| # taz.de -- Theaterstück „Kriegsspiele“: Frieden spielen | |
| > Im Unterhaus des Schauspiels Düsseldorf geht Gernot Grünwald der | |
| > menschlichen Lust am Krieg nach. Zu Wort kommen waffenliebende | |
| > Laiendarsteller. | |
| Bild: Hinter jeder Ecke wartet eine neue Situation, wie hier der Schauspieler D… | |
| Blutspritzend explodiert der Körper, und weiter geht’s durch zerstörte | |
| Häuserschluchten, vorbei an zerstörten Autos und Straßen auf | |
| Riesenvideoleinwand. Laienschauspieler Adam Abbas verschmilzt fast mit | |
| seiner Computerfigur und der Waffe, duckt sich, schleicht um Ecken, kommt | |
| aus jeder Feindeslage souverän wieder raus. One shot, one kill – Punkte | |
| prasseln. | |
| Derweil sitzt sein Bruder Jad am Bühnenrand und erzählt, wie sehr sie bei | |
| jedem Knall im Computerspiel „[1][Call of Duty]“ zusammenzucken, weil es | |
| sie an jene Granaten erinnert, die in den Straßen von Damaskus ihre | |
| Klassenkameraden, Nachbarn, Cousins getötet haben. Und dass sie sich beim | |
| Gamen trotzdem so wunderbar entspannen können. | |
| Kriegsspiele als Katharsis? Eigentlich sei diese Ansicht als Unsinn | |
| überführt, reflektiert eine Stimme in unser Ohr – denn die Zuschauer tragen | |
| Kopfhörer, hören die Stimmen der Darsteller ganz unmittelbar. Aber auch | |
| Interviews, die Regisseur Gernot Grünwald und Dramaturg Lasse Scheiba für | |
| ihre Inszenierung „Kriegsspiele“ mit dem Düsseldorfer Bürgerbühne | |
| „Stadt:Kollektiv“ mit Wissenschaftlern, Aktivisten und Politikern geführt | |
| haben. | |
| Und weiter geht es in kleinen Gruppen durch das Unterhaus des | |
| Schauspielhauses. Erstaunlich, wie düster und verzweigt es sein kann | |
| zwischen Kostümkammern und Sprinkleranlagen. Fast fühlt man sich selbst wie | |
| im Computerspiel, hinter jeder Ecke lauert eine andere Situation: beim | |
| Parkhaus führt uns eine Mutter im asiatischen Kampfanzug ins | |
| [2][Nerf-Schießen] ein und erzählt, wie sie mit ihren Schulkindern Krieg | |
| auf einer Parkhaus-Etage spielt. Hinter einer Tür hält ein Soldat in | |
| Vollmontur eine Waffe auf uns, ein Schockmoment. Dann sichert er | |
| geschmeidig für uns die Gänge, winkt uns schützend weiter. | |
| Soldatentum als Hobby | |
| Später, in einem bedrängend engen Lüftungsschacht, erklärt der Soldat, | |
| gespielt von Danny Petrikat, dann, wie sehr er davon träumt, [3][als | |
| Freiwilliger in den Ukrainekrieg zu ziehen]: „Sterben für eine gute Sache“ | |
| wäre für ihn kein Problem, Soldatentum ist für ihn Hobby und größte | |
| Leidenschaft. | |
| Zwischendurch jagen die syrischen Brüder Abbas wie beim Paintball durch | |
| dunkle Katakomben, erzählen atemlos, wie es war, in Syriens Straßen | |
| unterwegs zu sein – und wie ihr Cousin beim Sterben aussah. Ist es | |
| verwerflich, Krieg zu spielen? Ist die menschliche Natur friedlich oder | |
| zutiefst aggressiv? Schaffen Waffen Frieden? Ist Frieden erzwingbar? Schier | |
| unlösbare Fragen, die da unter dem Kopfhörer erklingen. | |
| Können Waffen nicht auch selbstermächtigend wirken? So wie beim | |
| Sportschützen Mirkan Mohr, Spastiker, im Rollstuhl. Mit dem Rücken zu uns | |
| sitzt er in einem Gang, erzählt, wie sehr ihm die Waffe ein Gefühl der | |
| Freiheit und Verwirklichung gibt: „Ich darf etwas, was andere nicht | |
| dürfen“. | |
| Deutschlands Waffenexporte | |
