# taz.de -- Keine Rettung im Mittelmeer: Flüchtlinge verzweifeln in Seenot | |
> Wegen Corona haben Malta und Italien Rettungsaktionen offiziell | |
> eingestellt. Am Osterwochenende trieben hunderte Menschen auf dem | |
> Mittelmeer. | |
Bild: Besatzungsmitglieder des Rettungsschiffs „Alan Kurdi“ bei einem Einsa… | |
BERLIN taz | Seit Karfreitag sind vier Flüchtlingsboote mit rund 250 | |
Menschen im Mittelmeer in Seenot geraten, ohne dass Rettungsmaßnahmen | |
eingeleitet wurden. Ein Boot mit 85 Menschen ist möglicherweise gesunken. | |
Das geht aus Berichten der Initiative [1][Alarm Phone] hervor, die seit | |
Tagen über Satellitentelefon mit den Schiffbrüchigen in Kontakt stand. | |
Eines der Boote hatte den Angaben zufolge bereits am Freitag um 23 Uhr | |
einen Notruf abgesetzt. Bis Sonntagmittag war keine Rettung für die 45 | |
Insassen gekommen. Diese verzweifelten: „Wir sind so müde, die Situation | |
ist die Hölle“, sagte einer der Insassen per Telefon dem Alarm Phone. Ihr | |
Boot laufe voller Wasser. „Es gibt weder Wasser noch Nahrung. Einige | |
Menschen haben das Bewusstsein verloren. Wir werden sterben.“ Ähnlich war | |
die Lage auf den drei anderen Booten, zu denen die Initiative am Sonntag | |
noch Verbindung hatte. Drei der vier Boote befanden sich den Positionsdaten | |
der Satellitentelefone zufolge in der maltesischen Rettungszone. | |
Malta hatte am Donnerstag [2][angekündigt,] wegen der Corona-Pandemie | |
vorerst keine Rettungen im Mittelmeer durchzuführen. Die Regierung sagte, | |
sie könne keinen Migranten mehr helfen, die von Afrika nach Europa | |
übersetzen. Polizei und Militär konzentrierten ihre Ressourcen auf die | |
Bekämpfung von Sars-CoV-2. Zudem gebe es keinen sicheren Ort auf | |
maltesischem Territorium für Immigranten auf Booten oder Schiffen. Laut der | |
Berliner Tagezeitung Tagesspiegel hatte die maltesische Regierung eine | |
entsprechende „[3][Verbalnote]“, eine diplomatische Mitteilung, auch an die | |
Bundesregierung übersandt. | |
## Corona als Ausrede | |
Insgesamt, so Alarm Phone, hätten in den vergangenen sieben Tagen über | |
1.000 Menschen versucht, mit Booten aus Libyen zu fliehen. Europe benutze | |
Covid19 als Ausrede, um nicht mehr zu retten, heißt es in einer | |
[4][Erklärung] von Alarm Phone. „Boote werden treibend zurückgelassen oder | |
sabotiert. Migranten werden aufgefordert, auf See zu sterben. Mehrere | |
Todesfälle werden von Überlebenden gemeldet.“ Seuchenschutzmaßnahmen, die | |
im Namen der „Rettung von Leben“ angeordnet würden, hätten den | |
gegenteiligen Effekt: Menschen seien „ernsthaft gefährdet, in Seenot zu | |
sterben.“ | |
Am Donnerstag hatten Insassen eines Flüchtlingsbootes schwere Vorwürfe | |
gegen die maltesische Küstenwache erhoben. Diese sei zur Unglücksstelle | |
gefahren, habe dort aber keine Hilfe geleistet. Stattdessen hätten | |
maltesische Militärs das Kabel ihres Motors durchschnitten und gesagt: „Wir | |
lassen Euch hier sterben. Keiner von Euch wird nach Malta gelangen.“ | |
Allerdings rettete die Küstenwache die 70 Insassen dieses Bootes in den | |
folgenden Stunden doch und brachte sie nach Valetta. | |
Danach verkündete die Regierung den Stop aller weiterer Rettungsaktionen. | |
Alarm Phone geht davon aus, dass der Bericht der Bootsinsassen zutreffend | |
war, die Küstenwache aber wegen [5][der medialen Aufmerksamkeit] auf den | |
Fall die Menschen am Ende doch gerettet habe. | |
Bereits am Dienstagabend hatte das italienische Innenministerium erklärt, | |
