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# taz.de -- Roman über Berlin-Neukölln: Ganz harte Berliner Jungs
> Heranwachsen im Dunstkreis der Drogengangs: Behzad Karim Khanis „Hund
> Wolf Schakal“ beweist poetisches Gespür. Und ein Ohr für Straßenjargon.
Bild: Im Hintergrund lockt das schnelle Geld: Straßenszene in Berlin-Neukölln
Die Kategorisierungen bei Amazon sind oft originell. Behzad Karim Khanis
Debütroman „Hund Wolf Schakal“ wird vom Online-Kaufhaus als „Bestseller …
1“ in der Kategorie „Orientalische Literatur“ geführt – direkt vor ein…
Mittelalterschmonzette und, auf Platz 3, dem Werk „Ukulele lernen leicht
gemacht“. Dabei stammt die Ukulele aus Hawaii, und auch Khanis Roman spielt
nicht im Orient, sondern in Berlin-Neukölln.
Gäbe es die Kategorie „Berlin-Literatur“ (vielleicht gibt’s die sogar), …
würde Khani darin sicherlich einen vorderen Platz belegen. Allerdings
beginnt sein Roman tatsächlich, so orientalisch wird es immerhin, in
Teheran. Und Neukölln ist, das weiß man spätestens [1][seit der Serie
„4Blocks“], neben vielem anderen auch die Heimat mancher arabischer
Kriminellen-Clans.
Wie sich das Männlichkeitsbild der in diesem Kontext Heranwachsenden an den
zweifelhaften Vorbildern der Dealer und Schläger orientiert und formt,
erzählt Khani in einer lebendigen, schön gestalteten Prosa, die im Duktus
dezidiert lakonisch und in ihrer Bildhaftigkeit oft sehr poetisch ist.
Das Eingangskapitel ist ein gelungenes Beispiel dafür. Saam, die Hauptfigur
des Romans, ist noch ein kleiner Junge und spielt auf dem Dach eines Hauses
in Teheran mit seinem Zoo aus gefangenen Insekten, als sein Vater von der
Polizei geholt wird.
## Aufwachsen und Erwachsenwerden im Clanmilieu
Es sind die achtziger Jahre, und Vater Jamshid, der einst als Kommunist
gegen den Schah gekämpft hat, ist auch dem neuen Regime ein Dorn im Auge.
Seine Frau, Saams Mutter, ist von den Schergen der Mullahs bereits ermordet
worden. Doch obwohl die Verhaftung des Vaters Schlimmes erwarten lässt,
nimmt die Szene ein überraschend glimpfliches Ende. Jamshid kann mit seinen
Söhnen das Land verlassen. Und der Rest des Romans spielt, wie gesagt, in
Berlin.
Er handelt vom Aufwachsen und Erwachsenwerden Saams und seines jüngeren
Bruders Nima. Davon, wie Saam sich mit dem libanesischstämmigen Heydar
anfreundet, dessen große Brüder dick im Drogengeschäft und auf der Straße
gefürchtet sind. Heydar imitiert schon als Kind den gewalttätigen Habitus
der Älteren, und auch Saam lernt dazu.
Als einziger Perser unter Arabern muss er sich besonders beweisen; und so
muckt er nicht auf, wenn Heydars Bruder Marwan ihn blutige Drecksarbeit für
sich erledigen lässt. Dass er sich damit Feinde macht, die ihm eines Tages
gefährlich werden könnten, ist nichts, worüber Saam sich als Teenager den
Kopf zerbricht. Bis er Jahre später in den Knast kommt, dort auf ein
früheres Opfer trifft und spüren muss, dass nichts vergessen ist …
Behzad Karim Khani bedient mit diesem Roman ein Thema, das nicht erst
neuerdings Konjunktur hat. „4Blocks“ hat das Neuköllner Gang-Unwesen
hierzulande längst als Sujet für die gehobene Unterhaltungskultur
etabliert; unter dem Titel „[2][Snabba cash]“ läuft auf Netflix gerade eine
themenähnliche Produktion aus Schweden; und [3][Fatih Akin hat mit
„Rheingold“ die Autobiografie] des (ebenfalls persischstämmigen) Rappers
Xatar verfilmt, die in Grundzügen quasi parallel läuft zum Schicksal des
Protagonisten von Khanis Roman. Nichts Neues also in diesem Buch?
## Erfrischende Dialoge, unblumiger Stil
Jein, denn zum einen sind Film und Literatur zwei Paar Schuhe, und für die
Literatur ist das Thema noch nicht verbraucht. Erfrischend sind vor allem
Khanis Dialoge, deren Tonfall und häufig absurde Lakonie man umgehend als
authentischen – oder auch fein ironisierten – Neuköllner Straßenjargon
akzeptiert. Auch ansonsten stimmt sprachlich fast alles hier, Khanis
knapper, aber gar nicht unblumiger Stil nimmt einen umstandslos mit.
Gleichzeitig bewirkt das schwungvolle Easy-going-Gefühl der Lektüre aber
auch, dass die eigentlich tragisch grundierte Story insgesamt etwas zu
flott über diesen Abgrund hinwegflutscht. Saams Weg in die Neuköllner
Halbwelt grenzt zu nah ans Klischee, als dass man nicht das Bedürfnis
hätte, doch noch etwas mehr erklärt zu bekommen. Klar besteht jede Kunst
unter anderem im Weglassen, aber vielleicht ist es ja noch wichtiger,
richtig zu entscheiden, was unbedingt drinbleiben muss.
Es kann gut sein, dass soziales Abrutschen oft auf diese Weise passiert,
fast zufällig und gegen den Willen der ehrbaren Eltern. Ein falscher
Freund, und schon ist das Leben auf links gedreht. Aber trotzdem ist auch
nach der Lektüre unklar: War es denn das, was erzählt werden sollte? Und
wer ist eigentlich Saam? Warum ist gerade er der Held dieses Romans?
Als Charakter bleibt er seltsam abstrakt und fern, anders als sein Bruder
Nima, der eigentlich eine Nebenfigur ist und dessen Geschichte in einem
kurzen, zwischengeschalteten Seitenerzählstrang umrissen wird. Warum aber
ist der deutlich komplexer angelegte Nima nicht die Hauptfigur? Weil sein
keineswegs gradliniger Lebensweg eben nicht brutal und tragisch verläuft?
Möglicherweise wollte der Autor einfach keinen allzu „bürgerlichen“
Hauptprotagonisten für seinen Roman, aus Sorge, das könnte nicht
interessant genug sein. Aber in der Regel ist es ja gar keine schlechte
Idee, über das zu schreiben, was man am besten kennt.
9 Jan 2023
## LINKS
[1] /Zweite-Staffel-4-Blocks/!5540207
[2] /TV-Krimiserie-auf-ZDFneo/!5685342
[3] /Fatih-Akins-Rheingold/!5887554
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Buch
Debütroman
Roman
Clans
Drogendealer
Neukölln
Schwerpunkt Iran
90er Jahre
Subkultur
Literatur
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