# taz.de -- Stiftungsfinanzierter Journalismus: Gemeinnütziger Retter | |
> In den USA finanzieren immer mehr Stiftungen journalistische Projekte – | |
> vielleicht auch bald hier. Bleiben Redaktionen so unabhängig? | |
Bild: Der Newsroom von „ProPublica“ in den Anfängen 2010 | |
Für einen kurzen Moment sah es so aus, als hätte der Spiegel seine nächste | |
Affäre. „Spiegel-Gate(s)“ [1][titelte Anfang dieses Jahres] das Magazin M | |
der Deutschen Journalist*innen-Union, darunter eine Beobachtung: Einerseits | |
lässt sich der Spiegel von der Stiftung um [2][Software-Milliardär Bill | |
Gates] Recherchen zur „Globalen Gesellschaft“ finanzieren. Andererseits | |
berichtete das Magazin – Überschrift: „Strahlend grün“ – [3][recht | |
wohlwollend über Terrapower]. Die Firma will Atomkraft neu erfinden. | |
Hauptinvestor: Bill Gates. | |
Das Gewerkschaftsmagazin schreibt zwar nicht direkt, Gates habe sich | |
Berichterstattung gekauft. Allerdings gehe „die Trennschärfe zwischen | |
werblichen und redaktionellen Inhalten“ verloren. Nun ließe sich über den | |
Spin der AKW-Story im Spiegel inhaltlich streiten. Das macht M auch. Aber | |
was ist mit dem mitschwingenden Verdacht, der Journalismus im Spiegel sei | |
käuflich – nicht nur am Kiosk? An diesem Vorwurf hängt immerhin nicht | |
zuletzt auch die Frage, wie gefährlich es ist, wenn Stiftungen | |
journalistische Projekte fördern – ein Feld, das bald noch spürbar wachsen | |
dürfte. | |
Der Spiegel ruft seinen Kritikern offiziell zu: „Absurd“! Wer sich im | |
Verlag umhört, erfährt gleichwohl auch: Vor der Entscheidung für die | |
Förderung habe man monatelang überlegt und mit der Stiftung von Bill und | |
Melinda Gates verhandelt. Nicht zuletzt sei es darum gegangen | |
auszuschließen, dass der Geldgeber Geschichten bestimmen könnte. Nun seien | |
vier Themenfelder definiert, konkretes obliege aber allein der Redaktion. | |
[4][Professor Volker Lilienthal,] der an der Hamburger Universität | |
Qualitätsjournalismus lehrt, beobachtet das Engagement der Stiftungen in | |
den Medien. „Dahinter steht selbstverständlich der Wunsch, eine Agenda zu | |
setzen“, sagt Lilienthal, „mindestens für ein Themenfeld, womöglich sogar | |
für konkrete Projekte.“ | |
## Mehr als eine Milliarde Dollar | |
In den USA ist das längst ein etabliertes Feld. Die US-amerikanische | |
Journalismusforscherin Magda Konieczna kam zu dem Schluss, dass Stiftungen | |
dort allein zwischen 2009 und Mitte 2016 mehr als eine Milliarde US-Dollar | |
in journalistische Projekte gepumpt haben. Der Non-Profit-Newsdesk | |
ProPublica macht mit seinen investigativen Recherchen inzwischen etwa pro | |
Jahr einen zweistelligen Millionenumsatz. Den Großteil des Budgets spenden | |
zwei Milliardäre, die mit Immobilien zu Reichtum kamen. | |
Deutschland steht hier noch in den Startlöchern. Aber auch hierzulande | |
finanzieren bereits einige Stiftungen journalistische Projekte. Die | |
Brost-Stiftung hatte 2014 mit drei Millionen Euro das [5][Recherchebüro | |
Correctiv] angeschoben. Die Klaus-Tschira-Stiftung finanziert mit jährlich | |
750.000 Euro das deutsche Science Media Center. Die Robert-Bosch-Stiftung | |
bildet Journalist*innen in einer „Masterclass Wissenschaftsjournalismus“ | |
fort und hatte unter anderem einen Austausch deutscher und chinesischer | |
Journalist*innen, aber auch Berichte über Osteuropa finanziert. Die | |
Schöpflin-Stiftung, die wie die Rudolf-Augstein-Stiftung viele kleinere | |
Projekte unterstützt, plant sogar ein „Haus des Journalismus“. | |
Auch wenn Stiftungen „zweifellos Einfluss auf die Kommunikationsökologie | |
der Gesellschaft“ ausübten, ist für Lilienthal die Frage, wie weit das im | |
Einzelnen konkret in den „Schutzraum des Journalismus“ hineinrage. | |
„Redaktionen oder auch einzelne Journalist*innen, für die Fördergelder mehr | |
als nur ein Zubrot sind, setzen so ein Modell unter Stress“, erklärt | |
Lilienthal. „Wenn die eigene Existenz daran hängt, wird man stets im | |
Hinterkopf haben, dass die Förderung auslaufen wird und wird sich | |
überlegen, was man tun muss, um wieder eine zu bekommen.“ | |
