| # taz.de -- Innovationen beim Essen: Mit Essen die Welt verändern | |
| > Die Start-up-Kultur hat die Küchen erreicht, zusammen mit der | |
| > Digitalisierung stellt sie die Essensbranche auf den Kopf. | |
| Bild: Bei Square Roots wird Basilikum im Container auf Parkplätzen gezüchtet | |
| New York/Berlin taz | Denkt man an einen Coworking Space, hat man meist | |
| einen Saal voller Schreibtische vor Augen, dazu den obligatorischen | |
| Tischkicker und junge Menschen, die mit ihren Ohrstöpseln verwachsen zu | |
| sein scheinen. Aber was, wenn sich in so einem Raum Gemüsekisten stapeln, | |
| Fritteusen fauchen und Messer klappern? Dann hat die Start-up-Kultur die | |
| Küchen erreicht. Und könnte sie so verändern wie andere Branchen. | |
| Die Telekommunikation, der Handel und die Medien stecken alle mitten in der | |
| digitalen Revolution. Wird sie auch die Produktion von Lebensmitteln und | |
| die Art, wie wir essen, auf den Kopf stellen? | |
| Ein guter Ort, um dieser Frage nachzugehen, ist das Haus Nummer 630 an der | |
| Flushing Avenue in Brooklyn, New York. Es ist ein etwas in die Jahre | |
| gekommenes Fabrikgebäude. Unter dem Kalk sieht man noch die alten | |
| Backsteinziegel, breite Fenster sind von vielen Sprossen durchzogen. Seit | |
| 1946 wurden hier Pillen gedreht und Pülverchen abgefüllt, deshalb heißt das | |
| Gebäude noch immer Pfizer Building, obwohl der Pharmariese es schon vor | |
| Jahren verkauft hat. | |
| Er hinterließ zimmergroße Kühlschränke, Rührgeräte, groß wie Betonmixer, | |
| und weiß geflieste Böden und Wände. Genau die richtige Umgebung, um Essen | |
| zu produzieren. 2012 wurde das Pfizer Building wiedereröffnet, als | |
| Inkubator für Food-Start-ups, als Experimentierort für junge Menschen, die | |
| irgendwas mit Essen machen wollen. | |
| ## Food-Start-ups boomen gerade | |
| Läuft man durch die weiten Gänge, heißt es immer wieder: ausweichen. Zwei | |
| Bäcker mit Schläfenlocken und Kippa schieben einen Konvoi aus Regalwagen | |
| vor sich her. Auf den Backblechen dampfen Bagels. Um die Ecke steht ein | |
| Koch vor offenen Styroporkisten und begutachtet Fische, die darin auf | |
| zerstoßenem Eis liegen. Immer wenn sich irgendwo eine Flügeltür öffnet, | |
| weht ein anderer Geruch in den Gang. | |
| Das Start-up Plantable bietet hier an, den kompletten Speiseplan seiner | |
| Kunden zu übernehmen, mit persönlicher Ernährungsberatung, ganz | |
| vegetarisch. Bei CookUnity dagegen kann man seinen persönlichen Koch | |
| buchen. Bestellt wird er natürlich per App. | |
| Im Erdgeschoss ist alles da, damit Imbissbetreiber für einen Tag die Ecke | |
| einer Vorbereitungsküche mieten können, um zum Beispiel Pulled Pork für | |
| mehrere Tage vorzubereiten. Und Catering-Unternehmen buchen riesige | |
| Flächen, wenn sie abends in einem nahegelegenen Park Tausende Menschen | |
| bewirten. Zwischen den vielen Start-ups haben aber auch klassische Firmen | |
| wie eine jüdische Bäckerei oder eine Eiscreme-Manufaktur ihre | |
| Produktionsstätten. | |
| Das Projekt Inkubator ist in Brooklyn aufgegangen. Food-Start-ups boomen. | |
| Weltweit wurden 2018 6 Milliarden Dollar in diesen Bereich investiert. In | |
| den vergangenen Monaten hat dabei vor allem ein Name die Aufmerksamkeit auf | |
| sich gezogen und die Fantasie der Investoren beflügelt: Beyond Meat. | |
| ## „Beyond Meat“ als Vorbild | |
| Das Unternehmen aus Kalifornien ist Anfang Mai an die Börse gegangen und | |
| wurde zu einem Liebling der Wall Street. Der Aktienwert verneunfachte sich | |
| zwischenzeitlich, es ist der erfolgreichste Börsengang der vergangenen 19 | |
