# taz.de -- Frauenrechte im Nahen Osten: Mehr als wehende Haare | |
> Frauen im Iran kämpfen um ihre Freiheit. Das ist nicht „westlich“, | |
> sondern mutig – und ein universelles Bedürfnis. Eine Antwort auf Julia | |
> Neumann. | |
Bild: Startete Hashtags wie #MyStealthyFreedom gegen Frauenunterdrückung im Ir… | |
Es ist schwer, diesen Text zu lesen. Besonders, wenn man sie kennt, wenn | |
man ihre Geschichten gehört und gelesen hat, ihre von Schlägen und Folter | |
zerstörten Gesichter und Körper gesehen hat. Wenn man den Kampf iranischer | |
Frauen für ihre Rechte, für ihre Freiheit und ihr Leben kennt und weiß, | |
dass sie auch dafür kämpfen, gehört zu werden. | |
Bei diesem Text, der schwer auszuhalten ist, handelt es sich um einen | |
[1][Kommentar der taz-Korrespondentin in Beirut Julia Neumann] über | |
Frauenrechte im Nahen Osten. Anlass ist eine [2][ARD-Doku über Masih | |
Alinejad], eine Aktivistin, die im Iran Journalistin war, fliehen musste, | |
und sich seit Jahren dafür einsetzt, dass das Leid, aber auch die Stärke | |
iranischer Frauen weltweit sichtbar werden. Sie startete Hashtags wie | |
#MyStealthyFreedom: Frauen posten darunter Videos, in denen sie öffentlich | |
ihr Kopftuch ablegen, als Zeichen gegen die systematische Unterdrückung | |
durch die [3][iranische Regierung]. | |
Das öffentliche Ablegen des Hijab ist im Iran verboten. Frauen werden dafür | |
verfolgt, gefoltert und getötet. Es ist aber oft der einzige Weg, | |
Widerstand zu leisten. Diesen Frauen gibt Masih Alinejad eine Stimme. Die | |
iranischen Machthaber sind sich der Kraft dieses Widerstands bewusst und | |
haben wiederholt versucht, Alinejad aus den USA verschleppen zu lassen. Sie | |
entkam knapp. | |
Über Masih Alinejad schreibt Julia Neumann nun: „Als ob Frauen noch eine | |
Stimme bräuchten, die statt ihnen für sie spricht.“ Und: „Als ob das | |
Abnehmen eines Kleidungsstückes aus Protest den Weg zur Gleichberechtigung | |
und dem Schutz von Frauen ebnen könnte.“ | |
## Gar keine Gleichberechtigung im Iran | |
Masih Alinejad, schreibt sie, bediene die „Erzählung, dass Frauen vom | |
Kopftuch und damit vom Islam befreit werden müssten“. Die Autorin bringt | |
Beispiele aus der Kolonialgeschichte, wie den Algerienkrieg, in dem die | |
Kolonialmächte Women of Color mit Zwang entschleiert hätten. Sie schreibt: | |
„Die Vorstellung des Kopftuchs als Gradmesser von Freiheit wurde vom Westen | |
erst populär gemacht. Und sie ist verdammt gefährlich.“ | |
Wenn etwas verdammt gefährlich ist, dann ist es die Argumentation, dass | |
Frauen im Globalen Süden Instrumente des Westens seien, wenn sie für ihre | |
Freiheit kämpfen. Das Fundament zu diesem Narrativ bildet die Annahme, dass | |
Women of Color, in diesem Fall iranische Frauen, eine andere Vorstellung | |
von Emanzipation und Gleichberechtigung hätten als europäisch | |
sozialisierte. Wer mal im Iran war oder sich die Mühe gemacht hat, mit | |
einer Iranerin zu sprechen, weiß, dass Frauen dort dasselbe Bedürfnis nach | |
Freiheit haben wie Frauen im Globalen Norden. Angesichts der Tatsache, dass | |
so viele Frauen im Iran ihr Leben für diese Freiheit riskieren, wissen sie | |
deren Wert vielleicht sogar mehr zu schätzen. | |
Frauen im Iran besitzen weder de facto noch de jure irgendeine Art der | |
Gleichberechtigung. Vor dem Gesetz sind sie nur die Hälfte eines Mannes | |
wert, ob vor Gericht, beim Erbrecht oder im Alltag. Die Pflicht zum Hijab | |
ist ein zentrales Symbol dieser Unterdrückung – legt eine Frau das Kopftuch | |
in der Öffentlichkeit ab, wehrt sie sich nicht gegen das Tuch per se, | |
sondern gegen die systematische Unterdrückung. | |
Bei ihrer Argumentation benutzt die Autorin also (gutgemeinte?) | |
postkoloniale Thesen, und tut dann aber selbst das, was sie „dem Westen“ | |
vorwirft: Sie spricht Women of Color die Fähigkeit zur Selbstbestimmung ab. | |
Ihr Befreiungskampf sei ein Produkt „weißen“ Denkens. Eine solche | |
Sichtweise ist im Westen leider weit verbreitet: Dass Frauen in Ländern wie | |
Iran nicht die gleichen Freiheiten verlangten wie Frauen in westlichen | |
