# taz.de -- Millionäre in Berlin: Steuerfahnder, marsch! | |
> Bei Millionären schauen die Finanzämter nicht so genau hin. Dabei winken | |
> bei einer Steuerprüfung 88.000 Euro. Warum wird nicht mehr kontrolliert? | |
Bild: Auch in Friedrichshain-Kreuzberg gibt es mehr Millionäre | |
BERLIN taz | Immer mehr Reiche wohnen in Berlin. Waren es 2016 noch 486 | |
Einkommensmillionäre, die in der Hauptstadt wohnten, sind es mittlerweile | |
749 – eine Zunahme um 54 Prozent in drei Jahren. Und die | |
Bestensverdiener*innen wohnen nicht mehr nur in schicken Stadtteilen wie | |
Zehlendorf oder im großbürgerlichen Charlottenburg – sie drängen auch in | |
die hippen Innenstadtbezirke. Mittlerweile leben sogar 51 | |
Einkommensmillionäre in Friedrichshain-Kreuzberg – vor drei Jahren waren es | |
dort noch lediglich 11. Das geht aus einer noch nicht veröffentlichten | |
Anfrage der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus hervor, welche die Zahlen | |
regelmäßig abfragt. | |
Während Behörden die Lebensverhältnisse von Hartz-IV-Empfänger*innen bis | |
ins kleinste Detail durchleuchten, ist über die Reichen zumeist weniger | |
bekannt. Über die Anzahl der Vermögensmillionäre etwa gibt es seit der | |
faktischen Abschaffung der Vermögenssteuer 1997 nur Schätzungen. Für Berlin | |
[1][schätzte eine Vermögensbank] ihre Zahl auf 20.000. Der [2][World Wealth | |
Report 2019] der Unternehmensberatung Capgemini schätzt die Zahl der | |
Vermögensmillionäre bundesweit auf 1,3 Millionen. | |
Die bundesweit 19.000 Einkommensmillionäre in Deutschland ([3][2014]) sind | |
die reichsten unter den Millionären. In der Regel verdienen sie ihr Geld | |
durch ihr ohnehin schon vorhandenes Vermögen. Die Städte mit den meisten | |
Einkommensmillionären sind [4][München] und [5][Hamburg]: 2014 lebten in | |
beiden Städten etwa 870 Einkommensmillionäre, aktuellere Zahlen gibt es | |
nicht – inzwischen dürften ihre Zahl gestiegen sein. | |
Jemand, der sich seit Jahrzehnten mit den Eliten der Republik beschäftigt, | |
ist der Soziologe Michael Hartmann. Er forscht und publiziert zu Reichen, | |
zur Homogenisierung von Eliten und zu sozialer Ungleichheit. Wenn man ihn | |
fragt, was mehr Einkommensmillionäre für eine Stadt wie Berlin bedeuten, | |
sagt er: „Die Zunahme verschärft die Situation auf dem Wohnungsmarkt – auch | |
wenn es nur eine kleine Gruppe ist, kann sie jeden Preis zahlen und tut das | |
auch.“ So stiegen die Quadratmeterpreise ins Unermessliche. „Das hat eine | |
Sogwirkung für alles, was darunter ist, und wirkt sich bis in den mittleren | |
Bereich und darüber hinaus.“ | |
## Gute Steuerberater und Schlupflöcher | |
Die Zunahme der Reichen wirke sich zudem negativ auf die | |
Steuergerechtigkeit aus und trage so zur Spaltung der Gesellschaft bei: Bei | |
den Einkommensmillionären mache das normale Gehalt zumeist nur einen | |
Bruchteil von ungefähr 15 Prozent der Gesamteinkünfte aus, so Hartmann. Das | |
meiste Geld machten die Reichen mit Vermögenserträgen, Zinsen, Dividenden | |
und Einkommen aus Unternehmertätigkeiten. „Sie haben – anders als | |
Normalverdiener – damit von vornherein die Gelegenheit, Steuern zu | |
gestalten.“ | |
Denn während normalerweise Arbeitern und Angestellten Steuern direkt vom | |
Gehalt abgezogen würden und diese sich durch den Lohnsteuerjahresausgleich | |
ein bisschen zurückholen könnten, sei das bei den Wohlhabenden und Reichen | |
umgekehrt: „Die zahlen in der Regel viermal pro Jahr einen bestimmten | |
Betrag vorab und machen irgendwann eine Steuererklärung für den | |
entsprechenden Zeitraum.“ Dafür nutzten sie allerdings gute Steuerberater | |
und vielfältige Schlupflöcher im Steuerrecht. „Außerdem können sie im | |
Unterschied zu Normalverdienern Einnahmen auch bewusst verschweigen“, so | |
Hartmann. Deswegen zahlten viele von sich aus zu wenig – hinzu komme, dass | |
innerhalb der Eliten Steuervermeidungen immer noch als Kavaliersdelikt | |
