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# taz.de -- Theaterstück „Der Fiskus“: Inside Finanzamt
> Das Stück „Der Fiskus“ am Staatstheater Braunschweig ist eine witzige und
> kluge Auseinandersetzung mit Sinn und Unsinn der angewandten
> Steuerpflicht.
Bild: Im Finanzamt dreht sich das Leben um Papier: Szene aus „Der Fiskus“
Braunschweig taz | „Mir ist das sowas von egal, was die Bürger... Wichtig
ist / was ich von den Bürgern halte und von ihren Erklärungen. / Wir setzen
hier das Steuerrecht / Steuergerechtigkeit / das muss nicht gut aussehen.“
Sachbearbeiterin Bea, 55, gehobener Dienst, weiß, wovon sie so abgehackt
spricht. Sie ist im vom Staatstheater Braunschweig in Auftrag gegebenen
Stück „Fiskus“ eine Idealistin ihres Jobs, kennt das Steuerrecht so in- und
auswendig wie der Formulierungsroboter, der es verfasst hat – und will der
Finanzierung des Gemeinwesens zuliebe alle Tricks der Abgabenvermeidung
auffliegen lassen.
Jetzt kommt bald wieder ihre Zeit. Passend zur Uraufführung des Stücks
müssen Steuerpflichtige wie unsereins mal wieder die anteiligen Nebenkosten
der Heizungswartung in einem flotten Dreisatz auf die Quadratmeter des
häuslichen Arbeitszimmers um- und die Mehrwertsteuer aus den Rechnungen
sämtlicher Handwerker herausrechnen.
Für erste Schweißausbrüche sorgt es dann, wenn die Beas der Ämterwelt
darauf mit der Zusendung grauer Sichtumschlagskuverts antworten.
Gleichzeitig aber versuchen sie, das Lesen der darin befindlichen Schreiben
zu verhindern, durch ein Textwüsten-Layout in kaum entzifferbarer
Schriftgröße und mit möglichst umständlichem Satzbau unter Verwendung einer
maximalen Anzahl substantivierter Worte.
Manchmal delirieren die Mitteilungen auch einfach nur in der
tiefgefrosteten Ekstase des Behördendeutschs. Immer aber sind sie
geschmückt mit vielen Hinweisen auf irgendwelche Paragrafen, deren Poesie
nur eine von Insidern für Insider ist. Hinzu kommt das mit skurrilen Fragen
auf Kreuzchenantworten hoffende Dutzend an Formularen, die ganz bewusst als
Werbemaßnahme für die Steuerberater-Gilde so nutzerfeindlich gestaltet
sind, dass nur mit ihrer horrend teuren Dienstleistung ein korrektes, die
gesetzlichen Steuerminderungsmöglichkeiten nutzendes Ausfüllen möglich ist.
So viele Gründe dafür, dass wohl kaum jemand Finanzämter mag. Was jede und
jeder in der Behörde weiß, die Felicia Zeller beschreibt, eine als
Porträtistin sozialer Gruppen viel gebuchte Dramatikerin.
Regisseur Christoph Diem bringt Herrscher und Zuträger des fiskalischen
Diskurses in aller Bescheidenheit recht nah zusammen in der
Kleingarteninstallation, die in dieser Spielzeit das Bühnenbild aller
Produktionen der Spielstätte „Aquarium“ bildet. Auf Kunstrasen sitzen
steuerpflichtige Zuschauer auf einer Sperrmüllsammlung von Gestühl um ein
Häufchen Akten und Kartons, um den die steuerbearbeitenden
Beamten-Darsteller einen Drehstuhlkreis bilden.
Beispielsweise Bea, nach 30 Jahren immer noch A 13, obwohl sie mit dem
siebten Sinn der Detektive immer wieder genau die Zahlen im Angabenwust der
Erklärungen entdeckt, die Tür und Tor zu Steuerhinterziehungen der großen
Konzerne und Geldspekulanten öffnen.
Zeller desavouiert in ihrem Stück noch mal eine Art Cum-Ex-Skandal, bei
denen die Rendite für Transaktionen vom Staat kommt – durch Rückzahlungen
nicht gezahlter Steuern. „Betrug“ nennt Bea das Tun dieser kaum mehr
resozialisierbaren „kriminellen Schmarotzer“. Deren Partner,
machtstrotzende Anwaltskanzleien, schicken ihr Drohbriefe. Aber Bea bleibt
davon unberührt, hofft auf Lob, auch auf Beförderung, wird aber von der
eifersüchtigen Nele in der Behördenhierarchie überholt und schließlich
versetzt.