Staaten. | |
So steht im besagten Kommentar: „Frauen im Iran können nicht genießen, wie | |
ihnen der Wind durch die Haare weht! Frauen im Iran dürfen nicht tanzen! | |
Klar, dass auch konservative, rechte Medien auf den Diskurs aufspringen. | |
Schaut, wie die Mullahs ihre Frauen unterdrücken!“ Man kann das so | |
schreiben. Oder man kann verstehen, was es heißt, wenn der Wind nie durch | |
die Haare weht: Die Körper iranischer Frauen gehören den Fundamentalisten. | |
Das Kopftuch lässt sich nicht isoliert vom historischen und politischen | |
Kontext betrachten. Ein Kopftuch im Iran hat eine andere Bedeutung als ein | |
Kopftuch in Deutschland. Im Iran sind Frauen seit der Revolution im Jahr | |
1979 gezwungen, einen Hijab zu tragen. Gegen den Hijab-Zwang im Iran zu | |
sein hat nichts mit Islamophobie, sondern mit Frauenunterdrückungsphobie zu | |
tun. Natürlich gibt es rechte und konservative Kreise, die Menschen wie | |
Masih Alinejad für ihren Islamhass instrumentalisieren. Dazu gehören auch | |
Feminist*innen wie Alice Schwarzer. Aber das ist nun wirklich unser | |
politisches und gesellschaftliches Problem im Westen. Das müssen wir | |
bekämpfen, dem Hass gegen Muslim*innen müssen wir uns entgegenstellen. | |
## Abwegige Vergleiche | |
Die Autorin aber schiebt diese Verantwortung auf iranische Frauen ab. Sie | |
sollen sich gefälligst nicht gegen das Kopftuch wehren, das ist doch | |
islamophob! Ein völlig verqueres Argument, schon allein deshalb, weil auch | |
religiöse, sogar verschleierte iranische Frauen sich gegen den Hijabzwang | |
wehren, wie etwa die mutige Fatemeh Sepehri. | |
Schließlich betont die Autorin, dass auch Männer im Iran einem | |
„Kleidungszwang“ unterworfen seien. (Okay, iranische Männer dürfen keine … | |
kurzen Hosen tragen.) Und weiter vergleicht sie die Situation iranischer | |
Frauen mit christlichen Nonnen, die schließlich auch nicht ihr Kopftuch | |
ablegen, um gegen das „Patriarchat der Kirche“ zu kämpfen. Abwegige | |
Vergleiche: Beides ist nicht annähernd mit der Entmündigung von Frauen im | |
Iran zu vergleichen. | |
Man kann nur hoffen, dass das Bewusstsein für bestimmte Denkmuster | |
gegenüber Frauen des Globalen Südens, die dann in antifeministischen | |
Aussagen enden, auch durch die Debatte über solche Texte wächst. | |
15 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Frauenrechte-im-Nahen-Osten/!5870604 | |
[2] https://www.ardmediathek.de/video/dokus-im-ersten/mit-wehenden-haaren-gegen… | |
[3] https://www.dw.com/de/iran-rebellion-gegen-das-kopftuch/a-62615387 | |
## AUTOREN | |
Gilda Sahebi | |
## TAGS | |
Iran | |
Frauenrechte | |
Kopftuch | |
Misogynie | |
Iran | |
Feminismus | |
Salman Rushdie | |
Iran | |
Iran | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Todesurteil für LGBTQI-Aktivistinnen: „Gefängnis im Iran ist die Hölle“ | |
Shadi Amin setzt sich für LGBTQI-Rechte im Iran ein. Zwei Frauen wurden | |
dort nun zum Tode verurteilt. Ein Gespräch über Sichtbarkeit und | |
Repression. | |
Debatte um iranischen Feminismus: Westliche Besserwisserinnen | |
Feministische Kulturrelativistinnen kritisieren den Kampf der Iranerinnen | |
gegen den Hidschab-Zwang. Wie konnte der Westen nur so unsolidarisch | |
werden? | |
Frauenrechte im Nahen Osten: Ein bisschen Wind im Haar … | |
Ist die Forderung nach Frauenrechten im Nahen Osten | |
westlich-imperialistisch? „Antikoloniale“ Thesen münden oft in | |
paternalistische Entlastungsdiskurse. | |
Attentat auf Salman Rushdie: Messer statt Worte | |
Am Freitag wird der Schriftsteller schwer verletzt. In Teheran jubelt die | |
Presse. Das Regime nutzt den Mordaufruf als Zeichen des Führungsanspruchs. | |
Frauenrechte im Nahen Osten: Das bisschen Wind im Haar | |
Kopftuch weg und dann wird alles gut? Die Protestaktionen der | |
iranischstämmigen US-Aktivistin Masih Alinejad stehen für westliche | |
Ideologien. | |
Israelhass des iranischen Mullah-Regimes: Von Rohani zu Raisi | |
Der Iran wird von korrupten Islamisten-Gangs regiert. Das Kabinett Raisi | |
gleicht nun einer Ansammlung von Schwerverbrechern. Wie reagiert die EU? |