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# taz.de -- Angebote norddeutscher Theater: Einrichten in der Krise
> Erst gab es nur Social-Media-Formate, mittlerweile werden ganze Stücke
> online gezeigt oder virtuelle Führungen durch die Häuser angeboten.
Bild: Das Publikum sitzt zu Hause: Szene aus der Online-Premiere von „Maria S…
Bremen taz | Was vor vier Wochen noch vernünftig schien, war vor drei
Wochen leichtsinnig und gilt seit zwei Wochen als rücksichtslos. Die
Krisenpolitik hat den Alltag quarantänisiert und alle in Ko-Präsenz mit
Publikum geplanten Kulturveranstaltungen verboten. [1][Also sitzen auch die
Theatermenschen daheim,] aber trotz Social Distancing kreativ zu sein, das
ist bei vielen ein Impuls gegen den Stress der Verunsicherung. Und gerade
die fest angestellten, also finanziell auch während des Shutdowns
abgesicherten, darstellenden Künstler werden von ihren Arbeitgebern
hofiert, irgendwie weiter zu singen, zu tanzen, zu spielen. Und so sprudeln
die Facebook-, Instagram- und Web-Seiten der Theater über mit
Coronanachrichten.
Zuerst waren es Bekundungen, wie sehr das Publikum fehlt, wie sehr sich
auch die Kollegen untereinander vermissen und daran leiden, dass so viele
Produktionen unerlöst in Probewoche X alleingelassen wurden. Es folgte
Phase zwei: Kaum ein Theater, das nicht online Gedichte aufsagen, Bücher
vorlesen, Hausmusik zelebrieren, Kochrezepte ausprobieren, Kuchen backen,
Fitnessanleitungen und Make-up-Tutorials sowie Miteinander-Geplauder als
Podcast veröffentlichen lässt. Inhaltlich und ästhetisch schnell ausgereizt
sind die Social-Media-Formate, geweckt wird so die Sehnsucht nach Ideen,
Theater für Bildschirme, Displays, Monitore noch mal neu zu erfinden.
Bis es in der Isolation zur Inspiration kommt, ist aber erst mal Phase drei
zu goutieren: abgefilmtes Theater. Haupt- und Generalproben aktueller
Repertoire-Produktionen und historische Aufführungsmitschnitte sind derzeit
reichlich online zu sehen. Geladen wird zum abendlichen Theaterzapping.
Niemals zuvor war es wohl möglich, so viele Inszenierungen auf einmal
kostenlos zu schauen.
Die international bestens vernetzte [2][Schaubühne Berlin] hat abends
manchmal über 20.000 Zuschauer bei ihren Streamings, in [3][Hannover] sind
es noch über 2.000, bei kleineren Theatern auch mal nur 200. Zumeist also
deutlich mehr, als es überhaupt Plätze im Theater gegeben hätte. Die
Nachfrage für das Angebot scheint also vorhanden. Nur: Viele
Video-on-Demand-Angebote sind eigentlich nur Dokumente zum Archivieren der
flüchtigen Kunstform, auch praktische Erinnerungsstützen für die
beteiligten Künstler und Sichtungsmaterialien, wenn jemand für einen
erkrankten Darsteller einspringen muss.
Daher sind die Videos meist nicht professionell ausgeleuchtet und filmisch
inszeniert. Manchmal eben nur mit zwei Kameras gefilmt, eine für die
statische Totale, eine für die Nachaufnahmen. Selbst bei den prominent auf
dem Portal nachtkritik.de gezeigten Aufführungen laufen auch mal
Mitarbeiter durchs Bild, ist der Ton teilweise bis zur Unverständlichkeit
schlecht und es versacken Bilder im Dunkel, weil die Bühnenlichtstimmungen
im Video nicht funktionieren.
Die Theater sind derweil Geisterhäuser. Zumeist wurde Kurzarbeit beantragt,
einige zahlen auch den freiberuflichen Gästen die Gagen für die
ausgefallenen Vorstellungen. Die meisten Mitarbeiter hocken im Home-Office
und basteln an der neuen Spielzeit, organisieren Spendenaufrufe, wickeln
die Erstattung der Tickets all der abgesagten Theaterabende ab.
Nur in der Kostümabteilung brennt ab und an noch Licht. Ankleider,
Schneider, Mitarbeiter der Kostümdirektion und aus dem Schuhfundus fast
aller norddeutscher Bühnen gehen es an und nähen Tröpfchenschutzmasken – an
ihrem Arbeitsplatz oder in Heimarbeit. Das [4][Theater Bremen] steigt
geradezu in die industrielle Produktion ein. 9.000 Masken sollen
hergestellt werden, teilt das Haus mit.
