# taz.de -- Innovationen beim Essen: Mit Essen die Welt verändern | |
> Die Start-up-Kultur hat die Küchen erreicht, zusammen mit der | |
> Digitalisierung stellt sie die Essensbranche auf den Kopf. | |
Bild: Bei Square Roots wird Basilikum im Container auf Parkplätzen gezüchtet | |
NEW YORK/BERLIN taz | Denkt man an einen Coworking Space, hat man meist | |
einen Saal voller Schreibtische vor Augen, dazu den obligatorischen | |
Tischkicker und junge Menschen, die mit ihren Ohrstöpseln verwachsen zu | |
sein scheinen. Aber was, wenn sich in so einem Raum Gemüsekisten stapeln, | |
Fritteusen fauchen und Messer klappern? Dann hat die Start-up-Kultur die | |
Küchen erreicht. Und könnte sie so verändern wie andere Branchen. | |
Die Telekommunikation, der Handel und die Medien stecken alle mitten in der | |
digitalen Revolution. Wird sie auch die Produktion von Lebensmitteln und | |
die Art, wie wir essen, auf den Kopf stellen? | |
Ein guter Ort, um dieser Frage nachzugehen, ist das Haus Nummer 630 an der | |
Flushing Avenue in Brooklyn, New York. Es ist ein etwas in die Jahre | |
gekommenes Fabrikgebäude. Unter dem Kalk sieht man noch die alten | |
Backsteinziegel, breite Fenster sind von vielen Sprossen durchzogen. Seit | |
1946 wurden hier Pillen gedreht und Pülverchen abgefüllt, deshalb heißt das | |
Gebäude noch immer Pfizer Building, obwohl der Pharmariese es schon vor | |
Jahren verkauft hat. | |
Er hinterließ zimmergroße Kühlschränke, Rührgeräte, groß wie Betonmixer, | |
und weiß geflieste Böden und Wände. Genau die richtige Umgebung, um Essen | |
zu produzieren. 2012 wurde das Pfizer Building wiedereröffnet, als | |
Inkubator für Food-Start-ups, als Experimentierort für junge Menschen, die | |
irgendwas mit Essen machen wollen. | |
## Food-Start-ups boomen gerade | |
Läuft man durch die weiten Gänge, heißt es immer wieder: ausweichen. Zwei | |
Bäcker mit Schläfenlocken und Kippa schieben einen Konvoi aus Regalwagen | |
vor sich her. Auf den Backblechen dampfen Bagels. Um die Ecke steht ein | |
Koch vor offenen Styroporkisten und begutachtet Fische, die darin auf | |
zerstoßenem Eis liegen. Immer wenn sich irgendwo eine Flügeltür öffnet, | |
weht ein anderer Geruch in den Gang. | |
Das Start-up Plantable bietet hier an, den kompletten Speiseplan seiner | |
Kunden zu übernehmen, mit persönlicher Ernährungsberatung, ganz | |
vegetarisch. Bei CookUnity dagegen kann man seinen persönlichen Koch | |
buchen. Bestellt wird er natürlich per App. | |
Im Erdgeschoss ist alles da, damit Imbissbetreiber für einen Tag die Ecke | |
einer Vorbereitungsküche mieten können, um zum Beispiel Pulled Pork für | |
mehrere Tage vorzubereiten. Und Catering-Unternehmen buchen riesige | |
Flächen, wenn sie abends in einem nahegelegenen Park Tausende Menschen | |
bewirten. Zwischen den vielen Start-ups haben aber auch klassische Firmen | |
wie eine jüdische Bäckerei oder eine Eiscreme-Manufaktur ihre | |
Produktionsstätten. | |
Das Projekt Inkubator ist in Brooklyn aufgegangen. Food-Start-ups boomen. | |
Weltweit wurden 2018 6 Milliarden Dollar in diesen Bereich investiert. In | |
den vergangenen Monaten hat dabei vor allem ein Name die Aufmerksamkeit auf | |
sich gezogen und die Fantasie der Investoren beflügelt: Beyond Meat. | |
## „Beyond Meat“ als Vorbild | |
Das Unternehmen aus Kalifornien ist Anfang Mai an die Börse gegangen und | |
