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# taz.de -- Theater trotz Corona: Aktionismus am Projektor
> Analog darf es in Braunschweig nicht stattfinden, nun wird aus „Anders
> schreiben“ das erste Theaterfestival im Internet.
Bild: Stocker, Versprecher, miese Beleuchtung: Bruno Brandes' Stück wirkt noch…
Bremen taz | Theater und Konzertsäle wurden [1][mit als Erste geschlossen]
in unserer pandemischen Zeit – und werden wohl als Letzte wieder öffnen.
Schmerzhaft sei das, teilen viele Veranstalter mit, die häufig resignativ
klingen, staatstragend aber meist noch Einverständnis mit der pandemischen
Lockdown-Politik folgen lassen.
Einen anderen Weg schlägt das Staatstheater Braunschweig ein. Für das
analog geplante [2][Festival „Anders schreiben“] wurde nach Ostern
entschieden, statt eines trostlosen „Entfällt“ eine Verschiebung in die
digitale Welt zu verkünden. Es ist bundesweit das erste coronabedingt ins
Virtuelle geswitchte Theaterfestival. In Rekordzeit wurde der
Veranstaltungsreigen fürs Netz neu organisiert. „Das wird fehlerhaft sein,
ich habe viel machen, also schnell lernen müssen, was ich bisher nicht
konnte, aber besser so als gar nicht“, sagt Festivalleiterin [3][Claudia
Lowin].
Wie sieht das konkret aus? Workshops für junge Menschen, die eigene
Gedanken und Gefühle in Sprache fixieren wollen, hätten sowieso unter
Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden. Aktuell ließ sich nun
Literaturlokalmatadorin [4][Kyra Mevert] die Textentwürfe schicken und
bespricht sie mit den Autor*innen in der sogenannten Privatsphäre der
Messenger-Dienste. Bei den Diskursen über die Möglichkeiten, Theatertexte
zu generieren, kann aber jedermann dabei sein.
Ausgangspunkt des Festivals sind hauseigene Erstaufführungen von vier
Autor*innen mit sehr unterschiedlichem Selbstverständnis. [5][Lucy
Kirkwoods „Die Kinder“] ist ein Well Made Play, fix und fertig nach alle
Regeln klassischer Dramatikerkunst verfasst. Das Kammerspiel kann vom Blatt
gespielt werden.
Ein sprachmächtig eigenwilliger Text ist [6][Fellicia Zellers „Fiskus“],
musikalisch getrieben, mit floskelhaften Satzverkürzungen und
Wortfindungsstörungen in einem raffinierten Kunstidiom verfasst. [7][„Reich
& Himmel“ des Mittfünfzigers Markus Heinzelmann] ist ein kreuz und quer die
Lesefrüchte des Ensembles zitierender Text. Nicht mehr zur Aufführung kam
[8][„Batterie zum Anschließen der Liebe“] des Jungdreißigers Lars Werner,
ein theatrales Mix-Tape, in dem sich jede Szene auf einen Popsong bezieht.
Die Stücke live zu sehen, ist ja leider verboten, über sie zu reden nun
aber Online-Praxis. Etwa per Podcast. Was [9][in diesem Fall] bedeutet: Die
nette Dramaturgin Claudia Lowin hat dem netten Autor Lars Werner nette
Fragen geschickt, die er nett beantwortet. Es fehlt das Dazwischenfragen,
Nachfragen, wirklich miteinander Ins-Gespräch-Kommen.
So geht Autorenschaft heute? Der Fokus gehe weg vom Autor-Subjekt als
genial schaffendem Individuum, hin zum gemeinsamen Generieren von Stücken,
sagt Lowin. Dass ein fertiger Text zu Probenbeginn da ist und nur bebildert
werden soll, gelte ja schon nicht mehr für Klassiker.
Dementsprechend liefern zeitgenössische Autoren auch lieber eine Textfläche
zur freien Verfügung. Oder Schauspieler, Experten des Alltags und
Schriftsteller teilen sich die Autorenschaft, arbeiten zusammen. Wer da
sprachschöpferisch oder redigierend tätig ist, lässt sich im Nachhinein
nicht mehr genau beantworten. Der verpflichtete Autor fungiert in dem
Prozess eher als Kurator des gesammelten Textmaterials.
