# taz.de -- Seenotrettung im Mittelmeer: „Ich lasse euch im Wasser sterben“ | |
> Während Italien endlich Geflüchtete an Land lässt, wird gegen Maltas | |
> Premier ermittelt. NGOs legen Mitschnitte von Geretteten vor, die ihn | |
> belasten sollen. | |
Bild: Nach zwei Wochen Quarantäne an Bord der „Rubattino“ dürfen die Gefl… | |
BERLIN taz | 183 aus Seenot gerettete Menschen durften am Montagmorgen in | |
Palermo an Land gehen. Die Behörden beendeten die zweiwöchige Quarantäne an | |
Bord der italienischen Fähre „Rubattino“. Zuvor waren alle 183 negativ auf | |
das Coronavirus getestet worden. Die Menschen waren im April von den | |
Rettungsschiffen „Alan Kurdi“ der deutschen NGO Sea-Eye sowie „Aita Mari�… | |
der spanischen NGO SMH an Bord genommen worden. Unter ihnen befinden sich | |
auch 44 unbegleitete Minderjährige. | |
Während der vergangenen 14 Tage waren die Geretteten auf der Fähre | |
„Rubattino“ vom italienischen Roten Kreuz versorgt worden. Italien hatte | |
ursprünglich angekündigt, sie nach Ende der Quarantäne nicht an Land zu | |
lassen. Stattdessen sollten andere EU-Staaten, etwa die Flaggenstaaten der | |
„Alan Kurdi“ und der „Aita Mari“, Deutschland und Spanien, sie direkt | |
übernehmen. Dies wäre praktisch allerdings kaum durchführbar gewesen. | |
Nun hat die italienische Regierung die Möglichkeit, regulär einen | |
sogenannten Umverteilungsfall auszulösen und bei der EU-Kommission die | |
Weiterverteilung der 183 Menschen in andere EU-Staaten zu beantragen. Dies | |
würde dann das europäische Asylunterstützungsbüro EASO übernehmen. Bis | |
Montagvormittag war dort allerdings keine entsprechende Anfrage | |
eingegangen, sagte EASO-Sprecher Anis Cassar der taz. | |
Derweil warten 57 aus Seenot Gerettete weiter in Quarantäne auf der Fähre | |
„Captain Morgan’s Europa II“ vor Malta. Auch die Regierung in Valetta hat | |
angekündigt, die Menschen nicht aufzunehmen. Maltas Aufnahmezentren seien | |
voll und wegen der Coronapandemie isoliert. In einem Schreiben an die | |
EU-Kommission spricht Malta von einer „noch nie da gewesenen | |
Gesundheitskrise“ und mangelnder Solidarität europäischer Partner. Das | |
kleinste EU-Land könne keinen „sicheren Ort“ für aus Seenot gerettete | |
Menschen darstellen. | |
## Ermittlungen gegen Maltas Premier | |
In Malta läuft seit dem 17. April ein Ermittlungsverfahren gegen den | |
Ministerpräsidenten Robert Abela und ein halbes Dutzend Küstenwächter. | |
Diese waren wegen zweier Vorfälle in der maltesischen Seenotrettungszone um | |
Ostern angezeigt worden. Die Küstenwächter sollen dabei das Motorkabel | |
eines in Seenot geratenen Flüchtlingsboots durchtrennt haben, statt die | |
Insassen zu retten. Erst durch internationalen Druck – selbst die New York | |
Times hatte wegen der Sache bei Maltas Behörden nachgebohrt – sei die | |
Gruppe doch noch gerettet worden, sagt die Initiative Alarm Phone. | |
Der taz liegen nun Mitschnitte von [1][Telefongesprächen] vor, die das | |
Alarm Phone aufgenommen hatte. Sie war mit den 66 Schiffbrüchigen per | |
Satellitentelefon in Kontakt, während sie fünf Tage auf See trieben und | |
nach dem ersten Notruf 41 Stunden lang auf Rettung warteten. | |
Auf dem ersten Mitschnitt, den Angaben zufolge aufgenommen am | |
Gründonnerstag um 18 Uhr, ist zu hören, wie ein Mann davon berichtet, ein | |
maltesischer Soldat habe ihr Stromkabel für den Motor gekappt, ihr Boot | |
laufe voll Wasser. „Er sagt, niemand kommt nach Malta, das hat er gesagt. | |
