# taz.de -- Comic über Nordkorea: In den Fängen des Diktators | |
> Der Comic „Madame Choi und die Monster“ erzählt von der spektakulären | |
> Entführung zweier Filmstars aus Südkorea nach Nordkorea. | |
Bild: Aus dem Comic „Madame Choi und die Monster“ | |
Es begann 1976 mit dem Diebstahl einiger Filmrollen in Seoul, der | |
Hauptstadt Südkoreas. Der Dieb brachte das Material, darunter der | |
Monsterfilm „Bulgasari“, direkt hinter die Grenze nach Nordkorea, um sie | |
seinem „geliebten Führer, Sonne unseres Vaterlandes“ persönlich zu | |
überreichen. | |
Knapp zwei Jahre später geschieht ein weiterer Überfall. Bei einem | |
Hongkong-Besuch wird die berühmte südkoreanische Schauspielerin Choi Eun | |
Hee entführt und in den Norden verschleppt, wo sie von Kim Jong Il | |
empfangen wird. Er war damals der Leiter der Propagandaabteilung und der | |
Filmproduktion Nordkoreas, das von seinem Vater, dem „Großen Führer“ Kim … | |
Sung, beherrscht wird. Kurz darauf wird auch Chois Exmann, Schauspieler und | |
Regisseur Shin Sang Ok, in Hongkong entführt und nach Nordkorea gebracht … | |
Die Graphic Novel „Madame Choi und die Monster“, geschrieben von dem Autor | |
und Journalisten Patrick Spät (Graphic-Novel-Debüt „König der Vagabunden�… | |
mit Bea Davies, Avant Verlag, 2019) und von der Comiczeichnerin Sheree | |
Domingo gezeichnet, handelt von ungeheuren Begebenheiten der koreanischen | |
Nachkriegsgeschichte. Lange war strittig, ob Diktatorensohn Kim Jong Il | |
tatsächlich Choi Eun Hee (1926–2018) und Shin Sang Ok (1926–2008) entführ… | |
oder ob sie freiwillig nach Nordkorea gingen. | |
Die wohl bekanntesten Filmstars des verfeindeten Südkoreas drehten seit den | |
1950er Jahren zusammen Filme und hatten in den 70er Jahren den Höhepunkt | |
ihrer beider Karrieren bereits überschritten. Doch heute wird die | |
Doppelentführung als Tatsache anerkannt. | |
## Verschwunden im Goldenen Käfig | |
Jahrelang befanden sich die beiden getrennt voneinander in Nordkorea, ohne | |
vom Schicksal des jeweils anderen zu erfahren. Kim Jong Il behauptete | |
gegenüber der „Lehrerin Madame Choi“, wie er sie nannte, ihr Fan zu sein | |
und sie festzuhalten, um gemeinsam „große Filmkunst“ herzustellen. | |
Während Choi sich in einem goldenen Käfig befand und versuchte, sich mit | |
der ausweglosen Situation zu arrangieren, wurde ihr Mann in einem Lager | |
festgehalten. Er versuchte zu fliehen und wurde daraufhin gefoltert. Erst | |
1983 brachte Kim die beiden zusammen, damit sie für ihn – unter seinen | |
Bedingungen – Filme drehten. Es sollten die aufwändigsten Filme ihres | |
gemeinsamen Schaffens werden. | |
Patrick Spät hat aus der historischen Anekdote ein interessantes Szenario | |
entworfen, das die Zeitumstände pointiert beleuchtet: Auch [1][Südkorea] | |
war lange eine Diktatur, und Choi, die früh als Schauspielerin und Sängerin | |
berühmt wurde, litt als junge Frau unter der Gewalt ihres ersten Ehemanns, | |
einem Kameramann. Als sie ihren zweiten Mann Shin kennenlernt, der | |
Schauspieler, Regisseur und Produzent ist, lässt sie sich scheiden. Bald | |
gehören beide zu den beliebtesten und fortschrittlichsten Filmstars Asiens. | |
In ihren Filmen thematisieren sie etwa die [2][Notlage von Frauen,] der | |
erste südkoreanische Filmkuss findet in ihrem gemeinsamen Film „A Flower in | |
Hell“ von 1958 statt. | |
Während der Militärdiktatur in den 70er Jahren geraten sie in Konflikt mit | |
der staatlichen Zensur. Dann zerbricht ihre Beziehung, als Shin eine Affäre | |
hat. Choi erzieht ihre beiden adoptierten Kinder alleine. Erst in Nordkorea | |
finden sie wieder zusammen und drehen sieben nordkoreanische Filme, 1986 | |
gelingt ihnen eine spektakuläre Flucht beim Besuch eines Filmfestivals in | |
Wien. | |
## Ein Märchen als Kommentar | |
In einer Parallelhandlung wird das Fantasymärchen von „Bulgasari“ | |
nacherzählt, das auf alten koreanischen Mythen basiert und den | |
gleichnamigen südkoreanischen Monsterfilm von 1962 zitiert. Der legendäre | |
Film gilt heute als verschollen und soll – neben „Rambo“ – ein | |
Lieblingsfilm Kim Jong Ils gewesen sein. | |
In Späts und Domingos Neuinterpretation steht eine selbstbewusste junge | |
Frau im Mittelpunkt, deren Vater – ein Schmied – in einem imaginären | |
Königreich von den Schergen seines Königs entführt wird. Mithilfe des immer | |
größer werdenden Monsters Bulgasari versucht die Tochter, einen Aufstand | |
gegen den despotischen König anzuzetteln und ihn zu stürzen. Beim Lesen | |
wird so die realistische Handlung um Madame Choi von der motivisch | |
vergleichbaren Handlung des Märchens kommentiert. Tatsächlich verfilmten | |
Choi und Shin den Stoff unter Kim Jong Il neu, 1985, unter dem Titel | |
„Pulgasari“. Es wurde ihr erfolgreichster nordkoreanischer Film, in dem sie | |
subtil Kritik an Kim äußerten. | |
Die Erzählkonstruktion ist in weiten Teilen gelungen und spiegelt die | |
jüngere Vergangenheit der koreanischen Halbinsel in überspitzter Weise | |
wider. Sheree Domingo, die bereits mit „Ferngespräch“ ein beachtliches | |
Debüt (Edition Moderne, 2019) mit einer autobiografisch inspirierten | |
Graphic Novel gegeben hat, zeichnet ihre leicht grotesken Figuren mit | |
kräftigen schwarzen Pinselstrichen und ausgesuchten Farben, die zwischen | |
blassen Blauschattierungen und einem giftigen Orangerot für das Monster | |
changieren. | |
## Nicht frei von Klischees | |
Manche Episode wird etwas zu holprig, zu sprunghaft erzählt, und auch eine | |
feinere Nuancierung in den Darstellungen der Charaktere wäre angemessen | |
gewesen, um ein Abgleiten ins Naiv-Klischeehafte (die „arme, betrogene | |
Ehefrau“, der „böse Scherge“, die „starke Kämpferin“) zu vermeiden.… | |
ist es dem Team aus Zeichnerin und Autor zu verdanken, dass diese weithin | |
vergessene und doch aktuell wirkende Parabel um Machtwillkür und weibliche | |
Selbstermächtigung auf erfrischende Weise neu erzählt wird. | |
17 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Der-koreanische-Regisseur-Hong-Sang-soo/!5890543 | |
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## AUTOREN | |
Ralph Trommer | |
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