| Jahre. Beyond Meat macht vegane Burger-Pattys. Der Firmengründer wird | |
| schon als der Mann gefeiert, der das Fleisch neu erfunden hat. | |
| Ethan Brown, heute 48, ist an der US-Westküste und teils auf einem | |
| Bauernhof aufgewachsen. Sein Vater ist Professor für Philosophie mit | |
| Schwerpunkt Umweltschutz und Klimawandel, Mitglied im Club of Rome und | |
| zudem ambitionierter Hobbyfarmer. An den Wochenenden ging es deswegen aufs | |
| Land. Später studierte Brown Politik, war kurze Zeit für die OSZE in | |
| Bosnien und wechselte dann in den Bereich erneuerbare Energien, bis er | |
| realisierte, dass „Viehhaltung größere Auswirkungen auf das Klima hat als | |
| viele Dinge, an denen ich arbeitete“. | |
| Er glaubt nicht, dass der Kampf gegen den Klimawandel mit Gesetzen zu | |
| gewinnen sei, vor allem nicht beim Fleisch, das in der Esskultur der USA | |
| sehr tief verwurzelt ist. 2009 machte er sich deshalb daran, Fleisch neu zu | |
| erfinden – mit Beyond Meat. | |
| Brown ist inzwischen das Role Model einer ganzen Gründergeneration, die | |
| beim Essen auf all die Innovationen zurückgreift, die die Digitalisierung | |
| und der Techbereich hervorgebracht haben: Blockchain, Big Data, Robotic und | |
| künstliche Intelligenz. Das beginnt mit Drohnen, die Äcker überwachen und | |
| Roboter steuern, die Unkraut jäten. Das geht weiter mit Feldern, die nicht | |
| mehr auf dem Land liegen, sondern auf Fabrikdächern bestellt werden, weil | |
| das Gemüse so frischer beim Kunden ist und es auch noch das Stadtklima | |
| verbessert. | |
| Mit der Blockchain-Technologie bekommt jedes Produkt einen individuellen | |
| Code verpasst. Damit ist es möglich, die Zutat von Anfang bis Ende zu | |
| begleiten, sodass der Kunde am Ende weiß, auf welchem Fleckchen Erde sein | |
| Salat gewachsen ist. Oder wie das Rind hieß und wie es gehalten wurde, aus | |
| dessen Fleisch sein Schnitzel stammt. | |
| ## Ein neues „Ökosystem“? | |
| Die meisten in der Gründerszene sind überzeugt, dass das nicht nur zu einer | |
| neuen Nahrungsmittelwirtschaft führen wird. Sie sprechen von einem neuen | |
| „Ökosystem“. Auch weil sie sich kein Essen mehr vorstellen wollen, das | |
| nicht gut und sauber ist. Und nicht fair, nachhaltig und klimafreundlich | |
| hergestellt wurde. | |
| Wie aber sieht diese Zukunft genau aus? | |
| Das ist momentan die Viele-Millionen-Dollar-Frage. Sicher gibt es noch | |
| Haushalte, in denen eine Mutter sechs Tage der Woche in der Küche steht, | |
| die Familie am Freitagabend essen geht und der Samstagvormittag für den | |
| Großeinkauf im Supermarkt reserviert ist. Das ist das Bild, das über | |
| Jahrzehnte die Routine westlicher Kleinfamilien beherrschte. Aber es ist in | |
| Auflösung. Und damit alles, was daran hängt – bis zum letzten Ackerwinkel. | |
| Wird irgendwann eine künstliche Intelligenz uns den Geschmack entreißen? | |
| Weil das Programm anhand von Alter, Geschlecht und bisheriger Vorlieben | |
| schneller weiß als wir selbst, was wir abends am liebsten essen würden, und | |
| diese Information an andere Programme weitergibt – und die anhand von | |
| Prognosen fahrerlosen Saatmaschinen schon ein Jahr vorher vorgeben, was auf | |
| den Feldern wachsen soll? Sieht man sich die Monopolisierung der digitalen | |
| Welt durch Google, Facebook und Amazon an, fürchten das einige. | |
| ## Aldi schwächelt | |
| Im Lebensmittelbereich sieht es aber gerade nicht danach aus, dass die | |
| Großen noch mehr Macht anhäufen. Im Gegenteil. Man muss sich dafür nur die | |
| Supermärkte ansehen, zum Beispiel Aldi, der Discounter, der über Jahrzehnte | |