gelten. | |
Tatsächlich decken sich Hartmanns Erkenntnisse mit den Zahlen für Berlin: | |
Schauten die Finanzämter bei den Reichen einmal genau hin, kam es immer zu | |
Nachzahlungen: Jede sogenannte „Außenprüfung“ bei Einkommensmillionären … | |
in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt über 88.000 Euro eingebracht. Im | |
vergangenen Jahr lag der Durchschnitt sogar bei stattlichen 461.300 Euro | |
pro Prüfung – auch weil sich das für Prenzlauer Berg zuständige Finanzamt | |
2018 aus gerade einmal 11 Außenprüfungen über 21 Millionen Euro | |
zurückholte. | |
Dennoch werden nur ein Bruchteil der 749 Einkommensmillionäre jährlich | |
kontrolliert. Im vergangenen Jahr gab es 51 Außenprüfungen, im Jahr davor | |
67. 2016 und 2015 waren es gar nur mickrige elf und zehn Prüfungen. Warum | |
also kontrollieren die Finanzämter nicht engmaschiger, wenn es sich doch | |
lohnt? Eva Henkel, Sprecherin der Finanzverwaltung von Matthias Kollatz | |
(SPD), hält Forderungen nach mehr Kontrollen für überzogen: „Wir können | |
doch hier nicht hier mit einem Generalverdacht hingehen“, sagt sie. In der | |
überwiegenden Anzahl der Einkommensmillionäre seien zum Lohn ergänzende | |
Einkünfte wie Kapitalerträge oder Mieteinnahmen den Finanzämtern bekannt. | |
Einkommensmillionäre würden bereits „lückenlos und regelmäßig“ vom | |
Innendienst der Finanzämter überprüft, so Henkel. Entsprechend würde in | |
allen Verdachtsfällen eine Außenprüfung auch durchgeführt. | |
Personal für Prüfungen ist laut Henkel zudem ausreichend vorhanden: Von 765 | |
Soll-Stellen in Berlins 21 Finanzämtern sind 739 besetzt. Hinzu kämen noch | |
über 100 Beschäftigte in den Steuerfahndungen. Wenn die Ämter nun auch | |
unverdächtige Einkommensmillionäre häufiger kontrolliere, zöge das nicht | |
automatisch Mehreinnahmen nach sich, so Henkel. | |
Anders sehen das die Regierungsfraktionen von Rot-Rot-Grün im | |
Abgeordnetenhaus. Die nämlich bereiten schon einen Antrag auf eine | |
Bundesratsinitiative vor, um engmaschigere Kontrollen zu ermöglichen. Laut | |
Antrag sollen die Reichen alle drei Jahre rückwirkend bis zum letzten | |
Prüfungszeitraum genau geprüft werden. „Wenn wir mehr prüfen würden, wür… | |
wir mehr finden“, sagt Sebastian Schlüsselberg von der Linksfraktion, der | |
die Anfrage gestellt hat. Immerhin zwar sei die Prüfquote in Berlin noch | |
besser als in anderen Ländern, dennoch gingen dem Staat jährlich mehrere | |
Millionen Euro durch die Lappen. | |
## Siehe Steuer-CDs, siehe Panama Papers, siehe Cum Ex | |
Auch Elitenforscher Hartmann hält häufige Prüfungen für eine gute Idee: | |
„Steuerprüfungen bei Reichen und großen Unternehmen führen so gut wie immer | |
dazu, dass sie nachzahlen müssen.“ Viele Reiche seien halt gut im | |
Verstecken und Verschleiern, wie Cum-Ex, die Panama Papers oder der Ankauf | |
von Steuer-CDs aus der Schweiz zeigten. Es gebe zwar auch Reiche mit | |
Steuermoral, aber das ist unter Deutschlands Reichen eher die Ausnahme, | |
sagt Hartmann: „Manche sind sehr dreist und manche moderat – aber | |
Steuerehrlichkeit ist da eher selten.“ | |
Gleichzeitig zweifelt er aber an den Erfolgschancen der | |
Bundesrats-Initiative: „Einige Bundesländer, allen voran Bayern, werden das | |
blockieren. Die sind bekannt dafür, dass sie besonders lax prüfen. Das ist | |
ein regelrechter Standortfaktor, weil man damit Millionäre und ihre | |
Unternehmen anzieht.“ | |
29 Jul 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/weberbank-chef-siegers-im-interview-… | |
[2] https://www.capgemini.com/de-de/news/world-wealth-report-2018/ | |
[3] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2018/06/PD18_224_736.h… | |
[4] https://www.statistik.bayern.de/presse/mitteilungen/2018/pm186/index.html | |
[5] https://www.abendblatt.de/hamburg/article212201799/Hamburg-hat-so-viele-Mil… | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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