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# taz.de -- Buch über subkulturelle Orte Berlins: Streifzüge durch Lustbarkei…
> Subkulturelle Orte prägen die Vergangenheit Berlins. Autor Daniel
> Schneider und Comiczeichnerin Tine Fetz haben sie in ihrem Buch „Places“
> verewigt.
Bild: Abhörstation am Teufelsberg in Berlin
Abreißen und neu bauen: Oft gewinnt man den Eindruck, dies sei das eherne
Gesetz der Berliner Stadtentwicklung. Betrachtet man die Geschichte der
Berliner Clubs und [1][Vergnügungsorte insbesondere in der Nachwendezeit],
scheint sich diese Annahme zu bestätigen.
Wo einst der Tresor oder der Club Elektro waren, sind heute Büros. Wo
[2][die Cuvrybrache war] und [3][weltweit berühmte Street Art] prangte:
noch mehr (hässliche) Büros. Wo die Werner-Seelenbinder-Halle war, ist
heute das Velodrom. Und wo der Palast der Republik einmal von
Künstler:innen zwischengenutzt wurde, da steht heute [4][dieses so alte
neue Schloss].
Um die subkulturellen Orte der Vergangenheit vor dem Vergessen zu bewahren,
ist nun der illustrierte Band „Places“ entstanden. Insgesamt 60 Berliner
Orte werden darin porträtiert. Daniel Schneider, Mitarbeiter des Archiv der
Jugendkulturen, hat kurze und bündige Artikel zu den Orten geschrieben, die
[5][Illustratorin und Comiczeichnerin Tine Fetz] die Zeichnungen der
„Places“ angefertigt.
Dabei stellen die beiden nicht nur berühmte Clubs wie das WMF, den Tresor,
den Eimer oder den Berghain-Vorgänger Ostgut vor, es kommen auch Plätze wie
die Radarstation auf dem Teufelsberg, der Bierpinsel in Steglitz oder der
Rundlokschuppen Heinersdorf vor.
## Ein Stück Berliner Stadtgeschichte
Nebenbei erzählt der Band so immer auch ein Stück Berliner Stadtgeschichte,
die ausgewählten Orte künden oft von der wechselhaften Geschichte der
Bezirke. Beim Prenzlauer Berg mag dies noch sehr erwartbar sein, hier ging
das Verschwinden von Diskotheken wie dem Café Nord und Clubs wie dem Icon,
dem Knaack und dem Klub der Republik mit der Glättung, Gleichmachung und
Verspießerung eines ganzen Stadtteils einher.
Aber auch an anderen Stellen wird Wandel sichtbar oder Kiezgeschichte
abgebildet. Über die Adresse Hasenheide 13 in Kreuzberg etwa existiert ein
eigenes Buch („Hasenheide 13“, Hg.: Sammlung Wemhöner), so spannend ist die
Geschichte des Gebäudes, die hier kurz abgehandelt wird. „Places“ erzählt
von den verschiedenen Stätten zum Abhotten, die an jener Stelle beheimatet
waren: Dem Cheetah, dem Sector Tanzpalast Kreuzberg, dem Joe an der
Hasenheide, dem Pleasure Dome. Ältere mögen sich erinnern.
Gleichzeitig wird einem vor Augen geführt, welch vitales Vergnügungsviertel
einmal dort war. Ballhäuser, Tanzpaläste, Biergärten – es muss einmal
ziemlich lebenslustig zugegangen sein an der Meile zwischen Hermannplatz
und Südstern, wo heute Huxleys Neue Welt recht einsam inmitten der
Baumarkt-Tristesse residiert.
Unvermeidlich erfährt man in „Places“ natürlich auch etwas über die wilde
Mitte der Neunziger, in der sich die Subkultur die Freiräume nahm, die
durch die Wende entstanden waren – diese Geschichte ist weitaus bekannter,
aber nicht weniger erzählenswert. Oft sind es auch Anekdoten am Rande, die
interessant sind, zum Beispiel, dass unter den Besetzer:innen des Clubs
I.M. Eimer, benannt nach den inoffiziellen Stasi-Mitarbeiter:innen,
tatsächlich I.M.s waren (was zu entsprechenden Konflikten geführt hat).
## Informativ, nicht allzu nostalgisch
Die Auswahl der Clubs und Diskos, die zu Mauerzeiten existierten, ist
insgesamt etwas westlastig. Allerdings wird auch von Freiräumen in der DDR
berichtet, etwa vom Alextreff oder der Samariterkirche, die eine Zeitlang
Heimstatt der oppositionellen Subkultur war.
Die Szene im Westen, vor allem in Schöneberg, wird dagegen kompletter
abgebildet, man streift visuell noch mal durch die Gegend um den
Wittenberg- und Nollendorfplatz und stößt auf legendäre Stätten wie das
Chez Romy Haag, den Dschungel oder das Risiko. Oder man wird an dunkle
Stunden der Westberliner Historie erinnert, wenn das La Belle in Friedenau
porträtiert wird, das 1986 Ziel eines Terroranschlags wurde.
Fetz und Schneider geben seit fünf Jahren bereits den Kalender „Places
Berlin“ heraus – aus dem Kalenderprojekt entstand schließlich die Idee für
das Buch. Die klaren, kontrastreichen Schwarz-Weiß-Illustrationen von Tine
Fetz basieren auf Fotos und sind mit Liebe zum Sujet gezeichnet, so
entdeckt man gelegentlich kleine ins Bild gesetzte Details oder Figuren,
die eine eigene kleine Geschichte erzählen.
Schneiders Texte sind dicht und informativ, aufs Wesentliche beschränkt,
zum Glück nicht allzu nostalgisch. Und doch ruft „Places“ natürlich
legendäre Konzerte in Erinnerung, bei der Werner-Seelenbinder-Halle etwa
denkt man unweigerlich an die Konzerte kurz vor der Maueröffnung wie das
Ton-Steine-Scherben-Konzert 1988 oder den Auftritt von Depeche Mode im
gleichen Jahr.
Die beiden Autor:innen weisen darauf hin, dass sie keinen Anspruch auf
Vollständigkeit erheben. Deshalb kann es natürlich sein, dass einem Orte in
West (etwa Ex’n’Pop oder Punkhouse) wie Ost (der alte Franz-Club oder
diverse Jazzclubs) in der Auswahl fehlen. Aber wer weiß, vielleicht
serviert uns ja ein Folgeband dereinst weitere „Places“.
Die Buchpremiere findet im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Jungle Bar“ am
3. Februar in der Berliner Programmschänke Bajszel, Emser Str. 8-9, statt.
3 Jan 2023
## LINKS
[1] /Berlins-Spielplatz-der-Subkultur/!5870041
[2] /Im-Slum-von-Kreuzberg/!5040618
[3] /Street-Art-Bild-uebermalt/!5025688
[4] /Autor-ueber-das-Berliner-Schloss/!5782539
[5] /Tocotronic-Songs-als-Comicstrips/!5726205
## AUTOREN
Jens Uthoff
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