dass die italienischen Häfen wegen der Coronavirus-Pandemie nicht mehr als | |
„sicher“ gelten könnten. Schiffe mit aus Seenot geretteten Flüchtlingen an | |
Bord dürfen demnach nicht mehr in italienischen Häfen anlegen. | |
Mehrere Seenotrettungsorganisationen hatten dies scharf kritisiert. Die | |
wegen der Corona-Krise leidenden Bürger Italiens dürften nicht der Grund | |
dafür sein, „jenen Hilfe zu verwehren, die nicht Gefahr laufen, in einem | |
Intensivbett zu ersticken, sondern zu ertrinken“, heißt es in einer | |
gemeinsamen Erklärung der Organisationen Ärzte ohne Grenzen, SOS | |
Méditerranée, Sea Watch und Open Arms. | |
## Post vom Papst | |
Unterdessen wandte sich Papst Franziskus in einem Schreiben an italienische | |
Seenotretter und sagte seine Unterstützung zu. „Danke für alles, was ihr | |
tut. Ich möchte euch sagen, dass ich immer bereit bin, euch zu helfen. | |
Zählt auf mich“, zitierte die deutsche NGO Sea Eye aus dem Schreiben. | |
Deren Rettungsschiff „Alan Kurdi“ hatte bereits am vergangenen Montag knapp | |
150 Menschen im Mittelmeer gerettet und war seither auf der Suche nach | |
einem Hafen für diese. Am Sonntagmittag teilte das italienische | |
Verkehrsministerium mit, die Geretteten sollen „in den nächsten Stunden“ | |
auf ein anderes Schiff verlegt und dort unter Quarantäne gestellt werden. | |
Bei der Verlegung soll die italienische Küstenwache „technische | |
Unterstützung“ leisten. | |
Auf dem Schiff würden die Migranten vom italienischen Roten Kreuz und von | |
Gesundheitsbehörden untersucht. Wegen der Corona-Pandemie könnte dies nicht | |
in einem italienischen Hafen erfolgen. Einen der Migranten hatte die | |
italienische Küstenwache bereits aus gesundheitlichen Gründen abgeholt. | |
Gorden Isler von Sea-Eye begrüßte die Übernahme der Migranten. „Wenn die | |
italienische Küstenwache die geretteten Menschen an Bord der „Alan Kurdi“ | |
übernähme, würde diese Pattsituation endlich ein Ende haben“, sagte Isler | |
der dpa am Telefon. Die großen Schiffe der italienischen Küstenwache seien | |
viel besser geeignet und die Geretteten dort sicher. „Wir wären für eine | |
solche Lösung sehr dankbar.“ | |
## Unklare Perspektive | |
Offen bleibt, wo die Menschen letztlich an Land gehen können. Die Regierung | |
in [6][Rom sieht Deutschland als Flaggenstaat der „Alan Kurdi“ in der | |
Pflicht]. Italien und Malta hätten schon frühzeitig private | |
Seenotrettungsorganisationen gewarnt, dass ihre Häfen für | |
Flüchtlingsschiffe wegen der Corona-Krise geschlossen seien. | |
Die Bundesregierung hatte die EU-Kommission um „koordinierende | |
Unterstützung“ gebeten bei der Frage, wo die Flüchtlinge an Land gehen | |
könnten, wie ein Sprecher am Freitag sagte. Das Bundesinnenministerium | |
hatte erklärt, die Bundesregierung prüfe alternative Orte und stehe dazu in | |
Kontakt mit verschiedenen europäischen Partnern. Deutschland sei bereit, | |
einen „konstruktiven Beitrag“ zu leisten. (Mit Material von epd und dpa). | |
12 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://alarmphone.org/de/ | |
[2] https://www.reuters.com/article/us-health-coronavirus-malta-migrants/malta-… | |
[3] https://www.tagesspiegel.de/politik/ein-appell-menschen-ertrinken-zu-lassen… | |
[4] https://alarmphone.org/en/2020/04/11/the-covid-19-excuse/?post_type_release… | |
[5] /Fluechtlinge-in-der-Corona-Krise/!5672393 | |
[6] /Seenotrettung-auf-dem-Mittelmeer/!5677713 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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