Und als er ging, sagte er, ich verlasse euch, ich lasse euch im Wasser | |
sterben, aber niemand kommt nach Malta.“ | |
In einem weiteren Mitschnitt von 18.30 Uhr nennt ein Anrufer von demselben | |
Telefon aus die Kennung des maltesischen Küstenwachboots, das weiter in | |
Sichtweite sei, aber keine Anstalten zur Rettung mache: P52. Ebenjenes | |
Küstenwachboot war am fraglichen Tag an der Stelle im Einsatz. | |
Gegen 21.15 Uhr an diesem Abend veröffentlichte die maltesische Regierung | |
dann eine Pressemitteilung, in der sie erklärte, dass „die maltesischen | |
Behörden nicht in der Lage sind, die Rettung von verbotenen Einwanderern an | |
Bord von Booten, Schiffen oder anderen Wasserfahrzeugen zu garantieren“. | |
Um 23.30 Uhr rettete die Küstenwache die 66 Menschen doch – rund 41 Stunden | |
nachdem sie den ersten Notruf abgesetzt hatten. | |
## „Teil des normalen Verfahrens“ | |
Am 26. April hatte Ministerpräsident Abela in einem Interview mit One, dem | |
Sender seiner Partei PL, auf diese Vorwürfe Bezug genommen. Er leugnete das | |
Durchtrennen des Kabels nicht, sagte aber, es habe sich nicht um Sabotage, | |
sondern um einen „Teil des normalen Verfahrens“ gehandelt. Statt den | |
Soldaten zu danken, würden „oppositionelle“ NGOs versuchen, diese durch ein | |
Ermittlungsverfahren „lebenslänglich ins Gefängnis“ zu bringen, sagte | |
Abela. | |
Im zweiten Punkt in den Ermittlungsverfahren gegen Abela und die | |
Küstenwächter geht es um einen Vorfall zwei Tage später. Da war ein | |
weiteres Boot vor Malta in Seenot geraten und trotz Notrufs über Tage nicht | |
gerettet worden. Am Ostersonntag wurden 51 der Insassen von Handelsschiffen | |
im Auftrag Maltas ins Bürgerkriegsland Libyen zurückgebracht. Fünf Menschen | |
ertranken dabei, sieben Menschen gelten als vermisst. | |
## Abschiebung nach Libyen | |
Dazu hat der bereits im Januar entlassene Regierungsbeamte Neville Gafà | |
gegen den Ministerpräsidenten Robert Abela ausgesagt und diesen belastet. | |
Gafà sagte am vergangenen Donnerstag vor Gericht, er war „in der Osternacht | |
und in den darauf folgenden Tagen an einer Mission beteiligt, bei der ein | |
Boot mit 51 irregulären Migranten, darunter 8 Frauen und 3 Minderjährige, | |
in den Hafen von Tripolis gebracht wurde. Auf demselben Boot befanden sich | |
fünf Leichen.“ | |
Den Auftrag hierzu habe ihm Abela erteilt. Der bestreitet zwar, Gafà zu der | |
Sache hinzugezogen zu haben. Dass die Menschen nach Libyen zurückgebracht | |
wurden, sei aber zutreffend. Ein solches Vorgehen sei legal und habe „der | |
Rettung von Leben“ gedient, so Abela. Das Ganze ist auch deswegen heikel, | |
weil auf Malta gegen Gafà parallel ein längliches Verfahren wegen | |
massenhafter illegaler Verkäufe von Schengen-Visa in Libyen läuft. | |
Indessen ist die Zahl der Asylanträge in Europa durch die Coronakrise stark | |
zurückgegangen. Nach Angaben des europäischen Asylunterstützungsbüros EASO | |
stellten im März rund 34.700 Menschen in der EU sowie in Norwegen, Island, | |
Liechtenstein und in der Schweiz einen ersten Asylantrag. Das waren 43 | |
Prozent weniger als im Februar 2019. In den ersten beiden Monaten dieses | |
Jahres habe die Agentur noch ein „anhaltend hohes Antragsniveau“ zu | |
verzeichnen gehabt, hieß es. | |
4 May 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://alarmphone.org/en/2020/05/03/sabotage-delays-and-non-assistance/?po… | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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