Und die Kunst? Theater im Netz? Noch gibt es kein Konzept, wie Darsteller
im Home-Office vor der Webcam miteinander proben und ein Regisseur parallel
die Improvisationen kommentieren und in den Zusammenhang einer
Inszenierungsidee stellen kann. Aber danach wird gesucht. Während
gleichzeitig auch die Skepsis wächst am medialen Overload der Theater. Denn
es gilt ja als ästhetischer und sozialer Gegenentwurf zu einsam verbrachter
Bildschirmzeit. Sein Medium ist die reale Bühne, der Live-Moment zwischen
Menschen, die gewünschte Begegnung without any distance.
Sympathisch ratlos hat im Norden das [5][Deutsche Schauspielhaus] in
Hamburg erst mal abgewartet und meldet sich nun ganz vorsichtig zu Wort.
Die sonst kaum an die Öffentlichkeit tretende Intendantin Karin Beier lädt
ihre Schauspieler zu Gespräch und Lesung ins Maskenstudio. Anzumerken ist
diesen „SchauSpielHausBesuch“-Videos die Unsicherheit. So ungewohnt scheint
die Situation, dass Charly Hübner sogar vergessen hat, ein Buch zum
Vorlesen mitzubringen.
Lockerer kommt das Team in den „Corona Diaries“ herüber, wild
zusammengeschnittene Selbstinszenierungen aus den Home-Offices. So machen
es fast alle norddeutschen Bühnen. Die in Schwerin haben besonders schöne
Grüße des Ensembles im Angebot. Das [6][Theater Osnabrück] stellt einen
360-Grad-Rundgang durchs Theater ins Netz, verabschiedet dort auch „Die
Familie Schroffenstein“. Die letzte Vorstellung der Produktion musste
entfallen, daher inszenierte das Ensemble eine Video-Dernière – als wilde
Bilderparty einer wilden Kleist-Sause.
## Übermalte Bilder
Nicht ausfallen darf in diesen Tagen auch eine Ode an die Freiheit.
Regisseur Antú Romero Nunes und sein Team haben vor der Schließung des
Hamburger [7][Thalia Theaters] ihre Proben mit Kamerabegleitung
fortgesetzt. „Maria Stuart“ kam als „Probe am Thalia Theater Hamburg in
unvollständiger Ausstattung“ zur Online-Premiere, in kindernaiv übermalten
Bildern folgte „Wilhelm Tell“, letztlich nur ausgereifte szenische Skizzen
zweier Schauspielerduette, die nicht vermitteln, wie sie bei einer mal
möglichen Bühnenpremiere mit dem noch nicht final geprobten Teil 3 zusammen
funktionieren könnten.
Auch in den [8][Hamburger Kammerspielen] wurde das 2014 uraufgeführte Stück
„Die Dinge meiner Eltern“ von und mit Gilla Cremer aufgenommen – steht
jetzt online. [9][Kampnagel] ermöglicht, online an Proben des Stücks
„Kontrol“ von Patricia Carolin Mai teilzuhaben – bisher eher langweilig.
Herausragend aktiv auf den Online-Spielweisen ist das [10][Schauspiel
Hannover]. Zu den Streamings aktueller Aufführungen, Lesungen, Hörspielen,
Podcasts und der Video-Reihe über das abendlich ausgefallene Programm
„#wieesgewesenwäre“ sollen sich nun auch noch interaktive Formate gesellen
wie Online-Soaps, Workshops, Speeddatings, Theater-Yoga sowie Interviews,
Essays und kleine Reportagen.
Schauen wir mal. Und hoffen auf Phase vier, die eine oder andere innovative
digitale Produktion des Home-Office-Theaters, bevor die Bühnenkunst wieder
analog seine Fans bedienen darf. Das wird ein Fest!
7 Apr 2020
## LINKS
[1] /Theater-im-Krisenmodus/!5671697
[2] https://www.schaubuehne.de/de/start/index.html
[3] https://staatstheater-hannover.de/de_DE/start-schauspiel
[4] https://www.theaterbremen.de/de_DE/home?p=2#?d=2020-04-07&f=a
[5] https://www.schauspielhaus.de/de_DE/home
[6] https://www.theater-osnabrueck.de/
[7] https://www.thalia-theater.de/
[8] https://hamburger-kammerspiele.de/
[9] https://www.kampnagel.de/
[10] https://staatstheater-hannover.de/de_DE/start-schauspiel
## AUTOREN
Jens Fischer
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