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# taz.de -- Neukölln-Roman im Gorki-Theater: Mackertum, Berlin, 90er
> Cool wollen die Jungs sein, Raum für Träume gibt es nicht. Nurkan Erpulat
> inszeniert im Berliner Maxim Gorki Theater „Hund, Wolf, Schakal“.
Bild: Stoisch der Vater, testosterongesteuert die Kinder in der Inszenierung vo…
„Barbecue oder süßsauer?“, fragt Heydar Saam. So bewerten die beiden
Jugendlichen, wer in ihren Augen cool ist. Barbecue, das sind die, die nur
Geld wollen: John Wayne, Helmut Kohl und Biggie aka The Notorious B.I.G.
Letzteren hasst Saam, weil er Tupac-Fan ist und man in einer Welt, in der
es nur Schwarz und Weiß gibt, nur oben und unten, nur auslachen oder
ausgelacht werden, eben auch nur Biggie oder Tupac gibt.
In dieser Szene von Behzad Karim Khanis Roman [1][„Hund, Wolf, Schakal“]
wird deutlich, wie jung Saam und Heydar noch sein müssen, wie gern sie ihre
Freizeit vielleicht einfach mit dieser Art harmloser Spiele verbringen
würden, ihre McDonalds-Nuggets dabei abwechselnd in die kleinen
Saucenbehälter tunkend.
Aber auf den Straßen im Berlin-Neukölln der neunziger Jahre, wo sich Saam
nach seiner Flucht aus Iran nun einen Namen machen muss und wo er von
Heydar und dessen Brüdern quasi adoptiert wird, da muss er süßsauer sein,
wie Tupac, Che oder Rambo in Afghanistan: ein Löwe, der die anderen frisst,
bevor er selbst gefressen werden kann.
## Die Handlung setzt früher ein
Die Handlung in Khanis 2022 erschienenem, autobiografisch gefärbtem Roman
setzt schon früher ein, ebenso wie [2][Nurkan Erpulats] Bühnenfassung am
Berliner Gorki-Theater. Dort stehen ganz zu Anfang fünf Männer und zwei
Jungen auf der Bühne. In Schwarz gekleidet rezitieren sie aus Khanis Roman,
erzählen so den Ausgangspunkt der Geschichte um Saam, seinen jüngeren
Bruder Nima und deren Vater Jamshid, die mitten im Iran-Irak-Krieg der
1980er Jahre in Teheran beginnt.
Der Vater, ein „Direktorensohn“, der sich einst als „El Comandante“ ein…
Namen im Kampf gegen das Schah-Regime machte, humpelt nunmehr auf Krücken
durch die Stadt. Ein Bein hat er verloren. Seine Frau steckte man in das
auch heute noch berüchtigte Evin-Gefängnis. Dort wurde sie gefoltert und
später auf offenem Feld erschossen.
Die privilegierte Herkunft und die damit einhergehende intellektuelle
Bildung des Vaters haben längst keinen Wert mehr in diesem von Repression
und Gewalt geprägten Alltag. Angekommen in Berlin, verliert er merklich an
Kontur, scheint nur mehr verschwinden zu wollen in seinem Alltag als
Taxifahrer, ist längst kein Löwe mehr, nicht mal Schakal oder Wolf,
höchstens Hund.
## Keine Bewegung zu viel
Mehmet Yılmaz, seit zehn Jahren Ensemblemitglied im Gorki-Theater, mimt
diese Rolle, wie auch andere, in die er dazwischen schlüpft, mit
beachtlicher Präzision: stoisch beinah, keine Bewegung ist hier zu viel,
keine zu wenig. Fast gegensätzlich dazu, wenn auch nicht weniger
beeindruckend, wirkt das Spiel von Doğa Gürer und Edgar Eckert, die sich
als Saam und Heydar in die Körper testosterongesteuerter wie
traumatisierter Jugendlicher denken.
Beide würden sie wohl lieber spielen oder rangeln, ein Eindruck, der
entsteht, wenn sie nur zu zweit agieren. Doch die Angst davor, als schwach
zu gelten, „gefickt zu werden, statt zu ficken“, sitzt ihnen sichtbar im
Nacken. Gestalt nimmt diese Angst an, wenn Heydars Bruder Marwan, lässig
gespielt von Emre Aksızoğlu die Szenen dominiert. Zunächst noch
zurückhaltend, manifestiert Gürer alias Saam nun eine Spastik, die sich
spätestens im Knast vollumfänglich als Symptom einer posttraumatischen
Belastungsstörung entpuppt.
## Anders als „4 Blocks“
Unweigerlich denkt man bei dem Gemackere auf der Bühne des Gorki-Theaters
an die Serie [3][„4 Blocks“], die das Neuköllner Milieu aus Gewalt und
Clankriminalität zur Popkultur hochstilisierte. Anders aber als in der
inzwischen auf Netflix streambaren Serie lässt die Welt, die Khani in
seinem Roman skizziert, kaum Raum für Träume. Denn auch wenn
Markenklamotten und teure Autos hier als Aushängeschild dienen, echte
Zukunftsperspektiven gibt es keine.
Passend dazu bleibt auch die Bühne, konzipiert von Magda Willi, in dieser
Inszenierung karg. Eingefasst in einen überdimensionierten Rahmen, der
einem Fernsehbildschirm gleicht, schaut man dem Treiben auf der Bühne zu,
kann gar nicht Teil von ihm werden, weil eine Identifizierung grundlegend
falsch wäre. Ein zweiter Rahmen auf einer Drehbühne dient mal als
Muckibude, Hang-out oder aber Gefängniszelle und lässt den Darstellenden
Raum für ihr überaus körperbetontes Schauspiel.
## Eigene Erfahrungen
Khani, der selbst mit seiner Familie aus Iran floh, dann im Ruhrgebiet
aufwuchs, speiste eigene Erfahrungen in seinen Roman ein. Seine
Voraussetzungen waren dabei günstiger als die Saams, der es wegen fehlender
Deutschkenntnisse nur auf die Hauptschule schafft. Khani selbst ging aufs
Gymnasium, absolvierte trotz Ausflug in die Kleinkriminalität ein Studium
und landete letztlich Anfang der 2000er in die Kulturszene Berlins, wo er
heute als Autor und Journalist etabliert ist.
Das von ihm gezeichnete Neukölln wirkt dennoch nah an der Realität der
1990er und frühen 2000er Jahre, zeichnet die Perspektivlosigkeit vieler in
diesem Minikosmos gekonnt nach, verzichtet dabei aber weitgehend auf die
4-Block’sche Heroisierung. Erpulat, der zuletzt Fatma Aydemirs „Dschinns“
auf der Gorki-Bühne umsetzte, inszeniert Khanis sprachgewaltigen Text
angenehm nah am Original und entlang der Protagonisten. Dass er dabei immer
wieder auch mit Klischees spielt, dürfte beabsichtigt sein, weiß er doch
ein mehrheitlich gutbürgerliches Theaterpublikum einzunehmen.
12 Feb 2024
## LINKS
[1] /Roman-ueber-Berlin-Neukoelln/!5907142
[2] /Hundesoehne-im-Berliner-Gorki-Theater/!5453987
[3] /Zweite-Staffel-4-Blocks/!5540207
## AUTOREN
Sophia Zessnik
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