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# taz.de -- Theater im Krisenmodus: Videogrüße ans Publikum
> Weiterproben? Alle ins Homeoffice? Fällt die ganze Saison aus? Die Bühnen
> im Norden werden vom Shutdown im Zuge der Coronavirus-Krise kalt
> erwischt.
Bild: Zwangspause: Plakate dieser Art hängen derzeit in allen Theatern
Bremen taz | Die Theatersaison stand in Saft und Blüte, als die Verbote
fürs Spielen vor Publikum eintrudelten. Ein herber Schlag, denn das
Repertoire ist nach den Premieren der ersten sieben Monate der Saison
2019/20 gut bestückt, die Qualität vieler Produktionen hat sich als
sehenswert herumgesprochen und füllt die Parketts, für März, April stand
der finale Premierenreigen an. Im Zeichen von Corona wollten die
norddeutschen Bühnen noch vergangene Woche weiterspielen, kämpften vielfach
um jeden Tag.
Nicht nur wegen der Einnahmen. „Wir verlieren jeden Monat, den wir nicht
spielen, etwa 300.000 Euro“, erklärt Michael Börgerding, Intendant vom
Theater Bremen. Es war aber auch die Ansicht vieler Künstler, dass gerade
in der Krise die Orte in der Stadtgesellschaft noch wichtiger sind als
sonst, an denen sich Bürger gemeinsam mit der Realität auseinandersetzen.
Und das erst recht in einer Situation, in der Politiker nahelegen, jeder
noch so nette Nachbar und all die jahrein, jahraus treu dienenden
Türklinken seien jetzt vor allem potenzielle
Convid-19-Infektionsschleudern. Das öffentliche Leben soll ja in dieser
Woche fast komplett abgeschaltet werden.
[1][Vergangene Woche war Bremen noch ganz vorn mit dabei.] Das Ordnungsamt
untersagte dem Theater Bremen als erstem im Norden das Spielen, es folgten
Kiel, Osnabrück, Lübeck, Hamburg, Hannover, Oldenburg, Lübeck, Hildesheim,
Celle, Lüneburg, Braunschweig, Schwerin, Göttingen und Bremerhaven.
Dem Stadttheater an der Weser wurden sofort nicht nur Aufführungen im
Großen Haus, sondern auch alle noch so kleinen Formate untersagt.
Obwohl alle offiziellen Gründe wider einer Schließung erfüllt wurden: Nur
Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Zuschauern waren bis jetzt in Bremen
verboten, so viele Menschen passen aber in keinen der Säle des Theaters
Bremen, die Klimaanlage rotiert dort zudem, Reinigungsmöglichkeiten für
Hand und Mund sind ausreichend vorhanden und Hinweise zum Infektionsschutz
leicht möglich. Nicht zu garantieren ist allerdings ein Abstand von einem
Meter zwischen den Gästen. Was so in den online einsehbaren Auflagen
allerdings nicht steht. Aber gilt.
Nur die rein privat und daher rein kommerziell geführten Theater spielten
weiter – mit der Argumentation, nicht mehr als 200 Plätze zu haben.
Irritierend: Lichtspielhäuser, selbst die Großkinos, durften auch ohne
Einschränkung ihre Filme zeigen und Möbelhäuser oder Baumärkte, die zur
unmittelbaren Daseinsvorsorge nicht notwendig sind und täglich mehr
Besucher haben als jedes Theater anlocken, sind weiterhin geöffnet. Was
machen nun die Theater in einer Zeit, in der gefordert wird, jeder solle
sich in der Bakterien- und Virenhöhle daheim verbarrikadieren, da sogar der
Besuch von Spielplätzen verboten wird.
Erst mal weitermachen, hieß es noch vor drei Tagen. Grundsätzlich stehen
die Probenzeiten und Premieren-Termine fest, Kostüme können weiter
geschneidert, Bühnenbilder gebaut, Dramaturgen-Gedanken notiert,
Programmhefte konzipiert werden. Sollte gespielt werden dürfen, wären die
Produktionen fix in den Spielplan zu implantieren. „Wir haben eine
fertige,Falstaff'-Inszenierung, die kann in vier Tagen wieder hochgefahren
werden, Brechts ‚Die heilige Johanna der Schlachthöfe‘ ist zu drei Viertel
fertig, in drei Wochen wäre die premierenreif“, so Börgerding.
