# taz.de -- Roman von Nassir Djafari: Aufregende Zeitreise | |
> Der iranisch-deutsche Schriftsteller Nassir Djafari hat mit „Mahtab“ | |
> seinen zweiten Roman vorgelegt. Der dritte ist in Arbeit. Zeit für einen | |
> Besuch. | |
Bild: Berlin, 2. Juni 1967: Sitzstreik gegen den Schahbesuch vor dem Rathaus Sc… | |
Als sein Debüt erschien, hatte er schon ein Arbeitsleben hinter sich. Das | |
war vor zwei Jahren. Jetzt sitzt der gerade siebzig Jahre alt gewordene | |
Nassir Djafari an seinem dritten Roman. Ein fleißiger Spätberufener. Der | |
studierte Volkswirt mag seine neue Tätigkeit, wie er gelassen erzählt. | |
Jeden Tag, wenn möglich, setzt er sich vormittags an den Schreibtisch, wenn | |
es gut läuft, auch noch am Nachmittag. 2022 ist nun sein zweiter Roman im | |
Bremer Sujet Verlag erschienen: „Mahtab“. So lautet auch der Name der | |
Protagonistin, einer Frau von etwa vierzig Jahren, die mit ihrem Mann Amin | |
Hamidzadeh aus dem Iran nach Deutschland eingewandert ist. | |
Der Roman fokussiert das Jahr 1967. Ein Schicksalsjahr. Der Schah, | |
Machthaber des Iran, besucht Berlin. [1][Benno Ohnesorg wird in Berlin | |
erschossen], Studierende und außerparlamentarische Bewegung revoltieren. | |
Auswirkungen davon bekommt auch die Familie im Roman zu spüren. Vater, | |
Mutter und drei Kinder. | |
Djafari erzählt ausnahmslos aus der Perspektive von Mahtab. Er hat sie der | |
eigenen Mutter nachempfunden, sagt er im Gespräch. Es ist nicht ihre | |
Biografie, aber vom Typ her sei sie ihr ähnlich: zurückhaltend und still. | |
Auch ihr Mann Amin erinnere ein wenig an seinen eigenen Vater. Der sei ein | |
sehr fürsorglicher und liebevoller Mensch gewesen. Doch alles andere sei | |
literarisch konstruiert und erfunden, sagt Djafari. | |
Wir treffen uns auf ein Kännchen Tee im Frankfurter Palmengarten. Ein Ort, | |
der in seinem Buch vorkommen könnte. Denn „Mahtab“ ist auch ein | |
Frankfurt-Roman. Die Stadt am Main war damals Hotspot der | |
Studentenproteste. Doch daneben erregte im Jahr 1967 auch der Bau der | |
U-Bahn die Gemüter. | |
## Zeitreise ins revoltierende Frankfurt | |
Mahtab arbeitet als Krankenschwester im Markus-Krankenhaus, privat versucht | |
sie, als der Roman einsetzt, Autofahren zu lernen. Zur Erinnerung: Erst ab | |
1958 durften Frauen in Westdeutschland ohne die Erlaubnis ihres Mannes den | |
Führerschein machen. | |
Djafaris Roman gleicht einer aufregenden Zeitreise, die [2][ins | |
revoltierende Frankfurt] und zurück in den archaisch anmutenden Iran führt. | |
In Rückblicken erfährt man, wie Mahtab aufgewachsen ist, welche | |
Repressalien sie in der eigenen Familie erdulden muss, bis die Eltern sie | |
in eine arrangierte Ehe mit dem älteren Amin schubsen. Das Geschehen in | |
diesen Rückblicken ist nicht erfunden, Djafari hat es den Erzählungen der | |
eigenen Mutter abgelauscht. | |
Mit seinen Eltern und seinen zwei Brüdern kam er selbst im Alter von 5 | |
Jahren nach Deutschland. Nach seinem Studium hat er für verschiedene | |
Entwicklungshilfeprojekte gearbeitet, die meiste Zeit für die Kreditanstalt | |
für Wiederaufbau (KfW). | |
Drei Jahre hat er in Peru gelebt, ein halbes Jahr in Polen, und ist auch | |
sonst weit in der Welt herumgekommen, um etwa politisch-wirtschaftliche | |
Risikoanalysen zu erstellen. Mit 63 Jahren ist er in Ruhestand gegangen. | |
Zuvor absolvierte er ein Schreibseminar auf Rügen, dessen Kursleiter ihn | |
sehr ermutigte, dranzubleiben. Und das macht er seither. | |
## In den Iran zurück, in die USA ausgewandert | |
2020 erschien dann der erste Roman: „Eine Woche, ein Leben“. Eine | |
Vater-Sohn-Geschichte, die in Deutschland und in Peru spielt. Eigentlich | |
wollte er ihn auf der Leipziger Buchmesse der Öffentlichkeit präsentieren, | |
die wurde dann aber wegen Corona abgesagt. „Es war etwas mühsam“, sagt | |
Djafari rückblickend. | |
Mit seiner Frau Anita Djafari, lange Jahre Leiterin des für | |
außereuropäische Literatur engagierten Vereins Litprom in Frankfurt am | |
Main, lebt er in Wehrheim, nahe Bad Homburg. Seine Eltern indes sind später | |
