamuschel | |
Authentizität ist kein Stilmittel, sondern Kernelement. Sarah Kohm | |
inszeniert Jovana Reisingers Roman „Enjoy Schatz“ in der Berliner | |
Schaubühne. | |
Traumabewältigungs-Musical an Schaubühne: Eine Pille namens Zeitgeist | |
Posttraumatisches Belastungsmusical? „Bucket List“ von Yael Ronen und | |
Shlomi Shaban an der Berliner Schaubühne sediert während der | |
Krisenbewältigung. |