| # taz.de -- Theaterstück „Angriffe auf Anne“: Die Terroristin im Kinderzim… | |
| > „Angriffe auf Anne“ von Martin Crimp ist ein Klassiker des | |
| > postdramatischen Theaters. In Lilja Rupprechts Inszenierung wirkt die | |
| > Gewalt gruselig real. | |
| Bild: Die Mütter gefühlsduseln über die kleine Anne, die schon als Kind ein … | |
| Das Theater als Labor: Wie viele Worte braucht es, um eine Figur zu | |
| erfinden? In Martin Crimps „Angriffe auf Anne“ genügen oft wenige Sätze, … | |
| die Konturen der gerade fassbar gewordenen Figur Anne wieder zu verwischen. | |
| Reden über Anne, die selbst nie auftritt: Das ist ein Spiel mit hoher | |
| Geschwindigkeit. Ratzfatz ist unsere Fantasie bereit, eine grobe Skizze | |
| weiterzuspinnen. Unsere Bereitschaft, einer Figur auf der Bühne zu glauben, | |
| ist Teil des Spiels. Listig trickst Crimp uns immer wieder aus, fügt Anne | |
| eine neue Farbe hinzu, nimmt etwas anderes weg, und schon biegt ihre | |
| Geschichte wieder ab, nicht selten ins Radikale. | |
| 1997 in London uraufgeführt, machte das Stück Martin Crimp bald zu einem | |
| international bekannten Dramatiker. Es war eine Kampfansage an die Chimäre | |
| der Authentizität, gerade als diese auf dem Sprung war, zum beliebten | |
| Image-Artikel auf Social Media zu werden. Die Zeit des postdramatischen | |
| Theaters begann, das, statt Rollen und kohärente Handlungen zu erfinden, | |
| lieber auf die Konstruiertheit von Identität und Wahrhaftigkeit schaute. | |
| An der [1][Schaubühne Berlin], die seit mehr als zwanzig Jahren der | |
| Generation britischer Dramatiker um [2][Sarah Kane], Crimp und Ravenhill | |
| verbunden ist, hat jetzt Lilja Rupprecht „Angriffe auf Anne“ inszeniert. | |
| Jule Böwe, Marcel Kohler und Kay Bartholomäus Schulze werden von der | |
| Live-Musik von Fabian Ristau begleitet, die melancholische Kontrapunkte | |
| setzt, wo der Text sich berauscht an aktionreichen und oft gewaltgetränkten | |
| Fantasien. | |
| Das beginnt schon in der ersten von 17 Szenen: zehn Nachrichten hören wir, | |
| die Anne auf ihrem Anrufbeantworter hat. Leider, sagt die Mutter, können | |
| wir dir kein Geld mehr geben. Eine Stimme ist begeistert von ihrer Idee, | |
| den Bäumen Namen zu geben. Eine Stimme droht ihr sexuelle Gewalt an. Meinen | |
| die alle die selbe Figur? | |
| ## Kapitalismus, der Gefühle frisst | |
| Ein Paar liegt im Bett, wir sehen es vor uns auf der Bühne und von der | |
| Videokamera verdoppelt groß von oben. Zweistimmig entwerfen sie eine intime | |
| Begegnung eines Paares, fallen einander ins Wort, verändern die Situation, | |
| ziehen das Tempo an, plötzlich geht es um eine ideologische Abrechnung mit | |
| einem Gefühle fressenden Kapitalismus. | |
| Crimps Text fährt Emotionen rauf und runter. Er spielt dabei mit der Idee, | |
| dass die Darsteller:innen den Faden selbst aufnehmen und variieren. | |
| Kleine Verschiebungen zwischen den realen Körpern auf der Bühne und ihrem | |
| Videobild setzen da noch eins drauf. | |
| Einmal sind alle drei Schauspieler:innen mit Masken und in altmodischer | |
| Eleganz, mit Karo- und Punktmustern, als Frauen verkleidet. Anne hat Fotos | |
| geschickt, die drei [3][Mütterfiguren] beschreiben sie. Stolz über Annes | |
| Selbstständigkeit schwingt mit, wie sie da mit ihrer alten roten Tasche die | |
| ganze Welt bereist. Sich mit den Armen solidarisiert. Die drei auf dem Sofa | |
| schlagen synchron die Beine übereinander und reden gemütlich weiter von | |
| Annes Weg in den Terrorismus. In einem unglaublich verniedlichenden und | |
| gefühlsduseligen Gestus geschieht das. Wie die kleine Anne schon in ihrem | |
| kleinen Kinderzimmer ein Gewehr haben wollte und eine Liste mit Namen. Wen | |
| sie Nacht für Nacht erschießen will. | |
| Es ist eine gruselige Erfahrung, wie viel von dem, was Crimp vor mehr als | |
| zwanzig Jahren seiner Figur anhängte, heute auf einen Echoraum stößt, in | |
| dem das Abgründige sich häuft in der Realität. Da gibt es auch die blonde | |
| Schwiegertochter Anne, Mutter zweier Kinder, die sie in einer an die | |
| Reichsbürger erinnernden Abkopplung von der Gesellschaft vor deren bösen | |
| Kräften schützen will. Crimp konnte in einem Interview zu seinem Stück, | |
| nachzulesen im Programmheft, sagen, dass es ihm ums Erfinden ging, um | |
| Dinge, die man beim Schreiben entdeckt. Vieles davon ist in der Gegenwart | |
| beklemmend real geworden. | |
| 19 Feb 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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