## Vorwürfe gegen den „Spiegel“ | |
Beim Spiegel heißt es, man habe sich für die Förderung der Gates-Stiftung | |
entschieden, weil eben keine Abhängigkeit entstünde. Die Redaktion leiste | |
sich ohnehin eigene Reporter*innen im Ausland, klassisch finanziert mit | |
Werbung und Abos. Die Förderung helfe dabei, die „globale Gesellschaft“ | |
intensiver zu covern. | |
Anfang Januar [6][twitterte Lilienthal] noch über die Vorwürfe gegen den | |
Spiegel: „Darf nicht wahr sein.“ Er reagierte seinerzeit [7][auf den Tweet | |
eines WDR-Journalisten]. Der hatte wiederum notiert, das Magazin habe | |
„scheinbar aus heiterem Himmel“ über Atomkraft als Mittel zur Lösung der | |
Klimakrise berichtet – „jetzt kommen die wahren (Hinter-)Gründe ans Licht�… | |
Heute sagt Lilienthal, die Geschichte habe ihn „in einem ersten Reflex | |
schon befremdet“. Er halte es aber „inzwischen für widerlegt, dass sie als | |
Beispiel dafür taugt, wie ein Geldgeber die Inhalte der Redaktion | |
beeinflusst, die er finanziert“. | |
Über das Spannungsverhältnis hat gerade eine von Lilienthals | |
Absolventinnen, Anna Driftschröer, geforscht. Sie hat sowohl | |
Journalist*innen interviewt, die von Stiftungen finanziert werden, als auch | |
Vertreter*innen von Stiftungen. Das Ergebnis ist zwiespältig. Einerseits | |
hätten die Stiftungsvertreter*innen berichtet, dass sie mit den geförderten | |
Redaktionen „in einem eher engen Kontakt stehen“. Andererseits hätten die | |
Journalist*innen allesamt erklärt, „bisher keine Erfahrungen gemacht zu | |
haben, dass Förderer versuchten, die redaktionellen Inhalte oder die Art | |
und Weise der Berichterstattung zu beeinflussen oder gar vorzugeben“. Zu | |
diesem Ergebnis kam auch [8][eine ähnliche Studie in den USA]. | |
Driftschröers Dozent sieht in ihrem Befund eine gewisse Logik. „Die | |
Augstein-Stiftung käme wohl kaum auf die Idee, Tichys Einblick zu | |
finanzieren“, sagt Lilienthal, dessen Professur einst selbst von der | |
Augstein-Stiftung gesponsert wurde. Stiftungen finanzierten vielmehr | |
Projekte, die zur eigenen Haltung passten. „Und wenn es dann einen Einfluss | |
gibt, wird das als guter Ratschlag empfunden, nicht als Einmischung.“ | |
## Es bleibt ein Dunkelfeld | |
Die Sache mit der Brandmauer zwischen Stiftungen und geförderten | |
Journalist*innen bleibt also ein Dunkelfeld. Unterdessen lobbyiert eine | |
Allianz aus Stiftungen, stiftungsfinanzierten Projekten und | |
Journalistenverbänden dafür, dass bald noch mehr Stiftungen den | |
Journalismus finanzieren. Der Hebel dafür soll eine Gesetzesänderung sein: | |
Journalismus soll die Möglichkeit bekommen, als gemeinnützig zu gelten. | |
Dieser Status sei für Stiftungen oft ein hartes Kriterium. | |
„Journalist*innen sollten keine akrobatischen Übungen vollführen müssen, | |
damit ihre Projekte als gemeinnützig gelten können“, sagt die | |
Geschäftsführerin der Rudolf-Augstein-Stiftung, Stephanie Reuter. Dabei | |
gehe es vor allem um Rechtssicherheit: „Gerade Angeboten im Lokalen ist die | |
Anerkennung über andere Zwecke der Abgabenordnung in der Vergangenheit | |
versagt geblieben.“Tatsächlich müssen gemeinnützige journalistische | |
Projekte derzeit mehr als die Hälfte ihrer Umsätze mit Bildungsarbeit | |
erzielen, damit die Finanzämter ihnen den privilegierten steuerrechtlichen | |
Status der Gemeinnützigkeit verleihen. Die Journalist*innen des | |
Recherchebüros Correctiv halten dafür viele Vorträge zu | |
Informationsfreiheitsgesetzen – Zeit und Energie, die für Recherchen fehlt. | |
Aber auch Vorkämpferin Reuter sieht bei aller Euphorie das Eigeninteresse | |
vieler Stiftungen. Journalist*innen seien oft „wichtige Multiplikatoren für | |
die jeweiligen Stiftungsthemen“ wie Umweltschutz. Ein Ausweg könne der | |
Einsatz eines „Intermediärs“ sein: Stiftungen zahlten Geld in einen Topf, | |
dann entscheide ein unabhängiger Dritter, was damit passiert. So könne | |
„beispielsweise ein Verein wie Netzwerk Recherche als ‚Firewall‘ | |
fungieren“. | |
Das Netzwerk Recherche (NR) hat sich auch dem Forum angeschlossen, das für | |
die Gemeinnützigkeit und so letztlich für ein stärkeres Engagement von | |