wurde zu einem Liebling der Wall Street. Der Aktienwert verneunfachte sich | |
zwischenzeitlich, es ist der erfolgreichste Börsengang der vergangenen 19 | |
Jahre. Beyond Meat macht vegane Burger-Pattys. Der Firmengründer wird | |
schon als der Mann gefeiert, der das Fleisch neu erfunden hat. | |
Ethan Brown, heute 48, ist an der US-Westküste und teils auf einem | |
Bauernhof aufgewachsen. Sein Vater ist Professor für Philosophie mit | |
Schwerpunkt Umweltschutz und Klimawandel, Mitglied im Club of Rome und | |
zudem ambitionierter Hobbyfarmer. An den Wochenenden ging es deswegen aufs | |
Land. Später studierte Brown Politik, war kurze Zeit für die OSZE in | |
Bosnien und wechselte dann in den Bereich erneuerbare Energien, bis er | |
realisierte, dass „Viehhaltung größere Auswirkungen auf das Klima hat als | |
viele Dinge, an denen ich arbeitete“. | |
Er glaubt nicht, dass der Kampf gegen den Klimawandel mit Gesetzen zu | |
gewinnen sei, vor allem nicht beim Fleisch, das in der Esskultur der USA | |
sehr tief verwurzelt ist. 2009 machte er sich deshalb daran, Fleisch neu zu | |
erfinden – mit Beyond Meat. | |
Brown ist inzwischen das Role Model einer ganzen Gründergeneration, die | |
beim Essen auf all die Innovationen zurückgreift, die die Digitalisierung | |
und der Techbereich hervorgebracht haben: Blockchain, Big Data, Robotic und | |
künstliche Intelligenz. Das beginnt mit Drohnen, die Äcker überwachen und | |
Roboter steuern, die Unkraut jäten. Das geht weiter mit Feldern, die nicht | |
mehr auf dem Land liegen, sondern auf Fabrikdächern bestellt werden, weil | |
das Gemüse so frischer beim Kunden ist und es auch noch das Stadtklima | |
verbessert. | |
Mit der Blockchain-Technologie bekommt jedes Produkt einen individuellen | |
Code verpasst. Damit ist es möglich, die Zutat von Anfang bis Ende zu | |
begleiten, sodass der Kunde am Ende weiß, auf welchem Fleckchen Erde sein | |
Salat gewachsen ist. Oder wie das Rind hieß und wie es gehalten wurde, aus | |
dessen Fleisch sein Schnitzel stammt. | |
## Ein neues „Ökosystem“? | |
Die meisten in der Gründerszene sind überzeugt, dass das nicht nur zu einer | |
neuen Nahrungsmittelwirtschaft führen wird. Sie sprechen von einem neuen | |
„Ökosystem“. Auch weil sie sich kein Essen mehr vorstellen wollen, das | |
nicht gut und sauber ist. Und nicht fair, nachhaltig und klimafreundlich | |
hergestellt wurde. | |
Wie aber sieht diese Zukunft genau aus? | |
Das ist momentan die Viele-Millionen-Dollar-Frage. Sicher gibt es noch | |
Haushalte, in denen eine Mutter sechs Tage der Woche in der Küche steht, | |
die Familie am Freitagabend essen geht und der Samstagvormittag für den | |
Großeinkauf im Supermarkt reserviert ist. Das ist das Bild, das über | |
Jahrzehnte die Routine westlicher Kleinfamilien beherrschte. Aber es ist in | |
Auflösung. Und damit alles, was daran hängt – bis zum letzten Ackerwinkel. | |
Wird irgendwann eine künstliche Intelligenz uns den Geschmack entreißen? | |
Weil das Programm anhand von Alter, Geschlecht und bisheriger Vorlieben | |
schneller weiß als wir selbst, was wir abends am liebsten essen würden, und | |
diese Information an andere Programme weitergibt – und die anhand von | |
Prognosen fahrerlosen Saatmaschinen schon ein Jahr vorher vorgeben, was auf | |
den Feldern wachsen soll? Sieht man sich die Monopolisierung der digitalen | |
Welt durch Google, Facebook und Amazon an, fürchten das einige. | |
