| # taz.de -- Frauenrechte im Nahen Osten: Ein bisschen Wind im Haar … | |
| > Ist die Forderung nach Frauenrechten im Nahen Osten | |
| > westlich-imperialistisch? „Antikoloniale“ Thesen münden oft in | |
| > paternalistische Entlastungsdiskurse. | |
| Bild: In Teheran war bei der Revolution 1979 beides zu sehen: Frauen mit Hijab … | |
| Kritik am Feminismus westlicher Provenienz gehört in vielen linken und | |
| postmodernen Kreisen zum guten Ton. Insbesondere die Idee von Fortschritt | |
| und Befreiung wird als große Erzählung des Westens verdammt. Was früher | |
| einmal Solidarität hieß, nämlich Menschen auch anderswo in ihrem Kampf um | |
| Gleichberechtigung zu unterstützen, wird als Erbe des Kolonialismus | |
| abgetan. Die indisch-amerikanische [1][Literaturwissenschaftlerin Gayatri | |
| Chakravorty Spivak] nannte das „weiße Männer, die braune Frauen vor braunen | |
| Männern retten“. | |
| Doch was bei Spivak noch eingebettet war in eine empathische Untersuchung | |
| der Bedingungen, unter denen Subalterne für sich selbst sprechen können – | |
| oder eben nicht, wurde zum Totschlagargument. Paradoxerweise bedienen sich | |
| mittlerweile vermehrt Intellektuelle aus dem Westen dieser diskursiven | |
| Strategie gegen Aktivist:innen aus ehemals kolonialisierten | |
| Gesellschaften, die sich gegen ihre vermeintlich eigene Kultur wenden. | |
| In dem [2][taz-Artikel „Das bisschen Wind im Haar“] (vom 11. August) | |
| kritisiert beispielsweise die Libanon-Korrespondentin Julia Neumann die | |
| Dokumentation von Nahid Persson über Masih Alinejad und ihre Kampagne | |
| „[3][My Stealthy Freedom]“. Meine heimliche Freiheit, wie die Kampagne | |
| übersetzt heißt, wurde 2014 ins Leben gerufen, um gegen die | |
| Zwangsverschleierung im Iran zu protestieren. | |
| Alinejad, früher Aktivistin und Journalistin im Iran und heute im | |
| amerikanischen Exil, hatte auf Facebook die Iraner:innen nach ihren | |
| heimlichen Freiheiten gefragt. Viele Frauen schickten daraufhin Videos | |
| davon, wie sie ihren Schleier abnehmen. Alinejad teilt solche Videos in den | |
| sozialen Medien und gibt so den Menschen im Iran eine Stimme. | |
| ## Eine permanente Bedrohung für Frauen | |
| Frauen, die den Hidschab ablegen und ins Visier der Sittenpolizei geraten, | |
| zahlen im Iran einen hohen Preis. Obwohl nicht jedes Vergehen gesehen und | |
| geahndet wird, stellt die rigide Kleiderordnung eine permanente Bedrohung | |
| für Frauen dar. Fotos oder Videos, die Frauen ohne Schleier zeigen, gelten | |
| schon als westliche Propaganda. Immer wieder werden Menschen bei Protesten | |
| verhaftet und getötet. Die Dokumentation zeigt Aktivistinnen, die zu vielen | |
| Jahren Gefängnis verurteilt wurden. | |
| Diese Repression ist Julia Neumann in der taz keine Erwähnung wert. In | |
| ihrem Artikel beklagt sie vielmehr westliche Versuche, muslimische Frauen | |
| zu befreien – vom Algerienkrieg über Afghanistan bis zum Kampf gegen | |
| Genitalverstümmelung und Femizide. Für die taz-Autorin sind dies Felder, | |
| auf denen sich der westliche Feminismus engagiert, um sich wichtig zu | |
| machen und gleichzeitig die komplexen Probleme zu Hause nicht angehen zu | |
| müssen. | |
| Nahid Persson und Masih Alinejad, die beiden Exiliranerinnen, die ihr Leben | |
| riskieren, um den Frauen im Iran zu helfen, verbreiten für sie nur | |
| westliche Propaganda. Dass [4][iranische Frauen von ganz allein auf die | |
| Idee kommen, das Kopftuch ablegen] zu wollen, traut Neumann ihnen | |
| offensichtlich nicht zu. Auch nicht, dass sie selbst entscheiden können, | |
| wofür sie kämpfen und welche Aktionsformen sie wählen. | |
| Höhepunkt der Argumentation ist der Vergleich zwischen dem Schleierzwang im | |
| Iran und dem selbstgewählten Kopftuch von Nonnen in Deutschland. Für | |
| Neumann scheint es keinen Unterschied zu machen, dass sich im Iran alle | |
| Frauen verschleiern müssen, ob sie religiös sind oder nicht. Die | |
| Freiwilligkeit macht aber den Unterschied ums Ganze. Sie steht genau für | |
| die westliche Freiheit, die – auch wenn sie prekär und unvollständig ist – | |
| Frauen ein gewisses Maß an Selbstbestimmung gewährt. | |
| ## Verschleierter Blick in der Postmoderne | |
| Der schiefe Vergleich ist die postmoderne Paradedisziplin. In ihrem Buch | |
| „Verschleierte Wirklichkeit“ haben Christina von Braun und Bettina Mathes | |
| die Vollverschleierung mit einer Kamera verglichen – beides ein Mittel, um | |
| „zu sehen, ohne gesehen zu werden.“ Genitalverstümmelung vergleichen sie | |
| gar mit Schönheits-OPs. | |