Stiftungen im Journalismus kämpft. NR-Projektleiter Thomas Schnedler warnt | |
aber auch vor einem Risiko der Stiftungsfinanzierung: blinde Flecken in den | |
Berichten. Ein No-Go sei in jedem Fall eine Kontrolle der Inhalte. Er habe | |
aber auch „noch nie davon gehört, dass hierzulande Journalist*innen | |
Stiftern die Berichterstattung vorab vorlegen mussten“. | |
Im Fall vom Spiegel sagt Schnedler, der mache bei dem Projekt „schon sehr | |
viel richtig“. Er informiere ausführlich über diese Förderung, unter jedem | |
Text des Ressorts „Globale Gesellschaft“. Optimal wäre, wenn der Spiegel | |
sein Publikum auch selbst über die Fördersumme informierte. | |
Das hat der Spiegel bislang nicht getan, dies aber in dieser Woche nach | |
einer Anfrage der taz nachgeholt. Inzwischen steht unter allen Texten die | |
Summe: Die Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt das Projekt mit etwa | |
2,3 Millionen Euro, verteilt auf drei Jahre. | |
„Aber auch so ist ein Punkt offen: Wie steht es in der Praxis um die | |
redaktionelle Unabhängigkeit?“, fragt Schnedler. Bereits der Anschein einer | |
Abhängigkeit müsse vermieden werden. So einem öffentlichen Verdacht lasse | |
sich allerdings auch nur schwer begegnen. | |
„Für etwas, das nicht passiert ist, gibt es ja keinen Beweis. Da müsste | |
schon derjenige liefern, der das behauptet.“ | |
4 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://mmm.verdi.de/beruf/spiegel-gates-63537 | |
[2] /Forbes-Liste-der-Vermoegenden/!5018266 | |
[3] https://magazin.spiegel.de/SP/2019/51/167510412/index.html | |
[4] /Journalistenverband-erneuert-Berufsbild/!5646348 | |
[5] /Ermittlungen-gegen-Correctiv-Chef/!5555890 | |
[6] https://twitter.com/LilienthalV/status/1215319877235486721 | |
[7] https://twitter.com/jdoeschner/status/1214960956574519297 | |
[8] https://www.cogitatiopress.com/mediaandcommunication/article/view/2251 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bouhs | |
## TAGS | |
Journalismus | |
Deutschland | |
Stiftung | |
USA | |
Unabhängigkeit | |
Familie | |
Journalismus | |
Kolumne Flimmern und Rauschen | |
Attac | |
Liebeserklärung | |
Online-Shopping | |
Investigativer Journalismus | |
Kolumne Flimmern und Rauschen | |
Cum-Ex-Geschäfte | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Trennung von Melinda und Bill Gates: So Gates heute vielen | |
Melinda und Bill Gates haben sich getrennt – und schauen nun nach vorn. | |
Damit stehen sie für das Arbeiten und Altern im 21. Jahrhundert. | |
Grüne für Non-Profit-Journalismus: Her mit dem Gemeinnutz | |
In den USA ist gemeinnütziger Journalismus längst Realität, in Deutschland | |
fehlt eine gesetzliche Grundlage. Ein neuer Vorstoß kommt von den Grünen. | |
Honorare freier LokaljournalistInnen: Nur ein Taschengeld | |
Obwohl Lokaljournalismus so wichtig ist, wird er beschissen bezahlt – zu | |
diesem Ergebnis kommt eine neue Erhebung des Vereins Freischreiber. | |
Gemeinnützigkeit von NGOs: Bedrohte Zivilgesellschaft | |
Nicht nur Attac fürchtet um seine Gemeinnützigkeit. Die Bundesregierung | |
muss hier für Rechtssicherheit sorgen. | |
„Tichys Einblick“ verliert vor Gericht: Setzen, weitermachen! | |
Die neurechte Plattform „Tichys Einblick“, deren Geschäftsmodell auf Hetze | |
und Falschbehauptungen setzt, stärkt unsere Meinungsfreiheit – danke! | |
10 Milliarden Dollar für Klimaschutz: Jeff Bezos will sich freikaufen | |
Der Amazon-Chef gründet eine Initiative, die Klimaschutz unterstützen soll. | |
Bei den Folgen seiner Geschäftstätigkeit fürs Klima hat er auch einiges | |
auszubügeln. | |
Investigatives Startup ist gescheitert: Das bittere Ende | |
Das digitale Investigativ-Portal „The Markup“ sollte den Journalismus der | |
Zukunft machen. Jetzt haben sich die Gründer*innen zerstritten. | |
Kolumne Flimmern und Rauschen: Der Stellenwert des Journalismus | |
Vielen Medienhäuser ist die Bedeutung ihrer Produkte egal. Es geht ihnen | |
nur darum, noch für ein paar Jahre die Umsatzrendite hoch zu halten. | |
Ermittlungen gegen Correctiv-Chef: Was heißt „anstiften“? | |
Gegen Oliver Schröm ermittelt die Staatsanwaltschaft. „Anstiftung zum | |
Verrat von Geschäftsgeheimnissen“: Was bedeutet das juristisch? |