## Aldi schwächelt | |
Im Lebensmittelbereich sieht es aber gerade nicht danach aus, dass die | |
Großen noch mehr Macht anhäufen. Im Gegenteil. Man muss sich dafür nur die | |
Supermärkte ansehen, zum Beispiel Aldi, der Discounter, der über Jahrzehnte | |
billigst aus Paletten verkauft hat und dessen Sortiment nie größer als 500 | |
Produkte war. Das passt nicht mehr zu einer Welt, in der sich | |
Ernährungsstile diversifizieren und jährlich 10.000 Produkte neu auf den | |
Markt kommen. | |
Der Discounter versucht sich gerade neu zu erfinden, Milliarden werden | |
investiert. Die Geschäfte werden aufgehübscht, es gibt eine Bio-Offensive, | |
sogar ein veganer Burger ist ab dieser Woche im Sortiment. Aber bisher | |
bringt das kaum mehr Umsatz. Nur außerhalb Deutschlands läuft das Geschäft | |
noch besser, etwa in den USA. | |
Doch auch dort ist die Zukunft ungewiss, der Einzelhandel steckt in den USA | |
noch stärker in der Klemme. Er wird von zwei Seiten angegriffen, den | |
Discountern aus Europa und den Lieferdiensten, allen voran Amazon mit | |
seinem Angebot Amazon Fresh. Angefangen hat diese Entwicklung mit dem | |
Verfall der großen alten Lebensmittelmarken. Jahrzehntelang waren Campbell, | |
Hershey oder Pepsi aus den Supermarktregalen nicht wegzudenken. Zwischen | |
2011 und 2016 gingen ihre Marktanteile aber spürbar zurück, das erste Mal | |
seit über 50 Jahren. Es ist ein Hinweis darauf: Das gute alte Markenprodukt | |
ist auch ein Relikt aus alten Ernährungstagen. | |
## Die „Generation Yum“ | |
Jemand, der gut erklären kann, was sich beim Essen zurzeit grundlegend | |
verschiebt, ist Eve Turow-Paul. Sie sitzt in einem kleinen | |
Nachbarschaftscafé in Brooklyn, im Hinterzimmer rührt die Trommel einer | |
Kaffeeröstmaschine. Die 32-Jährige ist die Erfinderin der „Generation Yum�… | |
So heißt das Buch, das sie 2015 herausbrachte: „A Taste of the Generation | |
Yum.“ Neugierig, warum um sie herum alle mit dem Smartphone Essen | |
fotografierten, führte sie Interviews und sammelte Studien zu dem Thema. | |
Sie beschrieb für die USA erstmals, welch hohen Stellenwert Essen für die | |
Millennials hat, die zwischen 1982 und 2002 Geborenen. 80 Millionen gibt es | |
davon in den USA, ungefähr die Hälfte davon bezeichnet sich als „Foodies“. | |
Nicht nur sie, auch die andere Hälfte, sagt Turow-Paul, interessiert sich | |
mehr fürs Kochen, für Zutaten und Essengehen als alle Generationen vor | |
ihnen. Und das gilt nicht nur für die USA, auch Zahlen aus Westeuropa legen | |
das nahe. | |
Ernährung sei in der Generation Y ein fester Teil der Identität geworden, | |
mehr als Musik oder Autos, schrieb Turow-Paul. Das seien Statussymbole der | |
Vergangenheit. Und mit dem Fokus auf den Teller steigt das politische | |
Bewusstsein für das, was darauf liegt. „Die Klimakrise hat das noch einmal | |
entscheidend verstärkt“, sagt sie. Seit ihr Buch herausgekommen ist, wird | |
Turow-Paul ständig gebucht. Sie spricht auf Trendkonferenzen, wird in | |
Vorstandsetagen eingeladen, berät Start-ups und ist Dozentin für Food | |
Business. | |
## Keine Marken mehr | |
In der Ernährungsbranche sei nicht nur einiges in Auflösung, sagt sie, | |
sondern immer mehr teilten dort auch die Werte, für die Supermärkte stehen, | |
die in den USA gerade sehr im Kommen sind: Wenn man Trader Joe’s oder Whole | |
Foods besucht, riesige Hallen auf zwei Etagen, dann spielen Marken hier gar | |
