# taz.de -- Umweltbewusst reisen: Die Bahn, der Familienschreck | |
> Aus Klimagründen soll Fliegen teurer werden – zu Recht. Davor muss die | |
> Bahn aber günstiger werden. Und vor allem menschenfreundlicher. | |
Bild: Alles voll? Dann ab in die Hölle: den Ruhebereich | |
BERLIN taz | Es gibt da ein Kinderbuch über das Bahnfahren. Ich hab es dem | |
Zweijährigen gekauft vor der ersten langen Bahnreise von Berlin nach Basel | |
letztens. In dem Buch läuft das im ICE so: Die Menschen sind freundlich, | |
alle entspannt, die Kinder spielen oder hören Musik, es kommt jemand mit | |
Kaffee und Snacks vorbei – und: Es gibt ein Kleinkindabteil. Da sitzt eine | |
tiefenentspannte Mutter, das eine Kind spielt auf dem bunten Teppich, das | |
andere auf einer Art Schaukelpferd. Der Traum jeder klimafreundlichen | |
Familie. | |
Irgendwo zwischen Frankfurt am Main und Mannheim, als ich das Buch mit dem | |
Lütten das 38. Mal durchgeblättert hatte, wurde mir klar, dass das | |
Science-Fiction ist. Denn in Wirklichkeit sind vor allem lange Bahnfahrten | |
gar nicht menschenfreundlich. Schon gar nicht kinderfreundlich. | |
Dieses Kleinkindabteil aus dem Buch ist nicht weniger als ein Mythos, den | |
sich Eltern auf Kindergeburtstagen erzählen. Ja doch, das gibt es wirklich, | |
aber es handelt sich hier nur um ein – einzelnes – Abteil in einem ganzen | |
ICE. Sechs Sitzplätze. Und die sind in der Regel acht Wochen im Voraus | |
ausgebucht. Das Leben spielt nun ja aber nicht immer geplant. | |
Das Einzige, was Reisenden mit Kleinkind dann noch bleibt, ist, | |
entsprechend zusammenliegende Sitze im Familienbereich zu ergattern. Das | |
ist gegen jede Erwartung, aber auch nur ein stinknormaler | |
ICE-Großraumwaggon, wo an der Wand eine entsprechende Banderole klebt. Wenn | |
der auch voll ist, gibt es noch den Handybereich – und wenn der voll ist, | |
kommt man in die Hölle, die sich Ruhebereich nennt. | |
## Der Wickelraum ist immer am Ende des Zuges | |
Der Ruhebereich, wo das stundenlange Seufzen des Hintermanns klarmachen | |
soll, dass das bei jedem vorbeiflitzenden ICE begeistert „Zug!“ rufende | |
Kleinkind nicht alle so süß finden wie man selbst. Doch was ist die | |
Alternative? Sollte man sich nun wirklich von der ganzen Reise abhalten | |
lassen, weil der Typ hinter einem nicht mit Familien klarkommt? Oder | |
einfach fliegen? | |
Egal in welchem Teil des Zuges man sitzt, der größte Sport aller | |
Kleinkindeltern ist aber immer noch, den Kinderwagen irgendwo so zu | |
verstauen, dass man ihn wiederfindet, er keinen Notausgang blockiert und | |
nach Möglichkeit auch keinen ahnungslos vorbeilaufenden Menschen erschlägt. | |
Wenn man das nicht so gut erledigt, kommt nämlich eine Schaffner_in und | |
bittet freundlich darum, dass man das sperrige Ding in Luft auslösen soll – | |
und was soll ich sagen, die Nerven liegen da meistens schon blank. Es wird | |
dann unschön. | |
Während das alles für eine Familie mit zwei Elternteilen schon anstrengend | |
ist, ist eine lange Bahnfahrt als Einzelperson mit Kleinkind wirklich ein | |
Kraftakt. Wenn man zum 24. Mal den ICE rauf und runter läuft, weil dem | |
Bewegungsdrang nachgegeben werden muss, wobei stets die Priorität ist, das | |
rennende Kind vor einer Gehirnerschütterung zu bewahren. | |
Wenn man zum fünften Mal den einen Wickelraum aufsuchen muss, der immer am | |
anderen Ende des Zuges liegt. Wenn man versucht, im Restaurant mit Kind an | |
einem Tisch zu sitzen, der viel zu hoch ist. Oder man abwägt, ob weiterhin | |
auf einen Kaffeewagen zu hoffen die Lösung ist, oder man es noch einmal | |
wagt, mit Kind auf dem einen Arm und Kaffee in der anderen Hand durch den | |
ganzen Zug taumelnd das Gleichgewicht zu halten. | |
Oder man, sofern ein Abteil ergattert wurde, stets inständig hofft, dass | |
nicht zu viele Leute zusteigen, damit das Kind noch ein bisschen auf dem | |
verdreckten Boden spielen kann – wo es in Wirklichkeit weniger spielt, weil | |
Spielzeug sofort unter den Sitzbänken verschwindet, wo es dafür mehr eine | |
endlose Menge an Essensresten und alten Keksen findet. | |
Die einzigen Menschen, die als Fahrgäste vielleicht noch schlechter | |
gestellt sind als Menschen mit Kindern unter 14 (nach 14 wird es übrigens | |
teurer), sind Menschen mit Hunden. Die zahlen nämlich ein Kinderticket von | |
6-14 Jahren für den Hund, kriegen dann aber nur einen Platz für den | |
Menschen reserviert. Wenn der Hund nicht in eine Tasche passt oder ein | |
besonderes Talent hat auf einer Pfote auf Frauchens Kopf zu balancieren, | |
wird das schwierig. | |
## Arme Klimaschweine ohne Auswahlmöglichkeit | |
Nun soll ja zu allen Unannehmlichkeiten, die es schon so gibt, neuerdings | |