| Neben seinem Revolver liegt das „Schwarzbuch Waffenhandel“ von Jürgen | |
| Grässlin – der schildert, wie Deutschland am Waffenexport kräftig verdient, | |
| während der Friede beschworen wird: Tief sind wir in die globale | |
| Tötungsmaschinerie verstrickt. Und wie abgestumpft wird man, wenn man | |
| täglich in Computerspiel-ähnlichen Bildausschnitten Menschen vernichtet? | |
| Lakonisch nimmt uns ein Drohnenpilot in seinen Flug- und Kampfsimulator | |
| mit, ja, da ist der Feind, da das Entsetzen – immer exakter zeigen die | |
| Bildschirme, was man angerichtet hat: Drohnenpiloten erkranken am | |
| häufigsten an PTSD – posttraumatischer Belastungsstörung, hören wir. | |
| Der Mensch scheint verloren, solange er das Spiel liebt und die Macht. Und | |
| so wird man in den „Kriegsspielen“ von einer Ambivalenz in die nächste | |
| geworfen, taucht tief ein in moralische Dilemmata, ist den Fragen durch | |
| die intime Situation des Audiowalks geradezu ausgeliefert. Sind Waffen | |
| Selbstschutz oder Menschheitsbedrohung? Zum Glück gibt es doch noch jene | |
| Tapferen, die an die Möglichkeit und Schönheit von Frieden erinnern. | |
| Friedliche Lösungen | |
| Im Mittelalterkostüm führt uns Experte Finn Dittmer ins Universum von | |
| „Dungeons and Dragons“ ein, das berühmteste aller Tisch-Rollenspiele TRPG, | |
| quasi auch eine Form von Theater. Wir würfeln mit und bestimmen die Stärke | |
| der Charaktere – Finn allerdings ersetzt die Kämpfe stets durch friedliche | |
| Lösungen. | |
| Er begreift sich als Friedensaktivist, als Kämpfer für Kommunikation und | |
| Fantasie. Es passt, dass wir am Ende von einer seltsamen Zauberfigur im | |
| Requisitenlager in eine Friedensmediation geführt werden: durch yogisches | |
| Fliegen, hören wir, könnte selbst der Gaza-Krieg gelöst werden – und | |
| Soldaten in Ecuador praktizieren die transzendentale Mediation bereits. | |
| Das Wort, das wir in uns für Frieden finden, können wir am Ende mit nach | |
| Hause nehmen. Und so schwankt man beständig zwischen den Widersprüchen. Es | |
| gelingt da in Düsseldorf ein aufwühlender, komplexer und spannender Abend. | |
| So tief und vielschichtig ist man selten in Wahnsinn und Aberwitz der | |
| eigenen Gattung eingetaucht. | |
| 25 Feb 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Videospiel-Call-of-Duty-Black-Ops-6/!6045519 | |
| [2] /Kinder-und-ihre-Weihnachtswuensche/!5729529 | |
| [3] /Soldatin-ueber-Krieg-in-der-Ukraine/!6068258 | |
| ## AUTOREN | |
| Dorothea Marcus | |
| ## TAGS | |
| Theater | |
| Bühne | |
| Düsseldorf | |
| Waffen | |
| Krieg | |
| Theater | |
| Theater | |
| Schaubühne Berlin | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| „Bülowstraße“ im Grips-Theater Berlin: Das Leben ist ein U-Bahnhof | |
| Das Grips schickt drei FreundInnen um die „Bülowstraße“ auf Selbstsuche. | |
| Als Textgrundlage diente Autor Juri Sternburg das gleichnamige Album von | |
| LEA. | |
| Theaterstück über Integration und Demenz: Das innere Exil überwinden | |
| Vor der Bundestagswahl nimmt sich das Theater Heidelberg des Themas | |
| Migration an. Auch Demenz ist Bestandteil in Thomas Deprycks Text „Unter | |
| euch“. | |
| Theaterstück „Angriffe auf Anne“: Die Terroristin im Kinderzimmer | |
| „Angriffe auf Anne“ von Martin Crimp ist ein Klassiker des postdramatischen | |
| Theaters. In Lilja Rupprechts Inszenierung wirkt die Gewalt gruselig real. |