# taz.de -- EU-Flüchtlingspolitik auf dem Mittelmeer: Verstoß gegen EU-Hausha… | |
> NGOs erheben Beschwerde gegen die EU-Zusammenarbeit mit der Libyschen | |
> Küstenwache. Sie verstoße gegen Menschenrechte. | |
Bild: Die sogenannte Libysche Küstenwache: Von der EU hochgerüstet, verstöß… | |
TUNIS taz | Die von der EU und ihren Mitgliedstaaten im Windschatten der | |
Coronakrise zuletzt weiter massiv vorangetriebene Grenzabriegelung im | |
Mittelmeer wird immer grotesker. Die jüngst enthüllten [1][Maßnahmen | |
Maltas], um Flüchtende am Erreichen maltesischer Gewässer zu hindern, | |
laufen jedoch offenbar internationalem Seerecht zuwider. | |
Maltas Regierung hatte private Fischkutter beauftragt, im Mittelmeer in | |
Seenot geratene Boote abzufangen oder zu retten und die Insassen in das vom | |
Krieg zerrissene Libyen zurückzubringen. Das Land gilt jedoch nicht als | |
„sicherer Hafen“ für Geflüchtete oder Schiffbrüchige, drohen ihnen hier | |
doch Misshandlung, Folter und Internierung in informellen Haftanstalten. | |
Derlei Rückführungen Geflüchteter nach Libyen waren zuletzt oft von der | |
sogenannten libyschen Küstenwache durchgeführt worden, die seit Jahren von | |
der EU hochgerüstet wird. Brüssels Kooperation war bisher meist dafür | |
kritisiert worden, gegen internationales See- und Flüchtlingsrecht zu | |
verstoßen und Rückführungen von Menschen in ein Land Vorschub zu leisten, | |
in dem [2][Menschenrechte systematisch verletzt] werden. Eine letzte Woche | |
beim EU-Rechnungshof eingereichte Beschwerde stellt die Zusammenarbeit nun | |
auch aus einem anderen Blickwinkel infrage. | |
Die vom Global Legal Action Network und den italienischen NGOs Asgi und | |
Arci vorgetragene Beschwerde wirft einem in Libyen durchgeführten | |
Grenzkontrollprojekt vor, EU-Haushaltsrecht zu verletzen. Konkret geht es | |
dabei um ein seit 2017 mit rund 90 Millionen Euro gefördertes Programm zum | |
Ausbau von „Integriertem Grenzmanagement“ in dem Land. Im Rahmen des aus | |
Mitteln des EU-Treuhandfonds für Afrika (EUTF) finanzierten Projekts wird | |
die libysche Küstenwache mit Trainings unterstützt und mit Booten | |
beliefert. | |
## Vorwurf: Zweckentfremdung von Steuermitteln | |
Damit machten sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten an „umfassend | |
dokumentierten und systematischen“ Menschenrechtsverstößen libyscher | |
Behörden „mitschuldig“, heißt es in der Beschwerde, die sich auf ein | |
Rechtsgutachten stützt. Das Projekt habe zu ernsthaften Verletzungen von | |
EU-Haushalts- und Verfassungsrecht geführt. | |
Die Beschwerde wirft der EU Zweckentfremdung von Steuermitteln vor. Für die | |
Armutsreduktion vorgesehene Gelder seien für nicht entwicklungsrelevante | |
Ziele wie Grenzkontrollen eingesetzt worden. Die Umleitung von Mitteln für | |
Zwecke, die nicht vom EU-Parlament genehmigt wurden, sei „nicht einfach | |
eine technische Frage, sondern eine Verletzung des Haushaltsrechts des | |
EU-Parlaments“ und stelle damit „demokratische Prinzipien innerhalb der | |
EU-Verfassungsordnung“ infrage, so das Gutachten. | |
Der Rechnungshof habe bereits 2018 Bedenken über den Missbrauch des EUTF | |
geäußert, als er feststellte, dass dessen eigentliche Ziele nicht darin | |
bestünden, Ursachen irregulärer Migration anzugehen, sondern die Zahl in | |
Europa ankommender Geflüchteter zu verringern, sagt Giorgia Pintus von Arci | |
der taz. | |
Die Beschwerde fordert eine Überprüfung des Projekts, das vorerst | |
ausgesetzt werden solle. Die EU müsse die Finanzierung von Maßnahmen | |
zugunsten der Küstenwache davon abhängig machen, ob diese die | |
Menschenrechte achte. | |
Die Beschwerde stellt dabei nicht nur die EUTF-Finanzierung des | |
IBM-Projektes infrage, sondern könnte sich auch auf EUTF-finanzierte | |
Grenzkontrollprojekte in anderen Ländern auswirken. Der Vorstoß dürfte die | |
EU zwar nicht zu einer grundsätzlichen Abkehr von ihrer | |
Grenzauslagerungspolitik zwingen, hat aber durchaus das Potenzial, ihr | |
Steine in den Weg zu legen. | |
3 May 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Keine-Rettung-im-Mittelmeer/!5677963 | |
[2] /Situation-in-Libyen/!5605865 | |
## AUTOREN | |
Sofian Philip Naceur | |
## TAGS | |
Libyen | |
Seenotrettung | |
EU-Flüchtlingspolitik | |
Menschenrechte | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
EU-Rechnungshof | |
Schwerpunkt Libyenkrieg | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Flucht | |
Flüchtlinge | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
EU-Haushalt 2023: Budget im Zeichen des Krieges | |
Ukraine, Green Deal, Corona: Der in Brüssel beschlossene Finanzplan ist | |
186,6 Milliarden Euro schwer. Er ist allerdings mit großen Unsicherheiten | |
belastet. | |
Recherche der Zeitung „Libération“: 325.000 Euro fiktive Miete | |
Eine Recherche bringt Klaus-Heiner Lehne (CDU) in Bedrängnis. Der Chef des | |
EU-Rechnungshofes soll bei Mietzuschüssen an sich selbst betrogen haben. | |
Krieg in Nordafrika: Who's who in Libyen | |
Eine Regierung ohne Macht, ein Militärchef ohne Regierung und ein Parlament | |
ohne Funktion – ein Überblick über den Dauerkriegsschauplatz Libyen. | |
Seenotrettung im Mittelmeer: Keine Hilfe mehr | |
Im Mittelmeer ist kein einziges privates Rettungsschiff mehr im Einsatz. | |
Vor allem die Quarantänebestimmungen legen Schiffe und Besatzungen lahm. | |
Seenotrettung in Corona-Zeiten: Länder verweigern weiter Aufnahme | |
Die „Alan Kurdi“ wartet mit rund 150 Menschen auf eine Lösung. Derweil hat | |
ein spanisches Schiff vor Malta 43 Schiffbrüchige geborgen. | |
Keine Rettung im Mittelmeer: Flüchtlinge verzweifeln in Seenot | |
Wegen Corona haben Malta und Italien Rettungsaktionen offiziell | |
eingestellt. Am Osterwochenende trieben hunderte Menschen auf dem | |
Mittelmeer. |