auch noch 2050 die Welt untergehen, [1][weil wir seit vielen Jahrzehnten | |
Klimaschweine sind], die den Planeten zugrunde gerichtet haben. Das heißt, | |
wir sollten spätestens jetzt aufhören zu fliegen und die Bahn nehmen. Aber | |
wie soll das gehen? | |
Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat schon nicht unrecht, [2][wenn sie | |
sagt, dass das Fliegen teurer werden muss]. Denn oft kommt man für die | |
Kosten einer einfachen ICE-Fahrt mit dem Flugzeug hin und zurück. Das steht | |
in keinem Verhältnis zu dem Dreck, den man da produziert. Doch die | |
Flugpreise sind einfach attraktiver. | |
Da hilft auch das Argument mit der Wartezeit am Flughafen nichts. Auch | |
nicht der Einwurf, die öffentliche An- und Abreise zum Bahnhof koste ja mit | |
dem Ticket der Bahn nichts. Der Mensch ist eben ein gar einfaches Geschöpf. | |
Und leider ist der Mensch immer öfter auch noch arm. Während sich | |
gutbetuchte Menschen vielleicht aussuchen können, ob sie aus Klimagründen | |
Bahn, Flieger, SUV oder doch den Zweimaster nehmen, ist das für ein | |
mittleres Einkommen und Geringverdiener sicher nicht die drängendste Frage. | |
## Verkehrs-Scheuers einzig gute Idee | |
Der Grünen-Politiker Dieter Janecek machte [3][letztens im Münchner Merkur] | |
den gar nicht so schlechten Vorschlag, dass jede Bürgerin und jeder Bürger | |
drei Flugreisen (hin und zurück) pro Jahr bekommen könne, mit denen er dann | |
auch handeln könne. Inspirieren ließ er sich da vom Mobilitätsforscher | |
Andreas Knie. Das mag nicht aller Probleme Lösung sein, aber dass wir | |
weniger fliegen sollten, ist ja durchaus Konsens. | |
Dass es gar nicht erst richtig dazu kam, den Gedanken differenziert zu | |
betrachten, lag wohl auch daran, dass sofort ein verbal faustschwingender | |
Christian-„Wir arbeiten alle so lang für den Staat“-Lindner um die Ecke bog | |
und das böse V-Wort benutzte. Das Letzte, was die Grünen auf ihrer Welle | |
gerade brauchen können, ist, als „Verbotspartei“ zu gelten. | |
Die einzige ansatzweise gute Idee, die Verkehrsminister Andreas Scheuer in | |
seiner politischen Karriere bisher hatte, ist, dass die Bahntickets | |
günstiger werden müssen. Die Bahn solle die Fahrkartenpreise auf bestimmten | |
Strecken senken, sagte er der Bild, und schon im April hat er angekündigt, | |
dass er die Mehrwertsteuer auf Bahntickets von 19 auf 7 Prozent senken | |
möchte. Vor der [4][Verursachung von Flugscham] warnte er allerdings. | |
Aber wenn wir ehrlich sind, ist Fliegen doch auch ohne Scham ziemlich | |
scheiße. Klar, für Kinder ist das spannend, aber es hat doch niemand | |
langfristig Spaß daran, 10.000 Meter über dem Boden in einer Sardinenbüchse | |
festgeschnallt zu sein und sich vorher und nachher die Füße platt zu | |
stehen. Menschen mit Fernbeziehung oder Leute, die beruflich fliegen | |
müssen, haben oft keine andere Wahl. Aber alle anderen sollten sie haben. | |
## Große Chance für die Bahn | |
Während also alle darüber reden, wie man das Fliegen unterbindet, kann das | |
nicht der einzige Ansatz sein. Das Bahnfahren muss dringend attraktiver | |
werden. Es ist ein großes Rätsel, dass die Deutsche Bahn offenbar aber gar | |
nicht in der Lage ist, auf die aktuellen Entwicklungen zu reagieren. Dabei | |
ist das doch die Gelegenheit: Es gibt eine junge, hartnäckige Bewegung für | |
den Klimaschutz, die Grünen werden stärker, die Leute kapieren langsam, | |
dass sie etwas tun müssen. | |
Jetzt muss die Deutsche Bahn etwas tun. Wieso gibt es keine Kinderwaggons, | |
keinen Hundewaggon, kein Restaurant mit Hochstühlen, keine Abteile mit | |
Mülleimern, die größer sind als eine Handtasche, keine Wickeltische, keine | |
großen Gepäckablagen für Kinderwägen, keine Schlafabteile, in denen man mal | |
nicht nur sitzend gegen eine Scheibe sabbernd etwas Kraft sammeln kann, | |
keine Schließfächer für seine Wertsachen im ICE? Und wieso ist das | |
Bahnfahren eigentlich so verdammt teuer? | |
Es ist alles komplizierter, als es scheint, schon klar. Ziemlich einfach | |
wäre es aber einfach mal, die Sitze aus den Ersten Klasse zu reißen und | |
Platz zu machen für die Menschen, die den Platz brauchen. Diese | |
Zweiklassensache ist so 90er Jahre. | |
18 Jul 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Klimawandel/!t5008262 | |
[2] /Umweltministerin-fuer-mehr-Klimaschutz/!5612399 | |
[3] https://www.merkur.de/politik/buendnis-90-gruenen-vielflieger-sollen-deutli… | |
[4] /Schlechtes-Gewissen-fuer-den-Klimaschutz/!5606817 | |
## AUTOREN | |
Saskia Hödl | |
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