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# taz.de -- Geflüchtete an EU-Außengrenze: Schüsse an Griechenlands Grenze
> Grenzbeamte sollen auf Menschen gezielt haben, die von der Türkei nach
> Griechenland gelangen wollten. Die Türkei erhöht den Druck auf die EU.
Bild: Mit Gewalt zurückgedrängt: Griechische Soldaten schießen mit Tränenga…
Berlin taz | Die Hinweise, dass in den vergangenen Tagen mindestens drei
Menschen [1][an der griechisch-türkischen Grenze] getötet wurden, haben
sich verdichtet.
Das Büro des Gouverneurs der türkischen Provinz Edirne gab an, dass am
Mittwoch durch Schüsse der griechischen Sicherheitskräfte ein Mensch
getötet und fünf weitere verletzt wurden. Der Leiter der Notaufnahme am
Universitätskrankenhaus von Edirne, Burak Sayhan, sagte, sechs Menschen
seien am Mittwoch eingeliefert worden. Einer sei bereits tot gewesen. Drei
hätten Schussverletzungen gehabt, einer eine gebrochene Nase.
Es handele sich bei den Opfern um Männer, zu ihrer Identität gebe es noch
keine weiteren Informationen. Der Tote sei durch einen Schuss in die Brust
gestorben, hieß es in der Stellungnahme. Andere Opfer seien an den Beinen
oder in der Leistengegend getroffen worden. Die Oberstaatsanwaltschaft in
Edirne habe Ermittlungen eingeleitet.
Eine Reihe von Agenturberichten stützen diese Angaben. Eine dpa-Reporterin
an der Grenze hatte am Mittwochvormittag zunächst mindestens drei, kurz
darauf eine Serie weiterer Schüsse gehört. Danach sei ein Rettungswagen in
hohem Tempo aus dem Grenzgebiet gefahren, berichtete sie. Einige
Flüchtlinge und Journalisten bestätigten dies. Der griechische
Regierungssprecher Stelios Petsas wies die Angaben jedoch als „Fake News“
zurück. „Es gibt keinen solchen Zwischenfall mit Feuer von den griechischen
Behörden“, sagte er.
## Tod durch Gummigeschoss
Verschiedene Medien hatten berichtet, dass bereits am Montagmorgen
griechische Polizisten mit einem Gummigeschoss auf einen jungen Syrer aus
Aleppo geschossen und ihn getötet haben. Die griechische Regierung hatte
auch dies scharf zurückgewiesen. Am Mittwoch legte die Forschergruppe
[2][Forensic Architecture] vom Londoner Goldsmith College einen
detaillierten Bericht zu dem Vorfall vor und kommt darin zu dem Ergebnis,
dass die Angaben korrekt sind.
Auch die Initiative [3][Alarm Phone] legte am Mittwoch einen detaillierten
[4][Bericht] über Menschenrechtsverletzungen an der türkisch-griechischen
Grenze vor. Die Gruppe hält per Telefon Kontakt zu Flüchtlingen, die mit
Booten in Richtung Europa unterwegs sind. „Die Gewalt gegen Migranten
entlang der Landgrenzen und auf See eskaliert“, heißt es in der Auswertung
der vergangenen Tage.
In der Zeit zwischen 3 Uhr morgens am 1. März und 9 Uhr morgens am 3. März
hatte die Initiative telefonischen Kontakt zu 13 Booten mit insgesamt 466
Insassen im Seegebiet zwischen der Türkei und Griechenland. „Wir waren
direkte Zeugen mehrerer Fälle von unterlassener Hilfeleistung und Angriffen
auf Migrantenboote, die absichtlich das Leben von Menschen gefährdeten.“
In acht Fällen seien die Motoren der Boote entweder von maskierten
Unbekannten oder von Einheiten der griechischen Polizei oder Küstenwache
gestohlen oder zerstört worden. In einem Fall hätten türkische Einheiten
auf ein Boot geschossen, in zwei Fällen griechische. Dabei seien mindestens
einer der Insassen verletzt worden.
Ein Teil der Boote wurde zurück in Richtung Türkei geschleppt oder
gedrängt, teils wurden die Insassen dabei verprügelt. Die griechische
Küstenwache rettete manche der Insassen, andere sollen mit bloßen Händen
bis an die griechische Küste gerudert sein. Bestätigt wurde bereits am
Montag, dass ein Kleinkind bei einem Bootsunglück in der Ägäis ertrunken
war.
