| # taz.de -- Corona verschärft Rassismus: Ein Stigma, das bleibt | |
| > An vielen Orten werden Migranten und Flüchtlinge gerade als „Überträger�… | |
| > weggesperrt. Die Gefahr einer dauerhaften Stigmatisierung wächst. | |
| Bild: Ein Transparent gegen die Stigmatisierung von Migranten und Flüchtlingen | |
| Mit rasender Geschwindigkeit [1][verschärft Covid-19 den Fremdenhass] und | |
| den Rassismus weltweit. Angst und Hass gegenüber Fremden als mutmaßlichen | |
| Krankheitsüberträgern sind gegen bestimmte Gruppen gerichtet, etwa | |
| asiatisch aussehende Menschen, häufig aber auch ganz allgemein gegen | |
| Flüchtlinge und Migranten. Solche xenophoben Stimmungen zeigen sich, wenn | |
| Trump behauptet, Migranten seien für die Ausbreitung der Infektion in den | |
| USA verantwortlich, wenn Orbán das Coronavirus mit „illegalen Migranten“ in | |
| Ungarn in Verbindung bringt, wenn Salvini afrikanische Migranten in Italien | |
| beschuldigt und in vielen afrikanischen Ländern Fremdenhass grassiert. | |
| Derlei Stimmungsmache führt zu gezielten Bewegungseinschränkungen für | |
| Migranten und Flüchtlinge, die zurzeit an weit voneinander entfernten Orten | |
| zu beobachten sind: an der Grenze zwischen den USA und Mexiko, in | |
| Griechenland, im Libanon, in Bosnien und in Singapur. Gesundheitsexperten | |
| bezeichnen solche Maßnahmen als den sichersten Weg in eine humanitäre | |
| Katastrophe, während Juristen sie als Menschenrechtsverletzungen | |
| anprangern. Politische Entscheidungsträger hingegen beharren darauf, dass | |
| das pauschale Wegsperren bestimmter Kategorien von Personen der | |
| öffentlichen Gesundheit dienen kann. | |
| ## Stigma führt zu gesundheitlicher Ungleichheit | |
| Diese Maßnahmen kommen [2][den Bevölkerungsgruppen sehr gelegen], die | |
| misstrauisch gegenüber „Ausländern“ sind, vor allem solchen ohne gültige | |
| Papiere, gegenüber Asylsuchenden oder Geringqualifizierten. Wenn es unter | |
| eingesperrten Migranten und Flüchtlingen zu massenhaften Infektionen mit | |
| dem Coronavirus käme, würde sich eine düstere Prophezeiung selbst erfüllen: | |
| dass Migranten und Flüchtlinge eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit | |
| seien. | |
| So könnten durch die Pandemie geschürte Vorurteile und gegenseitige | |
| Schuldzuweisungen zum Stigma werden: Einer ganzen Gruppe von Menschen wird | |
| ein Stempel aufgedrückt und behauptet, sie seien faul oder ließen es an | |
| Hygiene mangeln. Die Betroffenen leiden unter einem niedrigen Status, unter | |
| Vorurteilen und Diskriminierung, die ihre sozialen Beziehungen, ihr Ansehen | |
| in der Öffentlichkeit, aber auch institutionelle Strukturen wie Polizei, | |
| Gerichte oder Arbeitsämter beeinflussen. In der Folge führt das Stigma zu | |
| gesundheitlicher Ungleichheit und verstärkt diese. | |
| Es besteht die Gefahr, dass der gegenwärtige Umgang mit Migranten und | |
| Flüchtlingen zu ihrer Stigmatisierung als Krankheitsüberträger führt, die | |
| noch lange nach dem Abklingen der Coronakrise anhalten könnte. Dies könnte | |
| zu neuen Formen des ‚ethnic profiling‘ ermutigen – bei Grenzkontrollen | |
| etwa, wo durch biometrische Verfahren mutmaßlich Gesunde von Menschen mit | |
| einem Gesundheitsrisiko unterschieden werden könnten. | |
| Ein Stigma lässt sich nur schwer wieder beseitigen. Das wird sich vor allem | |
| in der Welt nach Covid-19 erweisen, wo viele Menschen direkt unter der | |
| Krankheit, dem Verlust ihrer Angehörigen oder des Arbeitsplatzes, | |
| finanzieller Not und familiären Spannungen wegen des Lockdowns gelitten | |
| haben werden. Darauf werden viele vermutlich mit Angst und | |
| Schuldzuweisungen reagieren. Das könnte zu weiterer Diskriminierung führen, | |
| zu Feindseligkeit und Gewalt. | |
| ## HIV-Aufklärungskampagnen als Vorbild | |
| Was es jetzt braucht, sind Schritte zur präventiven Entstigmatisierung. Das | |
| erfordert eine Reihe von Maßnahmen, um öffentliche Darstellungen, in den | |
| Medien, in der Politik und in der Werbung, sowie Verfahren, etwa in der | |
| Einwanderungs-, Integrations- und Sozialpolitik, zu verändern. Ein solcher | |
| Wandel muss von Regierungen und hochrangigen Persönlichkeiten initiiert und | |
| getragen werden. Als Beispiel könnten die Aufklärungskampagnen dienen, die | |
| dazu beitrugen, die Stigmatisierung HIV-Infizierter in den 1980er und | |
