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# taz.de -- Zentrum für verfolgte Künste: Die Kunst des Exils
> In Solingen ist Heba Y. Amins „Fruit from Saturn“ zu sehen. Die
> Ausstellung betrachtet die vergangenen 150 Jahre ägyptischer Geschichte.
Bild: Denkmal für Hans-Joachim Marseille in Sidi Abdel Rahman, zu sehen in „…
Die „[1][Villa Aurora] & Thomas Mann House-Nacht“ in der [2][Komischen
Oper] in Berlin will ihr Publikum mit den Stipendiaten bekannt machen und
den Möglichkeiten, die ihnen die beiden Einrichtungen in Los Angeles
bieten. Und so wurde im November berechtigter Stolz darüber geäußert –
besonders über das Thomas Mann Haus, das im Jahr davor als deutsches
Kulturzentrum eingeweiht wurde. Gleichzeitig war aber keine Rede davon,
weshalb die Bundesrepublik überhaupt im Besitz zweier schicker Villen in
Pacific Palisades ist.
Das Wissen darum wurde eben vorausgesetzt. Was den schönen Effekt hatte,
dass die Entwurzelten und Verbannten an diesem Abend weiter keine Rolle
spielten. Ob als Gespenster aus leidvoller Vergangenheit oder als heutige
Menschen, die sich wie etwa [3][Ai Weiwei] kritisch über den Ort ihres
Exils äußern. Ob [4][Lion Feuchtwanger] und Thomas Mann nicht auch manches
an ihrem amerikanischen Zufluchtsort auszusetzen hatten? Auch wenn sie sich
glücklich schätzten, Hitler und dem Krieg in Europa entkommen zu sein?
Und scheint es da nicht naheliegend, dass das Land, das seine Dichter
vertrieben hat, deren verwaiste Häuser erwerben sollte, um sie – in
Ergänzung zur Exilforschung – als Orte des Exilgedenkens zu pflegen?
Tatsächlich waren es engagierte Bürger, die die Regierung in die Pflicht
nahmen, sich um die von Verfall und Immobilienspekulation bedrohten Häuser
zu bemühen.
In Solingen auf [5][Roberto Blanco] zu treffen überrascht nur, insofern es
im Kontext der bildenden Kunst geschieht. Die ägyptische Konzeptkünstlerin
Heba Y. Amin hat mit dem Sänger ein Videointerview geführt, im Rahmen ihrer
Einzelausstellung „Fruit from Saturn“, die einen Bogen von der Kolonialzeit
über die Präsenz des deutschen Afrikakorps in Ägypten bis zur
Demokratiebewegung der 2010er Jahre schlägt.
## Roberto Blanco als Küchenhelfer
Roberto Blanco ist vor der Replik einer Pyramide zu sehen, die Ende der
1980er Jahre – just zu der Zeit, als sich der Retter-Kreis der Freunde der
Villa Aurora gründete – von einer deutsch-italienischen „Gemeinschaft der
Jagdflieger“ in Sidi Abdel Rahman errichtet wurde, am Absturzort von
[6][Hans-Joachim Marseille], dem deutschen Piloten mit den meisten
Abschüssen im Zweiten Weltkrieg. Roberto Blanco spielte einen Küchenhelfer
in Alfred Weidenmanns verlogenem Biopic „Der Stern von Afrika“ aus dem Jahr
1957, das den Piloten zum Kriegsgegner und Widerständler stilisierte.
In Solingen auf das abstruse Ehrenmal seiner Kriegskameraden zu treffen
überrascht vor allem, weil dies im Zentrum für verfolgte Künste passiert.
Das Zentrum versammelt Werke von Künstlern und Künstlerinnen, die während
der nationalsozialistischen Herrschaft verfemt und später vergessenen
wurden.
Dabei macht es nicht mit Kriegsende halt, sondern dokumentiert auch die
dissidentische Literatur der DDR und anderer osteuropäischer Diktaturen.
Mit Ausstellungen zeitgenössischer Kunst versucht es darüber hinaus die
aktuelle, global zu beobachtende Unterdrückung und Verfolgung ins Blickfeld
zu rücken. Solingen, ausgerechnet, ist also in Deutschland der Ort des
Exilgedenkens
Und Roberto Blanco ist die interessante Figur zwischen den bürgerlichen
Fraktionen derer, die sich den staatlicherseits legitimierten, wenn nicht
initiierten Verbrechen stellen, seien sie vergangen oder ganz aktuell, und
derer, die diese Verbrechen leugnen beziehungsweise glauben, einzelne
Helden identifizieren und dem verbrecherischen Kontext entziehen zu können.
## Tödliche Frage nach Zugehörigkeit
Als Sohn kubanischer Eltern in Tunis geboren und Madrid aufgewachsen, ist
Roberto Blanco kein Verfolgter, nur der gewöhnliche Fall des Einwanderers,
der den Erfolg sucht. Gerade deshalb steht auch er als Figur im Kontext des
nationalstaatlichen Paradigmas, in dem sich die Frage der Zugehörigkeit
schnell existenziell zuspitzen kann. In Solingen traf es die [7][Familie
Genç] als 1993 Neonazis einen Brandanschlag auf ihr Haus verübten, bei dem
fünf Familienmitglieder starben.