| billigst aus Paletten verkauft hat und dessen Sortiment nie größer als 500 | |
| Produkte war. Das passt nicht mehr zu einer Welt, in der sich | |
| Ernährungsstile diversifizieren und jährlich 10.000 Produkte neu auf den | |
| Markt kommen. | |
| Der Discounter versucht sich gerade neu zu erfinden, Milliarden werden | |
| investiert. Die Geschäfte werden aufgehübscht, es gibt eine Bio-Offensive, | |
| sogar ein veganer Burger ist ab dieser Woche im Sortiment. Aber bisher | |
| bringt das kaum mehr Umsatz. Nur außerhalb Deutschlands läuft das Geschäft | |
| noch besser, etwa in den USA. | |
| Doch auch dort ist die Zukunft ungewiss, der Einzelhandel steckt in den USA | |
| noch stärker in der Klemme. Er wird von zwei Seiten angegriffen, den | |
| Discountern aus Europa und den Lieferdiensten, allen voran Amazon mit | |
| seinem Angebot Amazon Fresh. Angefangen hat diese Entwicklung mit dem | |
| Verfall der großen alten Lebensmittelmarken. Jahrzehntelang waren Campbell, | |
| Hershey oder Pepsi aus den Supermarktregalen nicht wegzudenken. Zwischen | |
| 2011 und 2016 gingen ihre Marktanteile aber spürbar zurück, das erste Mal | |
| seit über 50 Jahren. Es ist ein Hinweis darauf: Das gute alte Markenprodukt | |
| ist auch ein Relikt aus alten Ernährungstagen. | |
| ## Die „Generation Yum“ | |
| Jemand, der gut erklären kann, was sich beim Essen zurzeit grundlegend | |
| verschiebt, ist Eve Turow-Paul. Sie sitzt in einem kleinen | |
| Nachbarschaftscafé in Brooklyn, im Hinterzimmer rührt die Trommel einer | |
| Kaffeeröstmaschine. Die 32-Jährige ist die Erfinderin der „Generation Yum�… | |
| So heißt das Buch, das sie 2015 herausbrachte: „A Taste of the Generation | |
| Yum.“ Neugierig, warum um sie herum alle mit dem Smartphone Essen | |
| fotografierten, führte sie Interviews und sammelte Studien zu dem Thema. | |
| Sie beschrieb für die USA erstmals, welch hohen Stellenwert Essen für die | |
| Millennials hat, die zwischen 1982 und 2002 Geborenen. 80 Millionen gibt es | |
| davon in den USA, ungefähr die Hälfte davon bezeichnet sich als „Foodies“. | |
| Nicht nur sie, auch die andere Hälfte, sagt Turow-Paul, interessiert sich | |
| mehr fürs Kochen, für Zutaten und Essengehen als alle Generationen vor | |
| ihnen. Und das gilt nicht nur für die USA, auch Zahlen aus Westeuropa legen | |
| das nahe. | |
| Ernährung sei in der Generation Y ein fester Teil der Identität geworden, | |
| mehr als Musik oder Autos, schrieb Turow-Paul. Das seien Statussymbole der | |
| Vergangenheit. Und mit dem Fokus auf den Teller steigt das politische | |
| Bewusstsein für das, was darauf liegt. „Die Klimakrise hat das noch einmal | |
| entscheidend verstärkt“, sagt sie. Seit ihr Buch herausgekommen ist, wird | |
| Turow-Paul ständig gebucht. Sie spricht auf Trendkonferenzen, wird in | |
| Vorstandsetagen eingeladen, berät Start-ups und ist Dozentin für Food | |
| Business. | |
| ## Keine Marken mehr | |
| In der Ernährungsbranche sei nicht nur einiges in Auflösung, sagt sie, | |
| sondern immer mehr teilten dort auch die Werte, für die Supermärkte stehen, | |
| die in den USA gerade sehr im Kommen sind: Wenn man Trader Joe’s oder Whole | |
| Foods besucht, riesige Hallen auf zwei Etagen, dann spielen Marken hier gar | |
| keine Rolle mehr. „Antibiotica-free“ steht stattdessen groß über den | |
| Kühlregalen mit dem abgepackten Fleisch, oder „Non-GMO“, also | |
| gentechnikfrei, in der Gemüseabteilung. Auch noch beim letzten Bund | |
| Grünkohl kann man nachlesen, woher er stammt. Wenn er von einem regionalen | |
| Erzeuger kommt, ist das dick unterstrichen. | |