Immer wieder treffen das Private, Berufliche und Politische zusammen. In
diesem Fall überlegt Bea, ob sie mit ihrem Wissen um die Schlupflöcher in
die Anlagenberaterbranche wechseln und stumpf reich werden sollte. Auch
andere Kollegen spüren den neuen Nele-Wind im Amt als Gegenwind, wenn die
finanzökonomische Effizienz leidet, also mehr Arbeitszeit in eine
Steuererklärung gesteckt wird, als Steuerzahlungen herauszuholen sind.
Deswegen perfektioniert die jung-naive Elfi (Larissa Senke) das
„qualifizierte Durchwinken“. Und übersetzt die Effizienzregeln ins Private:
feiert die Ehe mit dem drömeligen Kollegen Reiner Lös (Tobias Beyer) vor
allem wegen der steuerlichen Zusammenveranlagung. Das ist für beide eine
auf- wie anregende Sache. So beglückend, dass sie gleich auch ein paar
Steuertipps zum Besten geben. Reiner: „Sie bewirtet mich, ich bewirte sie.
Was wir natürlich als Sonderausgabe …“ Und da Omas Möbel noch in einem
Souterrain-Zimmer des Paares stehen, wird die Haushaltsersparnis für Omas
Abwesenheit im Pflegeheim einfach mal nicht von den Kosten der
Unterbringung abgezogen.
Als Außenseiterin inszeniert Diem die Betriebsprüferin Fatma (Naima Laube).
Per Mikroport ist ihre Stimme verhallt. Wie ein Geist schleicht sie durchs
Geschehen und berichtet von ihrer Effizienz, den Millionen Mehreinnahmen
dank des Herumschnüffelns bei Zahnärzten oder Fondsmanagern.
Wenn die bebrillten, modisch konservativen Verwaltungsbeamten da so
schwadronieren über trostloses Privatleben, tristen Büroalltag, schäbige
Arbeitsbedingungen und den Dilettantismus sowie die offensichtlichen
Provokationen der Ausfüller all ihrer Vordrucke, wissen sie nur zu genau:
„überdurchschnittlich langweilig“ ist kein klischeehaftes Vorurteil,
sondern realistische Beschreibung ihrer Berufsgruppe. Räumt eine Frau im
Schneckentempo eine Spülmaschine aus, heißt es selbstironisch: „Wäre das
nicht eine für uns.“ Leere Blicke, schlaffe Körper, müde genervter
Gesichtsausdruck lässt Diem im trägen Aufführungstonus vorherrschen.
Weswegen auch ein sanfter Reggae-Groove in den Abend hineinführt.
Die Aufführung hält aber stets die Balance zwischen karikierender
Zuspitzung, humorvoller Selbstreflexion und pointierter Dokumentation des
Beamten-Wehleids. Wobei meist mit den Figuren, nicht über sie gelacht wird.
Besonders elegant geht das Ensemble mit Zellers Sprache um, den musikalisch
getriebenen, floskelhaften Satzverkürzungen und Wortfindungsstörungen. Ein
raffiniertes Kunstidiom, das häufig der Realität abgelauscht ist und die
Kämpfe der an und mit Sprache scheiternden Figuren zeigt.
## Pointierte Textzeilen
Kein Gedanke wird zu Ende geführt, sodass Zuhörer ihn zu Ende denken
müssen, was sie prima einbezieht ins Geplauder. Aber auch stresst, denn
häufig geht es wortwiederholend, nach Worten ringend darum, etwas nicht zu
sagen. Etwa wenn Bea die Beförderung verweigert wird, stottert Nele: „Das
tut mir jetzt leid für dich, dass es / dass es für dich dieses Mal
scheinbar / obwohl es eigentlich / eigentlich hätte es / hat dann aber eben
nicht ganz, obwohl / du wärst ja eigentlich, wenn / aber / es gibt eben /
es hat eben …“
Manchmal generiert Zeller auch hübsch pointierte Textzeilen wie: „Wenn ihr
was wollt, dann könnt ihr mich jederzeit“, oder: „Meine Tochter ist jetzt
25 / und lebt vorübergehend immer noch bei mir / als außergewöhnliche
Belastung“. Saskia Petzolds Darstellung der Bea ist kühn trotzig, traurig
bockig, aufdringlich besserwisserisch, herrlich resolut, tapfer verbiestert
und schwarzhumorig. Eine Frau, die wohl kaum jemand zum Essen einladen
würde, deren Verhärtung aber auch berührt.
Alle anderen Darsteller agieren wesentlich oberflächlicher. Die Regie hält
sie lässig zurück bei diesem Stück, das so witzig wie klug eine
niedrigschwellige Auseinandersetzung über Sinn, Unsinn und Realität der
angewandten Steuerpflicht ermöglicht.
13 Feb 2020
## AUTOREN
Jens Fischer
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