# taz.de -- Investigatives Startup ist gescheitert: Das bittere Ende | |
> Das digitale Investigativ-Portal „The Markup“ sollte den Journalismus der | |
> Zukunft machen. Jetzt haben sich die Gründer*innen zerstritten. | |
Bild: Julia Angwin von „The Markup“ | |
Es begann mit einem vielversprechenden Geschäftsmodell, mit viel Geld und | |
Glückwünschen: das digitale Investigativ-Portal The Markup in den USA. Über | |
20 Millionen Startkapital, eine prominente Journalistin an der Spitze – und | |
eine großen Aufgabe. [1][Kontrollinstanz von Facebook] wollte man sein, | |
warb das Start-up im vergangenen Herbst. Nun ist das Projekt in einem | |
Desaster zusammengebrochen. Die Gründer*innen: zerstritten. Die Redaktion: | |
praktisch aufgelöst. Die gute Idee: gescheitert am Konflikt zwischen | |
Journalismus und Wirtschaftlichkeit. | |
Von The Markup war zuerst im September zu hören. Die Journalistin Julia | |
Angwin, berühmt über die Non-Profit-Redaktion ProPublica, versprach eine | |
Plattform für Datenrecherche rund um Internetriesen wie Facebook und | |
Google. Denn wenn die ihre Algorithmen als Geschäftsgeheimnisse hüten, so | |
die Idee, dann müsse The Markup die Algorithmen eben nachrecherchieren. | |
Durch softwaregestützte Recherche wollte Angwin herausfinden, wie Big Data | |
Diskurs, Konsum und Politik beeinflusst. Schon bei ProPublica hatte sie | |
ähnliche Analysen vorgelegt. | |
Geschäftsführerin von The Markup wurde Sue Gardner. Als ehemalige | |
Geschäftsführerin der Wikimedia-Foundation brachte sie die nötige Erfahrung | |
im digitalen Non-Profit-Business. Geld kam in Höhe von 23 Millionen Dollar | |
von der Stiftung des Plattform-Milliardärs Craig Newmark, Gründer der | |
Kleinanzeigenseite Craigslist. | |
Julia Angwin wurde das Gesicht des Projekts, erklärte in Interviews ihre | |
Ansprüche, auch der taz. Sie wolle die Daten liefern, die zur Grundlage für | |
informierte Politikentscheidungen nötig seien. Selbst politisch Position | |
beziehen wolle sie nicht. „[2][Ob Facebook mehr Regulierung braucht oder | |
nicht, das wollen wir nicht sagen“], sagte Angwin. „Aber denjenigen, die | |
diese Fragen zu klären haben, wollen wir die nötigen Daten beschaffen.“ | |
## Politische Haltung oder Neutralität | |
Offenbar teilten die anderen Gründer*innen diesen radikal neutralen, | |
sachlichen Anspruch nicht. Ende April wurde bekannt, dass sich Angwin mit | |
Gardner und dem dritten Gründer, Jeff Larson, zerstritten haben. Und zwar | |
über die Frage, wie viel politische Haltung The Markup zeigen sollte. Das | |
sagt zumindest Angwin. Der New York Times schrieb sie, Gardner habe die | |
Mission des Mediums ändern wollen, in Richtung „klare Stellungnahme gegen | |
Technologiekonzerne“. Sie aber, so Angwin, stehe für „relevanten | |
Datenjournalismus“. | |
Gardner und Larson widersprechen dem. Larson schreibt in einem | |
[3][Blogeintrag], dass er Julia Angwin einfach nicht mehr für eine | |
geeignete Chefredakteurin halte. Gardner sagt der New York Times, es gehe | |
nicht um die Frage nach Fakten oder Meinung, sie habe die Mission von The | |
Markup nicht ändern wollen. Allerdings kommt wenig später heraus, dass | |
Gardner in einem internen Dokument neue Bewerber*innen nach politischer | |
Einstellung eingeordnet hat. Das klingt schon danach, als hätte sich | |
Gardner mehr Meinung gewünscht. | |
Verständlich wäre es. Am erfolgreichsten waren in den USA zuletzt Medien, | |
die für eine bestimmte Haltung bekannt sind. Die New York Times verzeichnet | |
Abozuwächse, seit sie als Anti-Trump-Medium verstanden wird (was die | |
Zeitung bestreitet, aber nicht besonders vehement). Auch die liberale NGO | |
American Civil Liberties Union erhält mehr Spenden, seit Trump Präsident | |
ist – [4][und leistet sich davon eigene Investigativreporter]. | |
Investigation ist teuer. Und Gardners Aufgabe als Geschäftsführerin ist, | |
dafür stabile Spendeneinnahmen sicherzustellen. Es wäre nicht | |
verwunderlich, wenn sie dafür auf The Markup als eine klare politische | |
Stimme gesetzt hat. Wenn dem ein streng faktenorientierter Anspruch wie der | |
von Julia Angwin gegenübersteht, muss es zum Konflikt kommen. | |
## Gescheiterte Hoffnungen für die Branche | |
Für The Markup ist der Streit eine Katastrophe. Angwin ist weg, fünf von | |
sieben Redakteur*innen sind ihr aus Solidarität gefolgt. Um die 25 hätten | |
es mal sein sollen. Das Start-up hängt im Vakuum, ohne Angwin, ohne | |
Redaktion und ohne Inhalte. Weder Gardner noch Larson noch Financier Craig | |
Newman äußern sich derzeit darüber, wie es weitergehen soll. | |
Aber das Drama ist auch eins für die Branche. Denn die schwierigste Frage, | |
wenn es um den digitalen Journalismus der Zukunft geht, lautet: Welches | |
Geschäftsmodell ermöglicht extrem kosten- und zeitaufwändige Recherchen? | |
The Markup hat Hoffnungen auf eine Antwort geweckt – und ist gescheitert. | |
17 May 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Datenjournalismus-gegen-Facebook/!5538173 | |
[2] /Datenjournalismus-gegen-Facebook/!5538173 | |
[3] https://medium.com/@jeff_larson/about-the-markup-6adc6a778100 | |
[4] /Zeitungssterben-in-den-USA/!5544791 | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
## TAGS | |
Investigativer Journalismus | |
Online-Journalismus | |
Daten | |
Start-Up | |
US-Medien | |
Digitale Medien | |
Journalismus | |
Süddeutsche Zeitung | |
Datenjournalismus | |
Schwerpunkt Überwachung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Stiftungsfinanzierter Journalismus: Gemeinnütziger Retter | |
In den USA finanzieren immer mehr Stiftungen journalistische Projekte – | |
vielleicht auch bald hier. Bleiben Redaktionen so unabhängig? | |
Stunk um „SZ.de“-Chefin Julia Bönisch: Stunk im Turm | |
Weil sie einen Text im Branchenblatt „Journalist“ verfasst hat, gerät die | |
Digitalchefin der „Süddeutschen Zeitung“, Julia Bönisch, unter Druck. | |
Datenjournalismus gegen Facebook: 20 Millionen Dollar für Kritik | |
Das Recherche-Projekt „The Markup“ will Daten auswerten, die Tech-Konzerne | |
nicht rausrücken. Geld gibt's von einem Großspender. | |
Aus Le Monde diplomatique: Software für Diktatoren | |
Von Peking bis Damaskus spionieren Geheimdienstler das Netz aus. Das System | |
"Deep Packet Inspection" (DPI) aus dem Hause der kalifornischen Firma Narus | |
hilft dabei. |