| Bei dem Gemüse findet man auch Kräuterpackungen mit einem QR-Code auf der | |
| Rückseite, der einen, hält man sein Smartphone dagegen, wieder zum Pfizer | |
| Building zurückführt. Denn der Code öffnet eine Website, die detailliert | |
| die Geschichte der Minze erzählt, die man in der Hand hält. Dass Jaque sie | |
| in die Erde gesetzt hat, Elias sie pikiert und wiederum Jaque sie | |
| abgeschnitten hat. Sogar wie die Minze in den Supermarkt kam, nämlich mit | |
| dem Lastenfahrrad, kann man nachlesen. Ziemlich viel Information für so | |
| wenig Gemüse. | |
| Und doch stecken noch viel mehr Geschichten in den zehn Stängeln Minze. | |
| Diese erzählt Christa Montano, während wir im strömenden Regen auf dem | |
| Parkplatz vor dem Pfizer Building zwischen Foodtrucks und Lastenfahrrädern | |
| herumlaufen. Hier stehen drei weiße Schiffscontainer. Und die sind eine | |
| Farm des Start-ups Square Roots. Durch die Fenster winken die GärtnerInnen. | |
| Das Konzept des Unternehmens ist hyperlokales Gemüse. Vor allem die Wege | |
| zum Verbraucher sollen kurz gehalten werden, um die Ressourcen zu schonen. | |
| Deshalb hat die Firma die Pflanzen in die Container gepackt, sie können | |
| überall aufgestellt werden: auf Hausdächern, Brachflächen, notfalls sogar | |
| in Tiefgaragen. „Wir haben die idealen Bedingungen für das Wachstum der | |
| Pflanzen recherchiert, vom Anteil des CO2 in der Luft, den | |
| Feuchtigkeitsgrad und den Lichteinfall. Diese Bedingungen stellen wir im | |
| Inneren her“, sagt Montana. Außerdem benutzt Square Roots die Technik des | |
| Vertical Farming, die Minze wächst in Beeten, die vom Boden zur Decke | |
| führen, so dringt das Wasser effektiver durch die Erde und kann leichter | |
| aufgefangen werden, wenn es ungenutzt bleibt. | |
| ## „Jungen Leuten neue Wege aufzeigen“ | |
| Der Gründer von Square Roots ist Kimbal Musk, der jüngere Bruder von | |
| Tesla-Chef Elon Musk. Der 46-Jährige hat schon einiges im Ernährungsbereich | |
| aufgezogen. „The Kitchen“ etwa, eine Gruppe von Nachbarschaftsrestaurants, | |
| die Zutaten nur von Kleinbauern bezieht. Mit BigGreen baut er Schulgärten | |
| für Ernährungsbildung auf. Auch Square Roots ist eigentlich ein edukatives | |
| Projekt. Das Unternehmen will urbane Bauern ausbilden. | |
| „Der US-Farmer ist im Schnitt 58 Jahre alt“, schreibt Square Roots auf | |
| seiner Website. „Wenn wir die Ernährung verändern wollen, müssen wir jungen | |
| Leute neue Wege aufzeigen, erfolgreich in der Landwirtschaft Karriere zu | |
| machen.“ Die Idee dabei: Prinzipiell kann jeder Städter mit einem | |
| Square-Roots-Container zum Nebenerwerbsbauern werden. Bisher stehen die | |
| Container nur auf dem Parkplatz des Pfizer Building, aber Square Roots hat | |
| im Frühjahr eine Partnerschaft mit einer Einzelhandelskette geschlossen. | |
| Auch wenn in den Containern nur Minze und Basilikum wächst, verfolgt Square | |
| Roots einen Ansatz, der typisch ist für viele Gründer im Foodbereich. Big | |
| Food wird kleiner, Small Food wird größer – das ist die Perspektive, aus | |
| der viele in der Szene ihren Zukunftsoptimismus beziehen. | |
| Es gibt kaum einen, der die Zahlen nicht kennt: Bis 2050 wächst die | |
| Menschheit voraussichtlich auf fast 10 Milliarden. Um alle satt zu machen, | |
| sagen die Vereinten Nationen, muss sich die Lebensmittelproduktion bis | |
| dahin verdoppeln und die Ernährungsweise ändern, wenn das Klima nicht | |
| kollabieren soll. Noch weitere Industrialisierung, noch größere Äcker, noch | |
| mehr Tiere in Massenställen? Ein Horrorszenario. | |