Der Mord war ein Weckruf für die Solinger Bürger. Besonders die
[8][Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft], 1990 vom Journalisten Hajo Jahn
gegründet und durch Dichterlesungen in Asylbewerberheimen schnell bekannt
gemacht, drang auf deutlich sichtbare Zeichen der Gegenwehr. Das Zentrum
für verfolgte Künste darf als ein solches gelten: Solingen ist nicht
ausgerechnet, sondern sehr zu Recht Ort des Exilgedenkens in Deutschland.
Zur Gründung kam es durch die glückliche Koinzidenz, dass sowohl das
Kunstmuseum Solingen als auch die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft auf
Sammlungen mit Exilkunst und -literatur aufmerksam wurden. 2004 brachte der
westfälische Antiquar Gerhard Schneider rund 3.000 Werke, die er mit großer
Kennerschaft von Künstlern und Künstlerinnen zusammengetragen hatte, die
von den Nationalsozialisten als „entartet“ denunziert, verfolgt, vertrieben
oder ermordet worden waren, in die „Bürgerstiftung für verfemte Künste der
Sammlung Schneider“ ein.
Drei Jahre später, 2007, erwarb dann die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft
die Literatursammlung des Journalisten Jürgen Serke, die zweieinhalbtausend
Werke ehemals verbotener, verbrannter und im Exil entstandener Literatur
umfasste. Diese beiden Stiftungen wurden 2014 im Zentrum für verfolgte
Künste zusammengeführt.
## Exilschicksale und herausragende Kunstwerke
Wenn hier nun vornehmlich Künstler und Künstlerinnen zu Hause sind, die vor
ihrer Vertreibung keine Erfolgsschriftsteller oder Malerstars waren oder im
Exil zu solchen wurden, heißt das nicht, dass in Solingen keine
Entdeckungen zu machen wären. Und dabei geht es nicht einfach um
Exilschicksale – das versteht sich von selbst –, sondern um herausragende
Kunstwerke.
Dazu zählen unbedingt die beeindruckenden Porträtgrafiken von [9][Elfriede
Lohse-Wächtler], die 1940 in der Euthanasie-Aktion T4 ermordet wurde. Es
zählen dazu Eric Isenburgs Bildnis seiner Frau „Jula in Schweden“ aus dem
Jahr 1937, das im Umgang mit der Farbe ebenso wie in der Aufteilung der
Malfläche in Figur und Hintergrund besticht.
Eric und Jula Isenburg gelang die Flucht in die USA. Spanien und
Argentinien waren die Zufluchtsorte Oscar Zügels, dessen vom Himmel
stürzender Ikarus – ein aus der Form gelaufenes, weil in der Hitze
geschmolzenes Hakenkreuz –, wie Jürgen Kaumkötter, der Direktor des
Zentrums, richtig sagt, das Zeug zur Ikone des antifaschistischen
Widerstands gehabt hätte.
Jürgen Kaumkötter will das Zentrum für verfolgte Künste als Kunstmuseum des
Exils profilieren, jenseits seiner grundlegenden Rolle einer bislang noch
wenig bekannten und damit wenig erschlossenen Quellensammlung zur
Zeitgeschichte. Heba Y. Amins „Fruit from Saturn“-Schau, die den Titel
einem Gedichtband Ivan Golls entlieh, zeigt beispielhaft, wie das aussehen
kann. Denn es gelingt der Künstlerin, die politische Auseinandersetzung,
die sie sucht, künstlerisch überzeugend zu artikulieren.
## Zwischen Fortschrittsglaube und Desillusion
Golls Gedichtband fand sich natürlich ebenfalls in der Sammlung des
Zentrums. Das Eröffnungsgedicht „Atom Elegy“ lag freilich auch als
unveröffentlichtes Originalmanuskript vor und so wurden zwei Versionen
kenntlich: eine fortschrittsgläubige vor dem Atombombenabwurf der
Amerikaner und eine desillusionierte danach. Auch so thematisiert Heba Y.
Amin die Bedeutung des Zeithorizonts, unter dem unser Wissen reift oder
verkümmert.
Ihre minimalistischen eisernen Wandskulpturen referieren dann auch nicht
auf die Kunst der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Sie sind vielmehr
plastische Übersetzungen der Diagramme, die im „Buch der Optik“ des
arabischen Gelehrten von Ibn al-Haitham (965–1040) zu finden sind. Gegen
früheres Wissen und Neugierde steht heute die Engstirnigkeit und religiöse
Dogmatik der arabischen Politik, gegen die der Protest der Bevölkerung ob
in Ägypten, im Libanon, im Iran oder Irak nicht verstummt.
Das Video „Speak2Tweet“ kompiliert die auf Twitter veröffentlichten
Sprachnachrichten der Aufständischen 2011, unterlegt mit Bildern der
zerstörten Herrscherpaläste. Nicht unähnlich der Pyramide in Sidi Abdel
Rahman, sind auch sie fremde Objekte, eingebettet in eine Umgebung, in der
die dort lebenden Menschen nicht repräsentiert sind, nicht beachtet, als
Staatsbürger geschätzt und behandelt. Tendenziell schon im Exil gehen sie
diesen Weg oft genug auch wirklich.
15 Jan 2020
## LINKS
[1] /Deutsche-Bank-KunstHalle/!5206976
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[5] /Rassismus-nach-Art-der-CSU/!5224306
[6] /Lent-Kaserne-soll-umbenannt-werden/!5529877
[7] /Gedenken-an-Brandanschlag-in-Solingen/!5509744
[8] /Kulturpreis-nach-NSDAP-Mitglied-benannt/!5307149
[9] /Ausstellung-Geschlechterkampf/!5363294
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
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