Aktuell kommt noch ein Aspekt hinzu: Was passiert mit einem Theatertext,
wenn es kein Theater mehr gibt, ihn zu spielen? Das betrifft das
Festival-Abendprogramm. Der Jugendklub des Staatstheaters hatte einen
Audio-Walk durch die City geplant mit ihrer Untersuchung: Wen, wann und wie
sie lieben. Das Hörstück funktioniert aber auch ohne Walk, da es die
öffentlichen Orte gar nicht braucht.
Die Internetbühne ist auch für Andcompany & Co. kein Problem, sie bieten
ihre [10][Lecture-Performance] als Zoom-Konferenz dar. Kyra Mevert soll
ihre Telefonlesung so durchführen: [11][Anruf genügt], und schon liest sie
aus ihren Werken.
## Live-Lesung mit Overhead-Projektor
Eine besondere Herausforderung ist der Autorenwettbewerb. Student*innen der
Unis Leipzig und Hildesheim waren eingeladen, Exposés und nicht mehr als 15
Seiten eines ihrer Stücke einzureichen. Aus 32 Einsendungen wurden fünf
ausgewählt.
„Mein Ideal ist so schön, ich kann es mir mein Leben lang ansehen“ von
Bruno Brandes (Hildesheim) hat Braunschweigs Chefregisseur Christoph Diem
als [12][Live-Lesung inszeniert] – erstaunlich schlecht ausgeleuchtet und
mit ratlos machendem Aktionismus an einem Overhead-Projektor, auf den
ständig etwas getropft, gerieselt, gelegt und so der Bühnenhintergrund
gestaltet wird. Versprecher, Stocken und teilweise betonungsloses Ablesen
lassen die Darbietung recht ungeprobt wirken. 807 Zuschauer klickten mal
rein.
Andere Texte werden per Videokonferenzschaltung dargeboten. Was bestens
funktioniert bei Wibke [13][Charlotte Gneuß’ Stückentwurf „Glückw]unsch�…
Die Collage aus widersprüchlichen O-Tönen zur Kinderwunsch, Schwanger-
sowie Mutterschaft, Abort und den Folgen nutzen vier Schauspielerinnen des
Festivalpartners Theater Magdeburg daheim eindrücklich dazu, lebendige
Charaktere aus den Textpassagen zu entwickeln.
Zum Festivalfinale am 2. Mai soll eine Jury online-öffentlich den Sieger
des Wettbewerbs küren. 1. Preis ist der Vertrag für eine Uraufführung.
2 May 2020
## LINKS
[1] /Angebote-norddeutscher-Theater/!5674538
[2] https://staatstheater-braunschweig.de/produktion/anders-schreiben-tage-der-…
[3] https://staatstheater-braunschweig.de/mitarbeiter/claudia-lowin-65/details/
[4] https://insertfemaleartist.de/festival/ifa-2019/artist/kyra-mevert/
[5] https://www.allgemeine-zeitung.de/freizeit/kunst-und-kultur/kulturnachricht…
[6] /Theaterstueck-Der-Fiskus/!5659561
[7] https://staatstheater-braunschweig.de/produktion/reich-und-himmel-577/
[8] https://staatstheater-braunschweig.de/produktion/batterie-zum-anschliessen-…
[9] https://soundcloud.com/user-677550973/wie-entsteht-ein-theatertext-mit-lars…
[10] https://www.youtube.com/watch?v=qg-APq_9j04
[11] https://staatstheater-braunschweig.de/produktion/und-sag-dem-universum-715/
[12] https://www.youtube.com/watch?v=bosWxk9t3W0
[13] https://www.youtube.com/watch?v=2OtFl6SN1tg
## AUTOREN
Jens Fischer
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Theater
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Göttingen
Schwerpunkt Coronavirus
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Staatstheater Braunschweig
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