| ## „Essen kann die Welt retten“ | |
| „Essen kann die Welt retten“, fasst Eve Turow-Paul zusammen, was viele in | |
| der Food-Start-up-Szene antreibt. Sie setzen auf die Disruptivität der | |
| neuen Techniken, der neuen Arbeitszusammenhänge und der neuen | |
| Konsumgewohnheiten. | |
| 1,45 Milliarden Dollar an Risikokapital flossen 2018 laut der | |
| Marktbeobachtungsplattform foodtechconnect in den USA in diese | |
| Gründerszene. Der größte Batzen, 114 Millionen, ging dabei an Impossible | |
| Foods, einen Konkurrenten von Beyond Meat, der in den USA ebenfalls vegane | |
| Burger-Pattys verkauft. Danielle Gould, die Gründerin der Plattform, sagt, | |
| es gebe einen klaren Trend, Projekte zu finanzieren, die Einfluss auf den | |
| Klimawandel haben. | |
| Das Haus 148 Lafayette Street liegt mitten in SoHo. Auf drei Etagen gibt es | |
| hier Coworking-Räume. Tritt man aus dem Lift, erwartet man, auf einen | |
| Empfang zu treffen, auf arbeitsame Stille, aber nicht auf Cocktails, | |
| Schnittchen, Chili sin carne und lautes Stimmengewirr. Es ist eine interne | |
| Feier, der Anlass: die Gründung des WeWork Food Labs – ein Labor für | |
| Food-Start-ups. Eines von ihnen ist SillyChilly Hotsauce. Am Buffet steht | |
| Sufia Hossain mit drei Flaschen ihrer Pfeffersauce. Rundlich, die Haare | |
| platinblond gefärbt, ein strahlendes Lächeln. | |
| Sie hat erst vor Kurzem ihren Schreibtisch bezogen und freut sich, dass es | |
| eine Gelegenheit gibt, andere Menschen kennenzulernen, die hier arbeiten. | |
| Sie stammt aus Bangladesch, hat lange in der Modebranche gearbeitet und nie | |
| daran gedacht, selbst eine Firma zu gründen. „Mit der Zeit hat es mich aber | |
| dann gestört, dass das, was ich mache, so wenig Wirkung hat.“ | |
| ## Experimente mit Pfeffersaucen | |
| Gekocht hat sie schon immer gern, und Pfeffersaucen sind ihr Ding. „Ich | |
| habe mich auf den Bauernmärkten hier in der Umgebung so in die Paprikas und | |
| Chilis verliebt. Irgendwann hatte ich zu viele in der Küche und musste | |
| damit was machen.“ Die erste Hotsauce war ein Experiment. | |
| Hussain erzählt so euphorisch von ihrem Unternehmen, dass man ihr zutraut, | |
| dass sie die Saucen noch immer in ihrer Küche abfüllt. Bis sie erzählt, | |
| dass sie 40.000 Flaschen gelagert hat, inzwischen in 50 Läden in New York | |
| verkauft und gerade dabei ist, eine vierte Sauce zu kreieren. Den Großteil | |
| ihrer Zutaten bezieht sie von der Studentenfarm einer Universität südlich | |
| von New York. | |
| Menachem Katz beobachtet all die Leute, die auf der Feier das erste Mal | |
| zusammenkommen, mit einem kleinen Lächeln. Der Mann mit rasiertem Kopf hat | |
| etwas Gandhihaftes, sogar die Stimme erinnert an Ben Kingsley. Er ist der | |
| Chef des New Yorker Food Lab und erzählt, wie es zu der Idee kam. | |
| WeWork, inzwischen größter Mieter von Büroflächen in New York, bietet | |
| nämlich nicht einfach nur Schreibtische und Büros an. Es geht um weit mehr | |
| Infrastruktur: Beratung, Trainings, Vernetzung, Know-how – vor allem für | |
| Menschen, deren Geschäftsidee noch nicht ganz ausgereift ist. Man ist hier | |
| nicht einfach Mieter, sondern Mitglied eines großen Netzwerkes, mit Zugang | |
| zu Krankenversicherung, Fitnessstudio, es gibt sogar eine Vorschule für die | |
| Kinder. | |
| ## 15 Millionen Tiere retten | |
| 2018 überprüfte sich das Unternehmen auf Nachhaltigkeit. „Seitdem gibt es | |
| in unseren Räumen kein Fleisch mehr“, sagt Katz. „Wir zahlen es unseren | |
| Mitarbeitern nicht mehr, und bieten es auch im Catering für die Mieter | |
| nicht mehr an.“ | |