keine Rolle mehr. „Antibiotica-free“ steht stattdessen groß über den | |
Kühlregalen mit dem abgepackten Fleisch, oder „Non-GMO“, also | |
gentechnikfrei, in der Gemüseabteilung. Auch noch beim letzten Bund | |
Grünkohl kann man nachlesen, woher er stammt. Wenn er von einem regionalen | |
Erzeuger kommt, ist das dick unterstrichen. | |
Bei dem Gemüse findet man auch Kräuterpackungen mit einem QR-Code auf der | |
Rückseite, der einen, hält man sein Smartphone dagegen, wieder zum Pfizer | |
Building zurückführt. Denn der Code öffnet eine Website, die detailliert | |
die Geschichte der Minze erzählt, die man in der Hand hält. Dass Jaque sie | |
in die Erde gesetzt hat, Elias sie pikiert und wiederum Jaque sie | |
abgeschnitten hat. Sogar wie die Minze in den Supermarkt kam, nämlich mit | |
dem Lastenfahrrad, kann man nachlesen. Ziemlich viel Information für so | |
wenig Gemüse. | |
Und doch stecken noch viel mehr Geschichten in den zehn Stängeln Minze. | |
Diese erzählt Christa Montano, während wir im strömenden Regen auf dem | |
Parkplatz vor dem Pfizer Building zwischen Foodtrucks und Lastenfahrrädern | |
herumlaufen. Hier stehen drei weiße Schiffscontainer. Und die sind eine | |
Farm des Start-ups Square Roots. Durch die Fenster winken die GärtnerInnen. | |
Das Konzept des Unternehmens ist hyperlokales Gemüse. Vor allem die Wege | |
zum Verbraucher sollen kurz gehalten werden, um die Ressourcen zu schonen. | |
Deshalb hat die Firma die Pflanzen in die Container gepackt, sie können | |
überall aufgestellt werden: auf Hausdächern, Brachflächen, notfalls sogar | |
in Tiefgaragen. „Wir haben die idealen Bedingungen für das Wachstum der | |
Pflanzen recherchiert, vom Anteil des CO2 in der Luft, den | |
Feuchtigkeitsgrad und den Lichteinfall. Diese Bedingungen stellen wir im | |
Inneren her“, sagt Montana. Außerdem benutzt Square Roots die Technik des | |
Vertical Farming, die Minze wächst in Beeten, die vom Boden zur Decke | |
führen, so dringt das Wasser effektiver durch die Erde und kann leichter | |
aufgefangen werden, wenn es ungenutzt bleibt. | |
## „Jungen Leuten neue Wege aufzeigen“ | |
Der Gründer von Square Roots ist Kimbal Musk, der jüngere Bruder von | |
Tesla-Chef Elon Musk. Der 46-Jährige hat schon einiges im Ernährungsbereich | |
aufgezogen. „The Kitchen“ etwa, eine Gruppe von Nachbarschaftsrestaurants, | |
die Zutaten nur von Kleinbauern bezieht. Mit BigGreen baut er Schulgärten | |
für Ernährungsbildung auf. Auch Square Roots ist eigentlich ein edukatives | |
Projekt. Das Unternehmen will urbane Bauern ausbilden. | |
„Der US-Farmer ist im Schnitt 58 Jahre alt“, schreibt Square Roots auf | |
seiner Website. „Wenn wir die Ernährung verändern wollen, müssen wir jungen | |
Leute neue Wege aufzeigen, erfolgreich in der Landwirtschaft Karriere zu | |
machen.“ Die Idee dabei: Prinzipiell kann jeder Städter mit einem | |
Square-Roots-Container zum Nebenerwerbsbauern werden. Bisher stehen die | |
Container nur auf dem Parkplatz des Pfizer Building, aber Square Roots hat | |
im Frühjahr eine Partnerschaft mit einer Einzelhandelskette geschlossen. | |
Auch wenn in den Containern nur Minze und Basilikum wächst, verfolgt Square | |
Roots einen Ansatz, der typisch ist für viele Gründer im Foodbereich. Big | |
Food wird kleiner, Small Food wird größer – das ist die Perspektive, aus | |
der viele in der Szene ihren Zukunftsoptimismus beziehen. | |