Aber hausintern gibt es allerorten Krankmeldungen und den Wunsch, soziale
Kontakte zu minimieren. „Bei uns haben die Philharmoniker schon eine
Generalprobe abgesagt, weil man doch sehr eng im Orchestergraben sitzt“,
sagt Börgerding. Aus demselben Grund fällt die NDR-Liveübertragung eines
ohne Zuhörer geplanten Konzertes des Oldenburgischen Staatsorchesters
ebenso aus wie das Fotoshooting fürs Spielplanheft mit dem Chor des
Hauses. Überall ist jetzt Homeoffice angesagt.
„Da wir aber in Proben körperlich sehr nah miteinander arbeiten, dabei auch
ältere Menschen und welche mit asthmatischer Vorbelastung beschäftigt sind,
die also zu den so genannten Risikogruppen gehören, haben wir heute
beschlossen, auch den Probenbetrieb komplett einzustellen“, erklärte
Börgerding gestern.
Andere Häuser wie die Staatstheater in Hannover und Oldenburg beschlossen
das ebenso, Kiel will in den Stand-by-Modus runterfahren. Auch die letzten
geöffneten Türen werden schließen, also die Kassen, die bisher noch
Ticketrückgaben verarbeiteten – „und täglich nur ein, zwei Kunden zu
bedienen hatten, es kommt ja keiner mehr“, so Christiane Hein, Sprecherin
der Staatsoper Hannover.
## Harte Zeiten für freie Künstler
Offiziell zum Verkauf freigeschaltet sind allerdings Vorstellungen, die
nach dem vorläufig festgesetzten Ende der Aufführungsverbote stattfinden
sollen. Die laufen derweil in Bremen bis 26. März, in Niedersachsen,
Mecklenburg und Schleswig-Holstein bis Mitte April, in Hamburg bis Ende
April.
Es geht allerdings die Furcht um, in dieser Saison gar nicht mehr spielen
zu dürfen. In Kiel wurde bereits der Auftrag storniert, das Leporello des
Mai-Spielplans zu layouten und zu drucken. Bis dahin versuchen einige
Theater, Kurzarbeitsgeld zu beantragen für Mitarbeiter und ihnen
anzubieten, Überstunden abzufeiern. Aber immerhin sind monatliche Bezüge
sicher. Schwerer haben es freie Künstler, die gar kein Geld bekommen, wenn
ein Job acht Tage vor einer Aufführung abgesagt wird.
Hannover reagierte gestern im Norden am schnellsten mit alternativen
Verbreitungswegen – einem Live-Stream der vollkommen publikumsleeren
Premiere „Zählen und Erzählen“, nach einer Idee von Mauricio Kagel, auf d…
Facebook-Seite der Oper, bis zu 113 Menschen sahen zu. In der
Kommentarspalte ist von der Freude zu lesen über die Jetzt-erst-recht-Geste
und dass endlich auch mal aus fernen Städten wie Köln eine Premiere in
Hannover zu verfolgen ist.
## Lebenszeichen per Stream
Nur ist der Stream nicht filmisch inszeniert, sondern abgefilmtes Theater,
die Tonqualität verbesserungswürdig und die Bühnenlichtstimmungen
funktionieren im Videoformat nicht. Insgesamt aber ein positives
Lebenszeichen des nicht mehr öffentlich aktiven Theaterlebens. Da
zukünftig aber nur noch Notbesetzungen im Haus aktiv seien, so Hein, würden
solche Angebote nicht weiter online gehen.
An der Staatsoper Hannover ist wie am Theater Kiel aber geplant, Videogrüße
der Mitarbeiter über die Social-Media-Kanäle zu senden. Unter
[2][www.nachtkritik.de] werden fortan vorgefertigte Aufführungsmitschnitte
gezeigt, auch eine ständig aktualisierte Liste von Streamings von
Theaterproduktionen und klassischen Konzerten aus Deutschland, Österreich
und der Schweiz.
Und Deutschlands erste Streaming-Plattform für Theater will aufgrund der
aktuellen Situation auf www.spectyou.com am 19. März online gehen und
digitale Bühne sein für Videos aller Spielstätten, freien Gruppen und
Künstler zum selbst Hochladen von Stücken in voller Länge.
17 Mar 2020
## LINKS
[1] /Deutschland-in-der-Corona-Krise/!5668575
[2] https://www.nachtkritik.de/
## AUTOREN
Jens Fischer
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