| 1990er Jahren zu vermindern. | |
| Damals zeigte man, dass HIV-Infizierte Menschen waren wie alle anderen. | |
| Solch ein Wandel in der öffentlichen Darstellung von Migranten und | |
| Flüchtlingen, vor allem im Zusammenhang mit Covid-19, sollte nicht darauf | |
| beschränkt sein, stereotype Vorstellungen von Merkmalen zu widerlegen, die | |
| einer fremden „Kultur“ oder einem fremden Gruppenverhalten zugeschrieben | |
| werden. | |
| Ein erster wichtiger Schritt besteht darin, zu vermitteln, dass Migranten | |
| und Flüchtlinge Kategorien sind, die eine große Vielfalt aufweisen, etwa in | |
| Bezug auf ihren Rechtsstatus, ihre Migrationswege, Nationalitäten und | |
| Volkszugehörigkeiten, auf ihre Geschlechter- und Altersprofile. Diese | |
| grundlegende Tatsache – dass Migranten und Flüchtlinge sich untereinander | |
| sehr stark unterscheiden und sehr verschiedene Erfahrungen gemacht haben – | |
| muss immer wieder betont werden. | |
| Auch die Schuldzuweisungen sollten durch die Entstigmatisierung unterbunden | |
| werden, indem die strukturellen und sozioökonomischen Bedingungen und die | |
| Verletzlichkeit vieler Migranten und Flüchtlinge aufgezeigt werden, so wie | |
| es das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) und die | |
| Internationale Arbeitsorganisation (ILO) gerade tun. | |
| Es sollte sich die Einsicht durchsetzen, dass „die da“, also Menschen, die | |
| ihre Heimat verlassen mussten, sich gar nicht so sehr unterscheiden von | |
| „uns“, die wir in unserer Heimat sicher leben können. Migranten und | |
| Flüchtlinge sind Menschen, die oft unter furchtbaren Bedingungen leben | |
| müssen. Statt sie als Gefahr für alle anderen anzusehen, sollte man | |
| anerkennen, dass sie durch die häufig schrecklichen Lebensbedingungen viel | |
| eher Gefahren ausgesetzt sind als der Großteil der Weltbevölkerung. | |
| Migranten und Flüchtlinge verdienen mehr Verständnis, Mitgefühl und | |
| Anteilnahme, mit einem Wort: mehr Empathie – das genaue Gegenteil eines | |
| Stigmas, das bleibt. | |
| Aus dem Englischen von Eva Völker | |
| 26 Apr 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Rassismus-in-und-wegen-der-Coronakrise/!5676008 | |
| [2] /Privilegien-in-Corona-Krise/!5677150 | |
| ## AUTOREN | |
| Steven Vertovec | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Fremdenhass | |
| Bildungschancen | |
| Malta | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Gesundheit | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Lesestück Interview | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Migration in der Coronakrise: „Probleme haben sich verdreifacht“ | |
| Die Corona-Krise trifft alle, aber nicht alle gleich. Organisationen für | |
| Migration unterstützen Eltern im Homeschooling und helfen mit | |
| Informationen. | |
| Seenotrettung im Mittelmeer: „Ich lasse euch im Wasser sterben“ | |
| Während Italien endlich Geflüchtete an Land lässt, wird gegen Maltas | |
| Premier ermittelt. NGOs legen Mitschnitte von Geretteten vor, die ihn | |
| belasten sollen. | |
| Rassismus wegen Corona: „Diskriminierung wie nie zuvor“ | |
| Jae-Hyun Yoo berät koreastämmige Menschen, die in Deutschland Rassismus | |
| erlebt haben. Die Coronakrise habe zu einer Enthemmung geführt, sagt er. | |
| Coronakrise in Flüchtlingsheimen: Eilantrag mit Erfolg | |
| Nach Protesten von Geflüchteten in Sachsen entschied nun ein Gericht: Die | |
| Massenunterbringung im Heim Dölzig widerspricht dem Infektionsschutzgesetz. | |
| Anonyme Krankenscheine für Geflüchtete: Sozialbehörde als Gesundheitsrisiko | |
| Dass Hamburg keine anonymen Krankenscheine für Papierlose in der | |
| Coronakrise einführt, ist verantwortungslos. | |
| Privilegien in Corona-Krise: Das Ende der Überlegenheitsarie | |
| Eine arrogante, rassistische und eurozentristische Weltdeutung blendet den | |
| Grund für die eigenen Privilegien im Umgang mit der Coronapandemie aus. | |
| Über alltäglichen Rassismus: „Da werden Debatten gern umgedreht“ | |
| Ozan Zakariya Keskinkılıç hat die Frage, wie es zu Rassismus kommt und was | |
| der mit Betroffenen macht, zu seinem Beruf gemacht. | |
| Rassismus gegen Afrikaner in China: Virenjagd wird Menschenjagd | |
| „Keine Schwarzen“ bei McDonald’s, Rauswurf aus der Wohnung: Rassismus im | |
| südchinesischen Guangzhou sorgt für Empörung. |