Es gibt kaum einen, der die Zahlen nicht kennt: Bis 2050 wächst die | |
Menschheit voraussichtlich auf fast 10 Milliarden. Um alle satt zu machen, | |
sagen die Vereinten Nationen, muss sich die Lebensmittelproduktion bis | |
dahin verdoppeln und die Ernährungsweise ändern, wenn das Klima nicht | |
kollabieren soll. Noch weitere Industrialisierung, noch größere Äcker, noch | |
mehr Tiere in Massenställen? Ein Horrorszenario. | |
## „Essen kann die Welt retten“ | |
„Essen kann die Welt retten“, fasst Eve Turow-Paul zusammen, was viele in | |
der Food-Start-up-Szene antreibt. Sie setzen auf die Disruptivität der | |
neuen Techniken, der neuen Arbeitszusammenhänge und der neuen | |
Konsumgewohnheiten. | |
1,45 Milliarden Dollar an Risikokapital flossen 2018 laut der | |
Marktbeobachtungsplattform foodtechconnect in den USA in diese | |
Gründerszene. Der größte Batzen, 114 Millionen, ging dabei an Impossible | |
Foods, einen Konkurrenten von Beyond Meat, der in den USA ebenfalls vegane | |
Burger-Pattys verkauft. Danielle Gould, die Gründerin der Plattform, sagt, | |
es gebe einen klaren Trend, Projekte zu finanzieren, die Einfluss auf den | |
Klimawandel haben. | |
Das Haus 148 Lafayette Street liegt mitten in SoHo. Auf drei Etagen gibt es | |
hier Coworking-Räume. Tritt man aus dem Lift, erwartet man, auf einen | |
Empfang zu treffen, auf arbeitsame Stille, aber nicht auf Cocktails, | |
Schnittchen, Chili sin carne und lautes Stimmengewirr. Es ist eine interne | |
Feier, der Anlass: die Gründung des WeWork Food Labs – ein Labor für | |
Food-Start-ups. Eines von ihnen ist SillyChilly Hotsauce. Am Buffet steht | |
Sufia Hossain mit drei Flaschen ihrer Pfeffersauce. Rundlich, die Haare | |
platinblond gefärbt, ein strahlendes Lächeln. | |
Sie hat erst vor Kurzem ihren Schreibtisch bezogen und freut sich, dass es | |
eine Gelegenheit gibt, andere Menschen kennenzulernen, die hier arbeiten. | |
Sie stammt aus Bangladesch, hat lange in der Modebranche gearbeitet und nie | |
daran gedacht, selbst eine Firma zu gründen. „Mit der Zeit hat es mich aber | |
dann gestört, dass das, was ich mache, so wenig Wirkung hat.“ | |
## Experimente mit Pfeffersaucen | |
Gekocht hat sie schon immer gern, und Pfeffersaucen sind ihr Ding. „Ich | |
habe mich auf den Bauernmärkten hier in der Umgebung so in die Paprikas und | |
Chilis verliebt. Irgendwann hatte ich zu viele in der Küche und musste | |
damit was machen.“ Die erste Hotsauce war ein Experiment. | |
Hussain erzählt so euphorisch von ihrem Unternehmen, dass man ihr zutraut, | |
dass sie die Saucen noch immer in ihrer Küche abfüllt. Bis sie erzählt, | |
dass sie 40.000 Flaschen gelagert hat, inzwischen in 50 Läden in New York | |
verkauft und gerade dabei ist, eine vierte Sauce zu kreieren. Den Großteil | |
ihrer Zutaten bezieht sie von der Studentenfarm einer Universität südlich | |
von New York. | |
Menachem Katz beobachtet all die Leute, die auf der Feier das erste Mal | |
zusammenkommen, mit einem kleinen Lächeln. Der Mann mit rasiertem Kopf hat | |
etwas Gandhihaftes, sogar die Stimme erinnert an Ben Kingsley. Er ist der | |
Chef des New Yorker Food Lab und erzählt, wie es zu der Idee kam. | |
WeWork, inzwischen größter Mieter von Büroflächen in New York, bietet | |
nämlich nicht einfach nur Schreibtische und Büros an. Es geht um weit mehr | |
Infrastruktur: Beratung, Trainings, Vernetzung, Know-how – vor allem für | |