| Das Vegetarismus-Gebot, habe die Chefetage ausgerechnet, würde bis 2023 | |
| etwa 15 Millionen Tieren das Leben retten. Die Firma organisiere über 1.000 | |
| Caterings pro Woche in ihren Räumen. Über die Beschäftigung mit dem Thema, | |
| sagt er, sei auch die Idee entstanden, ein spezielles Angebot für Start-ups | |
| im Ernährungsbereich zu entwickeln. Das Food Lab sei das erste | |
| branchenspezifische Angebot von WeWork. | |
| Katz, 39 Jahre alt, ist selbst Koch. Er stammt aus Tel Aviv, in Israel hat | |
| er noch im Restaurant gearbeitet. In New York baute er einen Lieferdienst | |
| auf und verkaufte ihn, bevor er zu WeWork wechselte. „Die neuen Gründer“, | |
| sagt er, „wollen andere Werte in die Ernährungswelt bringen.“ | |
| Für das Food Lab, ein fünfmonatiges Programm, mussten sich Bewerber mit | |
| ihren Ideen vorstellen. 500 kamen zusammen, der Großteil mit Projekten zur | |
| Müllreduzierung, für umweltfreundliche Verpackungen und Proteinen auf | |
| Pflanzenbasis. Neue innovative Technologien in die Branche zu bringen sei | |
| das eine Ziel, sagt Katz. Ihn als Koch begeistere aber noch etwas anderes: | |
| „Nahrung wird Teil der Kreativindustrie.“ | |
| WeWork plant, auch in Europa und in Berlin ein Food Lab zu eröffnen. Die | |
| Firma wäre nicht die erste in ihrem Bereich, die in die deutsche Hauptstadt | |
| expandiert. Es gibt hier bereits den Food Tech Campus. Im Herbst will | |
| Kitchen Town, ein Inkubator aus dem Silicon Valley, hier eine Filiale | |
| eröffnen. | |
| ## Und in Deutschland? | |
| Berlin, Torstraße, dort, wo sich in der deutschen Hauptstadt die | |
| Kreativwirtschaft tummelt. Im Café Hermanns sitzen etwa 50 Leute um ein | |
| kleines Podium. „Hands up, please“, sagt Fabio Ziemßen. „Wer ist Gründe… | |
| wer Geldgeber?“ Es gibt hier nicht nur welche, die eine Geschäftsidee | |
| haben, sondern auch welche, die nach solchen Ideen Ausschau halten. In der | |
| nächsten Stunde werden sich drei Projekte vorstellen, danach können sich | |
| alle persönlich kennenlernen. | |
| Schon seit etwa zwei Jahren lädt Fabio Ziemßen zu solchen Treffen, erzählt | |
| er nach der Veranstaltung. Der 34-Jährige ist Director Food Innovation beim | |
| Metro-Konzern und damit so etwas wie der Zukunftsbeauftragte des | |
| Einzelhändlers. Dazu gehört auch, einen Überblick über die Szene zu | |
| bekommen, gerade in Europa. | |
| Hier sieht die Lage noch etwas anderes aus als in den USA. Laut einem | |
| großen Risikokapitalgeber wurde im vergangenen Jahr zwar schon 1 Milliarde | |
| Euro in Food-Start-ups investiert, aber relativ einseitig. Am leichtesten | |
| schafften es Lieferdienste, Geldgeber anzuwerben. Seit 2013 floss annähernd | |
| die Hälfte aller Investitionen in Lieferdienste wie Deliveroo, Hello Fresh | |
| oder Takeaway.com. | |
| Die Start-up-Kultur sei in den USA einfach noch eine andere, sagt Ziemßen. | |
| Dort regiere stärker das Wizard-of-Oz-Prinzip. Eine Vision wird | |
| vorangestellt, dann gehandelt, Probleme möglichst selbst gelöst – es | |
| entstehe weniger Frust, wenn Politik, Wirtschaft oder Banken nicht die | |
| Risikobereitschaft zeigten, die man sich als Gründer wünsche. | |
| Und was sind das für Menschen, die in Deutschland Food-Start-ups gründen? | |
| „Die meisten sind Millennials“, sagt Ziemßen. „Dabei gleichen sie in ein… | |
| wesentlichen Punkt den restlichen Gründer-Generationen: Viele haben eine | |
| persönliche Leidenschaft – und sie wollen sich auch verwirklichen.“ | |
| 16 Aug 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Jörn Kabisch | |
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