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# taz.de -- Seenotrettung im Mittelmeer: „Neuer moralischer Tiefpunkt“
> Im März reformierte das Verkehrsministerium die Sportbootverordnung. Die
> Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer wird so nahezu unmöglich.
Bild: Sportboote, die für Freizeitzwecke gebaut sind, dürfen nicht für ander…
Berlin taz | Mit zwei Rechtsreformen versuche die Bundesregierung, die
[1][private Seenotrettung im Mittelmeer] auszuhebeln. Das werfen die NGOs
Mission Lifeline, Resqship, Mare Liberum und Sea-Watch
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) vor.
Der hat bereits im März die Schiffsicherheitsverordnung und die
See-Sportboot-Verordnung geändert. Kern der Reform: Sportboote, die für
Freizeitzwecke gebaut und als solche im Schiffsregister registriert sind,
dürfen nicht für andere Zwecke eingesetzt werden. Missionen zur
Seenotrettung oder zur Beobachtung der humanitären Lage auf See wären damit
tabu. Für solche müssten die gleichen Sicherheitsanforderungen erfüllt sein
wie für kommerzielle Schiffe. Für die NGOs sei das nicht zu leisten, sagen
diese.
Die neuen Regeln gelten für alle Schiffe, die unter deutscher Flagge
laufen, und zwar auch dann, wenn sie außerhalb deutscher Hoheitsgewässer
unterwegs sind, etwa im Mittelmeer. Nach Einschätzung der NGOs hätten damit
andere EU-Staaten – etwa Italien, Malta oder Griechenland – Handhabe,
solche Schiffe in ihren Häfen festzusetzen und am Auslaufen zu hindern.
Konkret betroffen wäre aktuell das Schiff „Rise Above“. Der Dresdner Verein
Mission Lifeline lässt es derzeit in Norddeutschland ausbauen, um im
Mittelmeer Rettungsaktionen durchzuführen. Gleiches gilt für das
Segelschiff „Josefa“ des Hamburger Vereins Resqship, mit dem dieser im
zentralen Mittelmeer Aufklärungsmissionen unternimmt.
Sportboote künftig nur für Sport- oder Erholungszwecke
An der Kette bleiben könnte auch die „Mare Liberum“ des gleichnamigen
Berliner Vereins, die in der Ägäis zur Menschenrechtsbeobachtung unterwegs
ist. Mare Liberum hatte im vergangenen Jahr in zwei Instanzen ein
Gerichtsverfahren gewonnen, in dem sich der Verein erfolgreich gegen die
Festsetzung seines Schiffs gewehrt hatte. Doch da galt noch das alte Recht.
Das Verkehrsministerium nimmt in der Begründung für die Reform, die der taz
vorliegt, explizit Bezug auf die Seenotretter. Boote dürften nur dann ohne
Sicherheitszeugnis betrieben werden, wenn das „Risikoprofil“ des
Einsatzzwecks „signifikant geringer“ sei als in anderen Fällen, heißt es
darin.
Dass Sportboote künftig „ausschließlich für Sport- oder Erholungszwecke“
genutzt werden dürfen, soll sicherstellen, dass „Fahrzeuge, die von
Vereinen und Privatpersonen zielgerichtet zum Beispiel im Bereich des
Umweltschutzes, der Seenotrettung, inklusive Beobachtungsmissionen, oder
anderer humanitärer Zwecke eingesetzten werden“, in Zukunft „risikogerecht…
behandelt werden. Soll heißen: Für sie gelten die gleichen Anforderungen
wie für die Berufsschifffahrt.
Das klingt, als seien die Sicherheitsstandards bislang zu niedrig. Die NGOs
weisen das zurück: Seit der Gründung der ersten Seenot-NGO Sea-Watch 2015
habe es bei Hunderten Missionen „nicht einen einzigen Unfall gegeben, der
ein Crewmitglied an Leib oder Leben geschädigt hätte“, heißt es in einer
gemeinsamen Erklärung. Den Einsatz von Rettungsschiffen mit „überzogenen
Sicherheitsanforderungen“ zu verhindern, sei „zynisch gegenüber
Flüchtenden, die sich in akuter Seenot befinden und auf Rettung hoffen“.
NGOs nicht angehört
Die NGOs haben erst durch die Berufsgenossenschaft von den Rechtsreformen
erfahren – angehört wurden sie nicht. „Ziel der neuen Verordnung ist
schlicht, unsere Einsätze zu verhindern. Anscheinend sieht Andreas Scheuer
lieber [2][Menschen im Mittelmeer ertrinken], als dass sie Europa lebend
erreichen“, sagt Hanno Bruchmann, Vorstandsmitglied von Mare Liberum.
„Das Verkehrsministerium schafft damit auch aus moralischer Sicht einen
neuen Tiefpunkt, indem es humanitäre Hilfe mit einem vorgeschobenen
Argument zu verhindern versucht“, erklärt Stefen Seyfert von Resqship. Es
seien gerade die zivilen Organisationen, die für mehr Sicherheit auf See
sorgen.
Die NGOs sehen Parallelen zum Vorgehen der Niederlande gegen
Seeotrettungsschiffe unter niederländischer Flagge: Auch dort wurde
zunächst der Einsatz von kleineren, als Sportboot registrierten
Rettungsschiffen verboten, anschließend wurden durch eine weitere
Gesetzesänderung auch große, als Frachtschiff registrierte Rettungsschiffe
zum Flaggenwechseln gezwungen.
9 Jun 2020
## LINKS
[1] /NGO-Schiff-Alan-Kurdi-festgesetzt/!5683120
[2] /Push-backs-von-Gefluechteten/!5687089
## AUTOREN
Christian Jakob
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