Menschen, deren Geschäftsidee noch nicht ganz ausgereift ist. Man ist hier | |
nicht einfach Mieter, sondern Mitglied eines großen Netzwerkes, mit Zugang | |
zu Krankenversicherung, Fitnessstudio, es gibt sogar eine Vorschule für die | |
Kinder. | |
## 15 Millionen Tiere retten | |
2018 überprüfte sich das Unternehmen auf Nachhaltigkeit. „Seitdem gibt es | |
in unseren Räumen kein Fleisch mehr“, sagt Katz. „Wir zahlen es unseren | |
Mitarbeitern nicht mehr, und bieten es auch im Catering für die Mieter | |
nicht mehr an.“ | |
Das Vegetarismus-Gebot, habe die Chefetage ausgerechnet, würde bis 2023 | |
etwa 15 Millionen Tieren das Leben retten. Die Firma organisiere über 1.000 | |
Caterings pro Woche in ihren Räumen. Über die Beschäftigung mit dem Thema, | |
sagt er, sei auch die Idee entstanden, ein spezielles Angebot für Start-ups | |
im Ernährungsbereich zu entwickeln. Das Food Lab sei das erste | |
branchenspezifische Angebot von WeWork. | |
Katz, 39 Jahre alt, ist selbst Koch. Er stammt aus Tel Aviv, in Israel hat | |
er noch im Restaurant gearbeitet. In New York baute er einen Lieferdienst | |
auf und verkaufte ihn, bevor er zu WeWork wechselte. „Die neuen Gründer“, | |
sagt er, „wollen andere Werte in die Ernährungswelt bringen.“ | |
Für das Food Lab, ein fünfmonatiges Programm, mussten sich Bewerber mit | |
ihren Ideen vorstellen. 500 kamen zusammen, der Großteil mit Projekten zur | |
Müllreduzierung, für umweltfreundliche Verpackungen und Proteinen auf | |
Pflanzenbasis. Neue innovative Technologien in die Branche zu bringen sei | |
das eine Ziel, sagt Katz. Ihn als Koch begeistere aber noch etwas anderes: | |
„Nahrung wird Teil der Kreativindustrie.“ | |
WeWork plant, auch in Europa und in Berlin ein Food Lab zu eröffnen. Die | |
Firma wäre nicht die erste in ihrem Bereich, die in die deutsche Hauptstadt | |
expandiert. Es gibt hier bereits den Food Tech Campus. Im Herbst will | |
Kitchen Town, ein Inkubator aus dem Silicon Valley, hier eine Filiale | |
eröffnen. | |
## Und in Deutschland? | |
Berlin, Torstraße, dort, wo sich in der deutschen Hauptstadt die | |
Kreativwirtschaft tummelt. Im Café Hermanns sitzen etwa 50 Leute um ein | |
kleines Podium. „Hands up, please“, sagt Fabio Ziemßen. „Wer ist Gründe… | |
wer Geldgeber?“ Es gibt hier nicht nur welche, die eine Geschäftsidee | |
haben, sondern auch welche, die nach solchen Ideen Ausschau halten. In der | |
nächsten Stunde werden sich drei Projekte vorstellen, danach können sich | |
alle persönlich kennenlernen. | |
Schon seit etwa zwei Jahren lädt Fabio Ziemßen zu solchen Treffen, erzählt | |
er nach der Veranstaltung. Der 34-Jährige ist Director Food Innovation beim | |
Metro-Konzern und damit so etwas wie der Zukunftsbeauftragte des | |
Einzelhändlers. Dazu gehört auch, einen Überblick über die Szene zu | |
bekommen, gerade in Europa. | |
Hier sieht die Lage noch etwas anderes aus als in den USA. Laut einem | |
großen Risikokapitalgeber wurde im vergangenen Jahr zwar schon 1 Milliarde | |
Euro in Food-Start-ups investiert, aber relativ einseitig. Am leichtesten | |
schafften es Lieferdienste, Geldgeber anzuwerben. Seit 2013 floss annähernd | |
die Hälfte aller Investitionen in Lieferdienste wie Deliveroo, Hello Fresh | |
oder Takeaway.com. | |
Die Start-up-Kultur sei in den USA einfach noch eine andere, sagt Ziemßen. | |
Dort regiere stärker das Wizard-of-Oz-Prinzip. Eine Vision wird | |