## 12.500 Menschen vor der Grenze
Am Mittwoch blieb die Lage in der Grenzregion angespannt. Griechische
Sicherheitskräfte hinderten nahe dem Ort Kastanies Migranten und
Flüchtlinge mit Tränengas und Blendgranaten am Grenzübertritt. Der
griechische Sender Skai berichtete, auf der türkischen Seite warteten rund
12.500 Menschen auf die Möglichkeit, die Grenze zu überqueren.
Die Regierung in Athen bekräftigte am Mittwoch, alle Menschen, die seit dem
1. März die türkisch-griechische Grenze übertreten haben, in geschlossenen
Abschiebelager unterzubringen zu wollen. Asylanträge können diese Menschen
nicht stellen, hieß es. „Sie werden von dort in ihre Länder ausgewiesen“,
sagte Migrationsminister Notis Mitarakis am Mittwochabend im griechischen
Fernsehen. Das erste Lager entstehe nahe der nordgriechischen Stadt Serres,
teilte er mit.
In der Ägäis besserte sich das Wetter, die starken Winde der letzten Tage
ließen nach. Die griechischen Behörden rechnen deshalb damit, dass die Zahl
der Überfahrten am Donnerstag steigen könnte.
Im Hafen der Insel Lesbos liegt seit Mittwoch ein Schiff der griechischen
Kriegsmarine. Rund 500 geflüchtete Menschen, die in den vergangenen Tagen
auf der Ägäis-Insel angekommen waren, hatten seit dem Anlegen des Schiffes
im Hafen ausgeharrt. Unter ihnen waren viele Familien mit kleinen Kindern.
Nach stundenlangem Warten gingen am frühen Abend die ersten 15 Menschen an
Bord, wie Reporter der Agentur AFP berichteten.
## Gewalt gegen Flüchtlinge und Journalisten
Die Einsatzkräfte gingen gegen mehrere der ausharrenden Flüchtlinge sowie
Journalisten vor. Beamte stießen zwei griechische Fotografen und eine
deutsche Journalistin gewaltsam zurück und untersagten ihnen, vor Ort Fotos
aufzunehmen. Anschließend versuchten sie, ihre Kameras an sich zu reißen.
Nur die neu auf der Insel angekommenen Menschen, die bislang keinen
Asylantrag gestellt haben, sollen auf dem Schiff aufgenommen werden, sagte
die örtliche Küstenwache. „Der Plan ist, sie zunächst ohne Möglichkeit auf
Einreichung eines Asylantrags zu registrieren und auf dem Schiff
unterzubringen“, fügte Garoufalias hinzu. Später sollten sie dann aufs
griechische Festland transportiert werden. Ein „strenges Kontrollsystem“
solle verhindern, dass sich unter die Neuankömmlinge Menschen mischten, die
zuvor bereits auf der Insel Lesbos in Flüchtlingslagern gelebt hatten und
nun versuchten, ebenfalls an Bord zu gehen.
Das Schiff hat eigentlich nur Kapazität für rund 400 Menschen. Astrid
Castelein vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR auf Lesbos sagte, ihre
Organisation sowie andere Hilfsverbände stellten Matratzen und Bettzeug zur
Verfügung, da Militärschiffe normalerweise nicht für die Unterbringung von
Menschen ausgestattet seien.
## Erdoğan übt Druck aus
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan machte derweil ein Einlenken
im Flüchtlingsstreit von einer Unterstützung der EU für seinen Syrien-Kurs
abhängig. Die Krise könne nur beendet werden, wenn die EU die „politischen
und humanitären Bemühungen“ seines Landes in Syrien unterstütze, sagte
Erdoğan. Die Türkei startete vor einigen Tagen eine große Militäroffensive
gegen die syrischen Regierungstruppen in der Region.
Der Fraktionschef der Christdemokraten im Europaparlament, Manfred Weber
(CSU), drohte Erdoğan daraufhin mit einer Aussetzung der Zollunion. Weber
twitterte am Mittwoch: „Beenden Sie die Erpressung Europas auf Kosten
Tausender Menschen, oder die EU wird die Zollunion suspendieren.“
Derweil erklärten drei Länder ihre Bereitschaft zur Aufnahme konkreter
Kontingente minderjähriger Flüchtlinge von den Ägäis-Inseln. Luxemburg
wolle 10, Finnland 175 und Frankreich 400 Menschen aufnehmen.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte eine Aufnahme in Deutschland
wiederholt davon abhängig gemacht, dass andere EU-Staaten in einer
„Koalition der Willigen“ mitziehen.
Am Mittwochabend stimmte der Bundestag über einen Antrag der Grünen ab. Die
hatten unter anderem gefordert, 5.000 besonders schutzbedürftige Menschen,
darunter unbegleitete Minderjährige, aus den griechischen Lagern nach
Deutschland zu holen. Der Antrag wurde mit 495 Gegenstimmen abgelehnt. 117
Abgeordnete stimmten dafür. (Mit Material von dpa/afp/epd/reuters)
5 Mar 2020
## LINKS
[1] /Flucht-nach-Griechenland/!5669444
[2] https://forensic-architecture.org
[3] https://alarmphone.org/de/
[4] https://alarmphone.org/en/2020/03/04/escalating-violence-in-the-aegean-sea/…
## AUTOREN
Christian Jakob
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