wieder in den Iran zurückgekehrt. Und noch später dann in die USA | |
ausgewandert. Und gegen Ende ihres Lebens wieder nach Deutschland gezogen, | |
wo sie auch gestorben sind. | |
Wie die Kinder in seinem Roman hat auch Djafari seine Eltern bis zu ihrem | |
Tod gesiezt. „Wir haben einen Höllenrespekt vor ihnen gehabt“, sagt er und | |
widerspricht der Vermutung, das Siezen schaffe Distanz. Die Beziehung sei | |
ganz im Gegenteil sehr eng gewesen, mit Knuddeln und Anfassen. Sein eigener | |
Sohn indes duzt ihn und nennt ihn beim Vornamen. „Ich hätte mir gewünscht, | |
dass er Papa sagt.“ | |
Nicht nur Formen des Respekts, sondern auch Moralvorstellungen unterliegen | |
dem Wandel der Zeit. Mahtab stammt aus einer sittenstrengen Familie und | |
[3][ist angesichts des libertinären Gehabes der jungen Generation in den | |
1960er Jahren] fassungslos. Prompt findet sie in der Handtasche der Tochter | |
eine Schachtel Antibabypillen. Ihr Mann bändelt derweil mit der | |
offenherzigen Buchhalterin Ursula an, die sich am Badesee im Bikini räkelt. | |
Mahtab überfordern die Auswüchse deutscher Lockerheit. Als es ihr zu bunt | |
wird, bricht sie aus. Es ist auch die Geschichte einer Emanzipation, | |
wiewohl Djafari das Ende und das weitere Leben seiner Hauptfigur offen | |
lässt. Ihr Mann führt einen Haushaltswarenladen, der sich großspurig | |
„Kaufhaus Europa“ nennt. Sein fehlerhaftes Deutsch verschleiert er, indem | |
er bei Bedarf ins Englische wechselt. | |
Mahtab indes spricht anfangs etwas gebrochen Deutsch, was in ihrem Fall | |
meint, dass sie alles sagen kann, aber auf einige Worte und Fälle | |
verzichtet. Das klingt dann so: „Herr Doktor. Vielen Dank. Sehr nett von | |
Ihnen. Ich hier aussteigen. Ich muss zu meine Mann, zu Geschäft, mit meine | |
Mann sprechen.“ | |
## Das höfliche Drumherumreden | |
Im Laufe des Romans verbessert sie ihr Deutsch; zudem eröffnet sie ein | |
eigenes Konto, zuvor wurde auch ihr Gehalt auf das ihres Mannes überwiesen. | |
Auf Seite 88 heißt es: „Aber das war eine andere Welt damals.“ Djafaris | |
Roman bezeugt das hier wie dort. Während nämlich in Deutschland Studierende | |
auf die Straßen gehen und die Frauen sich ihrer Büstenhalter entledigen, | |
[4][ordnet der letzte iranische Schah Reza Pahlavi im Iran ein | |
Verschleierungsverbot] an. „Nichts blieb, wie es war.“ Ein Kernsatz des | |
Romans. Für die Zeitreise, die sein Buch bietet, hat auch Djafari sich auf | |
eine Art Zeitreise begeben, sich alte Filme und Bilder aus beiden Ländern | |
angeschaut. | |
Seine iranische Herkunft bildet einen Teil seiner Identität, wie er sagt, | |
und wenn er persische Musik höre, rühre ihn das immer sehr an. Das Gleiche | |
passiere beim Anblick von typischen iranischen Landschaften. „Es ist eine | |
Sehnsucht, die bleibt.“ Trotzdem empfindet er die Bundesrepublik und | |
Deutschland, er wurde 1987 eingebürgert, als seine Heimat. „Wenn man mich | |
auf den Mond schießen würde, würde ich mich nach Deutschland sehnen, hier | |
bin ich schließlich groß geworden.“ | |
Mittlerweile besitzt er die doppelte Staatsbürgerschaft und glaubt nicht, | |
dass man sich hundertprozentig assimilieren könne. Die Unterschiede | |
zwischen beiden Ländern kommen auch in „Mahtab“ immer wieder zur Sprache. | |
Sei es, dass das Organisationstalent hierzulande gelobt wird oder die | |
höflichen Umgangsformen der Iraner. Das höfliche, in vielen Schleifen | |
Drumherumreden liegt auch Djafari: „Ich bemühe mich, Dinge diplomatisch | |
anzusprechen.“ | |
[5][Im Gegensatz zu den Kindern im Roman, hat er selbst keine negativen | |
Erfahrungen] mit Rassismus gemacht. „Wir waren zwar die Ausländer damals, | |
aber man hat uns immer gut behandelt.“ Auch sein nächster Roman dreht sich | |
um in Deutschland lebende Iraner. Er spielt in der Gegenwart; mehr möchte | |
Djafari zum jetzigen Zeitpunkt nicht verraten, wie er bestimmt, aber | |
höflich sagt. | |
12 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Shirin Sojitrawalla | |
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