vorangestellt, dann gehandelt, Probleme möglichst selbst gelöst – es | |
entstehe weniger Frust, wenn Politik, Wirtschaft oder Banken nicht die | |
Risikobereitschaft zeigten, die man sich als Gründer wünsche. | |
Und was sind das für Menschen, die in Deutschland Food-Start-ups gründen? | |
„Die meisten sind Millennials“, sagt Ziemßen. „Dabei gleichen sie in ein… | |
wesentlichen Punkt den restlichen Gründer-Generationen: Viele haben eine | |
persönliche Leidenschaft – und sie wollen sich auch verwirklichen.“ | |
16 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Jörn Kabisch | |
## TAGS | |
Essen | |
Start-ups | |
Foodie | |
Genuss | |
Landwirtschaft | |
Kochen | |
Genuss | |
Wiener Schnitzel | |
Vegetarismus | |
Italien | |
Essen | |
Kolumne Angezapft | |
Lebensmittelrettung | |
Lebensmittel | |
Gentrifizierung | |
Deutsche Bahn | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Zukunft der Nahrungsproduktion: Wachstum unter Neonlicht | |
Neue Agrartechnologien dringen in die Städte und aufs Meer vor. Gemüse aus | |
dem Regal, Muscheln von der Meeresfarm, geht das? | |
HelloFresh-Kochboxen im Selbstversuch: Kaiserschmarrn aus der Kiste | |
HelloFresh ist ein echter Pandemiegewinner. Auch unsere Autorin bekommt | |
einmal im Monat mehrere Gerichte nach Hause geliefert – grammgenau. | |
Algen auf dem Teller: Eine Portion Unterwasserwelt | |
Ein Start-up bereitet vegane Salate aus Algen zu. Die Gewächse haben | |
hierzulande als Nahrungsmittel bislang keinen leichten Stand. | |
Kritische Schnitzelanalyse: Der Deutschen liebste Mehlspeise | |
Ums Fleisch geht es bei einem Schnitzel hierzulande am allerwenigsten. Wir | |
sollten nach Osten schauen: Von Japan lernen heißt panieren lernen. | |
Vegane Burger liegen im Trend: Beyond Meat macht erstmals Gewinn | |
Der Fleischersatz-Spezialist Beyond Meat ist auf Wachstumskurs. Im dritten | |
Quartal wuchs der Umsatz auf umgerechnet etwa 83 Millionen Euro. | |
Unicef-Bericht zu Ernährung: Die dicken Kinder der Reichen | |
Griechenland, Italien und Malta bringen laut einer Studie viele dicke | |
Kinder hervor. Und das, obwohl diese Länder für ihre Mittelmeerdiät berühmt | |
sind. | |
Westafrikanische Küche: Auf der Suche nach dem Reis | |
Essen ist Heimat. Als unsere gambische Autorin nach Deutschland kommt, | |
merkt sie, was ihr fehlt. Ihre Suche führt sie in den Görlitzer Park. | |
Fragwürdige Biermarken: Oi, was für ein Name | |
Immer öfter stößt man auf Biernamen, die einfach nur gaga sind oder die man | |
gar nicht in den Mund nehmen will. Viele sind sexistisch und rassistisch. | |
Verwenden statt wegschmeißen: Aus alt mach Brot | |
Ganz hinten im Regel liegen Zutaten, die ewig auf ihren Einsatz warten. Bei | |
unserer Autorin kommen die nicht in den Müll – sondern in den Backofen. | |
Wiederverwertung von Lebensmitteln: Essen wegwerfen? Gehört verboten! | |
Ein Bündnis aus 34 Organisationen will ein verbindliches Wegwerfverbot für | |
Lebensmittel. Auch die Regeln für Haltbarkeitsdaten will es ändern. | |
Streit um das bessere Leben: Essen mit Anspruch | |
In Kreuzberg soll ein Aldi raus aus der Markthalle Neun. Eine | |
Verdrängungsgeschichte, bei der es um mehr als nur einen Discounter geht. | |
Speisewagen und Tristesse: Vom Essen auf Rädern | |
Zug fahren und gediegen speisen, ach, es könnte so schön sein. Ein | |
verzweifelter Versuch, im Bordrestaurant der Deutschen Bahn Glanz zu | |
finden. |