| Natürlich gibt es im Westen Schönheitsideale, die einen gewissen Zwang | |
| ausüben. Aber anders als die jungen Mädchen, denen gewaltsam ihre Lust | |
| beschnitten wird, um sie verheiraten zu können, wird im Westen niemand mit | |
| unmittelbarer Gewalt zu Schönheitsoperationen gezwungen. Es gab | |
| vereinzeltes Kopfschütteln, aber Braun und Mathes wurden für ihr Buch | |
| gefeiert. Sogar von der Bundeszentrale für politische Bildung wurde es | |
| gedruckt. | |
| Postmoderner Kulturrelativismus war der akademische Trend der letzten | |
| vierzig Jahre. Schon Michel Foucault hat die Islamische Revolution im Iran | |
| bejubelt, wenn er sich später auch dafür entschuldigt hat. | |
| Heute ist die bekannteste Vertreterin wohl Judith Butler. Die Begründerin | |
| der Queertheorie wehrt sich dagegen, dass Menschen in zwei rigide | |
| Geschlechterkategorien unterteilt werden – aber das nur im Westen. Sexuelle | |
| Freiheiten sind ihr „innenpolitische Anliegen“ und die dürften nicht dazu | |
| benutzt werden, Angst vor dem Islam zu schüren. In anderen Teilen der Welt | |
| herrschten eben andere Vorstellungen vom Menschen und die schaut sie sich | |
| lieber nicht so genau an. | |
| Damit ist sie diskursprägend geworden. Auf die Schilderung von | |
| Unterdrückungssituationen in nicht westlichen Gesellschaften folgt oft | |
| reflexartig der Verweis auf die Unterdrückung im Westen. Im Namen der | |
| Anderen kann man sich dann guten Gewissens weiter mit sich selbst | |
| beschäftigen. | |
| ## Relativismus nützt dem iranischen Regime | |
| Wie My Stealthy Freedom zeigt, gibt es [5][viele Menschen im Iran, die sich | |
| nach Demokratie und Gleichberechtigung sehnen.] Auch solidarische Männer | |
| sind unter Alinejads mittlerweile rund 7 Millionen Follower:innen. | |
| Haideh Moghissi, ebenfalls Exiliranerin, hat schon 1999 in ihrem immer noch | |
| sehr lesenswerten Buch „Feminism and Islamic Fundamentalism“ kritisiert, | |
| dass die postmodernen westlichen Intellektuellen mit ihrem Relativismus | |
| nicht die freiheitsliebenden Iraner:innen, sondern das iranische Regime | |
| unterstützen. Sie akzeptieren für Menschen in islamischen Gesellschaften | |
| Zustände, die sie für sich selbst ablehnen würden. | |
| Dieser Rassismus der doppelten Standards kommt heute oft im | |
| antirassistischen Gewand daher: Will man nicht kolonialistische Narrative | |
| bedienen, muss man nach dieser Logik die anderen Kulturen so anerkennen, | |
| wie sie sind. Dahinter steckt auch ein Abwehrmechanismus. Aus dem Unbehagen | |
| in der westlichen Kultur heraus wird ein exotisches Anderes konstruiert, in | |
| das man seine Wunschfantasie der Authentizität hineinprojizieren kann. | |
| ## Begriff der Islamophobie wurde im Iran geprägt | |
| „Volle Identität“ nennt der Psychoanalytiker Sama Maani das: Von Menschen | |
| in islamisch geprägten Gesellschaften wird erwartet, dass sie muslimisch | |
| sind und nichts als muslimisch. Die, die dieses exotische Bild stören, | |
| indem sie sich ihrer vermeintlichen Religion widersetzen, werden dafür umso | |
| aggressiver angegangen. | |
| Auch der [6][Begriff der Islamophobie wurde im Iran] geprägt und nach der | |
| Revolution 1979 für Frauen verwendet, die den Schleier nicht tragen | |
| wollten. Er unterstellt jeder Kritik am Islam, irrational und krankhaft zu | |
| sein. Was aus dem Vorwurf der Islambeleidigung resultieren kann, haben wir | |
| gerade beim [7][Anschlag auf Salman Rushdie] beobachten können. Die | |
| iranischen Behörden haben es auch auf Alinejad abgesehen. Mehrere ihrer | |
| Familienmitglieder wurden schon verhaftet. Der iranische Geheimdienst | |
| plante, sie zu entführen. Auch ein Anschlag wurde schon vereitelt. | |
| Mit dem Erstarken des Islamismus wird die Bedrohung für Kritiker:innen | |
| in und aus islamisch geprägten Gesellschaften zunehmen. Wenn postmoderne | |
| Kulturrelativist:innen die Propaganda von der Verwestlichung einfach | |
| wiederholen, dann machen sie sich daran mitschuldig. | |
| Wie wäre es stattdessen mal wieder mit Solidarität? | |
| 20 Aug 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Diskussion-ueber-Erinnerungspolitik/!5817716 | |
| [2] /Frauenrechte-im-Nahen-Osten/!5870604 | |
| [3] http://www.mystealthyfreedom.org | |
| [4] /Frauenrechte-im-Nahen-Osten/!5871743 | |
| [5] /Iranischer-Spielfilm-bei-Berlinale/!5831918 | |
| [6] /Antisemitismus-bei-documenta15/!5846923 | |
| [7] /Attentat-auf-Salman-Rushdie/!5871699 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Klug | |
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