| # taz.de -- Küstenwache unter Gegenbeobachtung: Malta auf der Anklagebank | |
| > Seenotretter und Flüchtlinge sind im Mittelmeer Angriffen ausgesetzt. Nun | |
| > wehren sich NGOs juristisch und setzen auch auf die deutsche Justiz. | |
| Bild: Birzebbuga, Malta: Inhaftierte Geflüchtete protestieren lautstark | |
| Berlin taz | 419 Seiten brauchte der Ermittlungsrichter Joseph Mifsud, um | |
| seinen Befund zu erläutern: dass Maltas Premierminister Robert Abela und | |
| Angehörige der Küstenwache nichts falsch gemacht haben, als über Ostern | |
| Hunderte Menschen tagelang in Seenot auf dem Mittelmeer trieben, mindestens | |
| fünf starben und Dutzende zurück nach Libyen gebracht wurden. Bereits kurz | |
| vor Pfingsten hatte der Richter Mifsud seinen Bericht, der der taz | |
| vorliegt, fertig – und das Verfahren gegen den sozialdemokratischen | |
| Regierungschef und die Küstenwächter damit wohl beendet. | |
| Während der Ostertage waren Schiffbrüchige in der maltesischen Rettungszone | |
| teils erst nach 40 Stunden nach Absetzen des Notrufs gerettet worden. | |
| Insassen eines Flüchtlingsboots hatten gegenüber der NGO [1][Alarm Phone] | |
| berichtet, Angehörige von Maltas Küstenwache hätten ihr Motorkabel | |
| durchtrennt. Später waren sie von der Küstenwache allerdings gerettet | |
| worden – nach Ansicht des Alarm Phone geschah dies nur auf internationalen | |
| Druck. | |
| An jenem Tag waren im gleichen Seegebiet fünf Leichen gefunden worden. Sie | |
| sollen von einem anderen Flüchtlingsboot stammen, das nach sechs Tagen auf | |
| dem Meer ebenfalls vor Malta in Seenot geraten war. Sieben Insassen dieses | |
| Bootes gelten bis heute als vermisst. Die Regierung hatte später | |
| eingeräumt, einen Fischkutter angewiesen zu haben, die 51 Überlebenden des | |
| Bootes nach Libyen zurückzubringen. Malta hatte während der Coronakrise | |
| erklärt, keine Schiffbrüchigen aufnehmen zu können. Rückschiebungen nach | |
| Libyen sind nicht zulässig. | |
| Die NGO [2][Republikka] hatte wegen der beiden Fälle Anzeige erstattet. | |
| Republikka nannte es „überraschend“, dass die Justiz schon nach rund sechs | |
| Wochen zu einer Bewertung gelangte. „Dies ist kein normaler Zeitrahmen für | |
| eine Untersuchung in einer so ernsten Angelegenheit wie dem Tod von 12 | |
| Menschen.“ | |
| ## Vorwürfe gegen den Inselstaat | |
| Ein dritter Seenotfall, auch während der Ostertage, macht Malta weiterhin | |
| Schwierigkeiten. Das Außenministerium in Italien hat bei einer | |
| Parlamentsanhörung in Rom Vorwürfe gegen den Inselstaat erhoben. Demnach | |
| hat die Küstenwache von Malta ein Boot mit 101 Menschen zwar mit | |
| Rettungswesten und Benzin versorgt – dann aber offenbar mit vorgehaltener | |
| Waffe dazu gedrängt, weiter nach Sizilien zu fahren. Dort waren die | |
| Menschen am 12. April angekommen. Die Entfernung von Libyen nach Sizilien | |
| ist für kleine Gummiboote normalerweise nicht zu schaffen. Laut dem | |
| Guardian erwägt die Staatsanwaltschaft in Sizilien, nun wegen der Sache | |
| ein Verfahren gegen Malta zu eröffnen. | |
| Unterdessen ist in Italien eine für Juli geplante Anhörung des früheren | |
| italienischen Innenministers Matteo Salvini auf Oktober verschoben worden. | |
| Grund ist die Coronapandemie. In dem Verfahren gegen den Lega-Chef in | |
| Catania auf Sizilien geht es um ein Schiff der Küstenwache, das Migranten | |
| aus Seenot gerettet hatte. Salvini verbot der „Gregoretti“ im Sommer 2019 | |
| tagelang die Einfahrt in einen Hafen. | |
| In diesem Jahr sind bislang 269 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Vor allem | |
| wegen der Coronarestriktionen ist seit Wochen kein einziges privates | |
| Rettungsschiff im zentralen Mittelmeer im Einsatz. Allein zwischen dem 23. | |
| und dem 29. Mai haben sich neun Boote in dem Gebiet an die NGO Alarm Phone | |
| gewandt. Drei der Boote schafften es bis nach Italien, zwei wurden von | |
| Malta gerettet, die Insassen auf einer Fähre interniert. Die Menschen von | |
| vier weiteren Booten wurden nach Libyen zurückgebracht. „Von den 660 | |
| Personen in den Booten, die uns anriefen, erreichten 315 Europa, 345 wurden | |
| in ein Kriegsgebiet zurückgeschickt“, so das Alarm Phone. | |
| ## Angriff der libyschen Seepolizei | |
| Auch den libyschen Sicherheitskräften, die viele MigrantInnen auf dem Meer | |
| aufgreifen und zurückholen, könnte juristischer Ärger drohen. Darauf hofft | |
| zumindest die NGO Sea Eye. Am 6. April war deren Schiff „Alan Kurdi“ in | |
| internationalen Gewässern beschossen worden. Es war der zweite Zwischenfall | |
| dieser Art mit der „Alan Kurdi“ seit Oktober 2019. Recherchen des | |
| [3][WDR-Magazins „Monitor“] legen nahe, dass der erste Angriff von einem | |
| Schiff der libyschen Seepolizei ausging. [4][Sea Eye] hat wegen des | |
| Vorfalls am 6. April Anzeige gegen Unbekannt bei der Bundespolizei See in | |
| Hamburg erstattet. Die ist für Straftaten gegen deutsche Schiffe zuständig. | |
| Sea-Eye-Sprecher Julian Pahlke geht davon aus, dass auch der Angriff im | |
| April von einem Schiff der Seepolizei ausging. | |
| „Höchstwahrscheinlich sind das genau die Kräfte, die von Frontex und | |
| Bundespolizei ausgebildet werden.“ Laut Antwort des Auswärtigen Amts auf | |
| eine Anfrage des Linken-Abgeordneten [5][Andrej Hunko] hat die deutsche | |
| Botschaft in Tripolis die libyschen Behörden um Aufklärung gebeten – | |
| erfolglos: Die Küstenwache und das libysche Innenministerium äußerten sich | |
| nicht. „Dass die Bundesregierung die Aufklärung des Angriffs mit einer | |
| simplen Nachfrage beim Innenministerium bewenden lässt, grenzt an | |
| Strafvereitelung“, sagt Hunko dazu. | |
| 2 Jun 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://alarmphone.org/de/category/aktuelles/ | |
| [2] https://www.facebook.com/repubblika/ | |
| [3] https://www1.wdr.de/daserste/monitor/videos/video-eskalation-in-libyen-flue… | |
| [4] https://sea-eye.org/ | |
| [5] https://www.andrej-hunko.de/bt/fragen/4955-muendliche-frage-zur-festsetzung… | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
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