# taz.de -- Ausstellung in Berlin: Mies überlagert Mies | |
> Die Künstlerin Veronika Kellndorfer spannt im Mies van der Rohe Haus | |
> einen Bogen vom Kulturforum nach Hohenschönhausen. | |
Bild: Ansichten der Neuen Nationalgalerie verknüpft mit der Architektur des Mi… | |
„The Ghost of Mies“ hat die spanische Architekturtheoretikerin Beatriz | |
Colomina ihr drittes Buch in einer Reihe von Abhandlungen zu | |
Architekturmanifesten aus dem Jahr 2014 genannt. Colomina gleicht darin die | |
zu Papier gebrachten Ideen Mies van der Rohes mit seinen tatsächlichen | |
Bauprojekten ab. Ein wenig scheint es so, als habe sich jener Geist von | |
Mies, den sie darin beschwört, gerade in Hohenschönhausen, in einem | |
konkreten der Bauten des deutsch-amerikanischen Architekten, | |
niedergelassen, im Landhaus Lemke, auch bekannt als [1][Mies van der Rohe | |
Haus]. | |
Seit dem 7. Juni ist dort eine kleine, aber überaus feinsinnige Ausstellung | |
der Berliner Künstlerin [2][Veronika Kellndorfer] zu sehen, die nicht nur | |
einen Inner-Berliner Bogen spannt – von der [3][Neuen Nationalgalerie] am | |
Kulturforum bis eben zum Landhaus Lemke in Hohenschönhausen, vom späteren | |
amerikanischen zum früheren europäischen Mies – sondern dabei auch | |
scheinbar beiläufig dessen Ideen zu Raum und dessen Nutzung durch den | |
Menschen aufs Tableau zaubert, seine Vorstellung vom „totalen Raum“ vor | |
allem, in dem Drinnen und Draußen ineinander verschwimmen. | |
Genau das ist nämlich der Effekt der Arbeiten Kellndorfers. Die Künstlerin | |
hat sich 2015, kurz vor deren Schließung, für ein paar Tage in der Neuen | |
Nationalgalerie einschließen lassen. Kellndorfer fotografierte von außen | |
durch die Scheiben der „Haut-und-Knochen-Architektur“ hinein, von innen | |
hinaus und quer hindurch. | |
Diese schwarz-weißen Fotografien wiederum brachte sie per keramischem | |
Siebdruckverfahren auf Glasscheiben auf. Die Farbe verschmilzt dabei mit | |
dem Glas, malerisch wirkt das, von der Malerei kommt Kellndorfer | |
schließlich auch. Als Besucher*in der Ausstellung muss sich erst | |
zurechtgucken, um zu erkennen, wo Innen ist und wo Außen, was sich da | |
gerade worin spiegelt oder wie übereinander legt, wo man sich überhaupt | |
verorten soll. | |
## Blick durch Fenster auf Glasscheiben | |
Das beginnt schon beim Blick von außen durch die Fenster, wenn man durch | |
die realen Fensterscheiben des Mies van der Rohe Hauses auf Kellndorfers | |
Glasscheiben schaut, mit den Fensterfronten der Neuen Nationalgalerie | |
darauf, samt Schlieren und Kondenswasserspuren übrigens. Kellndorfer | |
bearbeitet ihre Bilder nicht. | |
Mies überlagert sich mit Mies. In jedem Moment, mit jedem neuen | |
Lichteinfall verändert sich die Wirkung. Neben den großformatigen | |
Glasarbeiten hat Kellndorfer für die Ausstellung noch kleine Objekte mit | |
Bezug auf das Haus angefertigt. Sie sind aus sogenanntem dichroitischen | |
Glas, das mithilfe des Lichts in allen möglichen Farben erscheint. | |
Erstmals hat sie außerdem eines ihrer Siebe ausgestellt. Im mittleren Raum | |
hängt es, technisch bedingt in Knallblau und Rot gefärbt, eigentlich nur | |
Werkzeug, in der Ausstellung wird es selbst zum Werk erklärt. Auf die | |
Glasarbeit, die mit ihm produziert wird, stößt man gleich hinter dem | |
nächsten Türbogen, auf die Scheiben neben den nächsten Scheiben. Das Spiel | |
setzt sich fort. Wie da Drinnen und Draußen, Hier und Dort verschwimmen, | |
wäre ganz in Mies’ Sinne. | |
Was auch für das Jahresthema des Mies van der Rohe Hauses gilt: | |
„[4][Raum-Zeit-Odyssee]“ lautet es. Um die „inneren Potentiale“ des Hau… | |
soll es laut Infotext gehen, um die „kontemplative Atmosphäre des Ortes, | |
die Raum und Zeit praktisch ineinanderfließen lässt“. Was dann wiederum, | |
vielleicht ein bisschen weniger kontemplativ, auch gerade in die aktuelle, | |
coronageprägte Zeit passt. Wie eine Raum-Zeit-Odyssee fühlt die sich ja | |
auch irgendwie an. | |
## Wiedereröffnung der Neuen Nationalgalerie | |
Wita Noack, Leiterin des Mies van der Rohe Hauses, hat aus dieser | |
jedenfalls das Beste gemacht und die Ausstellung von Veronika Kellndorfer | |
bis zum 21. Dezember verlängert, bis zu dem Datum also, an dem die Neue | |
Nationalgalerie am Kulturforum nach der Renovierung wiedereröffnen soll. | |
Sie bildet sozusagen deren Vorspiel. | |
Das Mies van der Rohe Haus ist Kleinod am Rande der Stadt. 1932/33 für das | |
Ehepaar Lemke, nach deren Wünschen gebaut, kurz bevor Mies Deutschland | |
verließ. Zu abseits der üblichen Routen gelegen, um mal eben so | |
vorbeizukommen, was letztlich wiederum ein Vorteil ist, weil Besucher*innen | |
– internationale vor allem – ganz gezielt kommen und gerne länger | |
verweilen. | |
Wenn es nach den Plänen des offiziell zu den kommunalen Galerien zählenden | |
Hauses samt seinem Freundeskreises und dem neu gegründeten Beirat geht, | |
könnte es dafür bald noch mehr Gründe geben. Ein Besucherzentrum ist eine | |
Idee, engere Kooperationen mit den Kunstinstitutionen der Stadt eine | |
andere. Die Ausstellung mit Kellndorfers Fotografien der Neuen | |
Nationalgalerie lässt sich schon als Schritt in diese Richtung verstehen. | |
Momentan jedenfalls füllt sie ein wenig die Lücke seit deren Schließung. | |
Als „archäologischen“ Moment bezeichnet die Künstlerin selbst jenen | |
Augenblick, den sie in den Bildern festhält. So wie auf ihren Aufnahmen | |
wird man die Nationalgalerie so bald nicht mehr sehen. Das Verschwinden der | |
Architektur war schon oft Thema von Kellndorfers Kunst. In diesem Fall ist | |
es immerhin eine verschwundene Architektur, die wieder kommt. | |
20 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.miesvanderrohehaus.de/ | |
[2] http://kellndorfer.com/ | |
[3] https://www.smb.museum/museen-einrichtungen/neue-nationalgalerie/home/ | |
[4] https://www.miesvanderrohehaus.de/ausstellungen/ | |
## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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