| # taz.de -- Linke Fraktionschefinnen über die Linke: „Von uns kommt Druck“ | |
| > Die Fraktionsvorsitzenden der Hamburger Linken, Cansu Özdemir und Sabine | |
| > Boeddinghaus, über die nächste Bürgerschaftswahl und die ewige | |
| > Opposition. | |
| Bild: Auf einer politischen Wellenlänge: Cansu Özdemir und Sabine Boeddinghaus | |
| taz: Frau Boeddinghaus, Frau Özdemir, haben Sie sich Ihren Sommerurlaub | |
| redlich verdient? | |
| Sabine Boeddinghaus: Ja, definitiv. Wir machen eine wichtige Arbeit und | |
| tragen eine große Verantwortung innerhalb und außerhalb des Parlaments. Wir | |
| sind Ansprechpartner für viele Menschen. Initiativen, in denen unsere | |
| Themen verankert sind, bestätigen das. | |
| Aber in Ihren politischen Schwerpunkten, soziale Stadtentwicklung und | |
| Armutsbekämpfung, ist seit der letzten Wahl nichts besser geworden. Wofür | |
| ist Die Linke eigentlich da? | |
| Cansu Özdemir: Wir sind in der Opposition eine wichtige Kraft. Wir sitzen | |
| nicht nur im Parlament, sondern sind auch in den Stadtteilen unterwegs, um | |
| wirklich vor Ort zu sein. Obwohl wir nicht in der Regierung sitzen, haben | |
| wir dennoch Erfolge zu verzeichnen: Die Linke ist bei G20 stark für die | |
| Grundrechte eingetreten. Dadurch haben wir die Perspektive der | |
| Demonstranten und Demonstrantinnen in das Parlament gebracht, die | |
| Grundrechtsverletzungen erlitten haben. Ein weiterer Erfolg ist der | |
| Mindestlohn von zwölf Euro für städtische Beschäftigte. | |
| Den hat doch die SPD eingeführt. Unterm Strich: Sie reden viel, aber | |
| bewirken wenig. | |
| Boeddinghaus: Aber von uns kommt der Druck! Wir setzen diese Themen immer | |
| wieder auf die Agenda und geben da nicht nach. Und das zeigt Wirkung, wie | |
| etwa in der Wohnungspolitik. Die Anfragen, die wir stellen, packt Rot-Grün | |
| wenig später von sich aus auf die Agenda, weil klar ist: Es muss in unsere | |
| Richtung gehen. Ganz konkret hat Die Linke es in Gesprächen mit Rot-Grün | |
| geschafft, dass es eine Enquete-Kommission zu Kinder- und Jugendhilfe gibt. | |
| Hier fehlt vielleicht die breite Wahrnehmung, aber für die Betroffenen, den | |
| Jugendämtern und den Sozialverbänden hat diese Kommission, die zwei Jahre | |
| lang mit viel Expertise gearbeitet hat, einen sehr hohen Wert. Das sollte | |
| nicht kleingeredet werden. Dadurch ist das Thema Armut sichtbar auf die | |
| Tagesordnung gekommen. | |
| Druck machen sie, indem sie Duschen für Obdachlose fordern? | |
| Özdemir: Hygiene ist ein Menschenrecht. In den letzten Jahren hat sich die | |
| Zahl derer, die auf der Straße leben, verdoppelt, es sind Menschen auf der | |
| Straße gestorben, das hat eine ganz neues Dimension erreicht. Die Forderung | |
| nach Duschen für Obdachlose zeigt, dass die Defizite größer geworden sind. | |
| Wir haben eine so hohe Anzahl an Obdachlosen … | |
| … Etwa 2.000. Und für gibt es in Hamburg 17 Duschen. | |
| Özdemir: Ganz genau! Es gibt zudem keine Verbesserung der Reintegration | |
| obdachloser Menschen wie etwa in öffentlichen Unterbringungen oder in | |
| gesicherten Wohnverhältnissen. Und wenn sie dann endlich in solchen | |
| Wohnverhältnissen leben, muss auch dafür gesorgt werden, dass die Menschen | |
| ihre Wohnungen langfristig behalten können. | |
| Kommen wir zum Klima: Hier spricht Die Linke leiser als die Grünen, die | |
| momentan ihren Aufschwung feiern. Haben Sie das Thema verpennt? | |
| Boeddinghaus: Nein. Die Grünen werden mit diesem Thema wahrgenommen, weil | |
| Klima das Profil der Partei ist. Wenn die Grünen mitregieren, zeigt sich, | |
| dass ihre Klimapolitik nicht sehr glaubwürdig und überzeugend ist. Die | |
| Linke verknüpft Klimapolitik mit der Frage der sozialen Gerechtigkeit, etwa | |
| mit der Forderung nach kostenfreier Mobilität. Wir machen sehr wohl | |
| glaubwürdige Vorschläge in der Klimapolitik und sind hier in Hamburg eine | |
| starke Kraft. Unsere letzte Forderung ist die Beschäftigung mit dem | |
| Hamburger Flughafen, Stichpunkte Kurzstreckenflüge und Luftreinhalteplan, | |
| aber auch das hat Rot-Grün abgeschmettert. Hamburgs Klimaziele werden | |
| verfehlt, Naturschutzverbände fordern auch für Hamburg einen Klimanotstand. | |
| Für die Wähler*innen sind die Grünen glaubwürdig genug, das sieht man am | |
| Wahlergebnis. | |
| Boeddinghaus: Das hat weniger mit einer überzeugenden Politik zu tun, die | |
| komplexen Zusammenhänge des Grünen-Hypes werden sich erst zeigen. | |
| Gestresste Sozialdemokraten, die unzufrieden mit Ihrer Partei sind, wählen | |
| nicht automatisch die Linken. In diesem Umfeld haben die Grünen momentan | |
| das Image einer Wohlfühlpartei, in dem sie sich gut aufgehoben fühlen. Sie | |
| müssen sich nun aber auch der Herausforderung durch die Wahl stellen und | |
| glaubwürdig nachlegen. In Eimsbüttel machen sie neue, breitere Fahrradwege | |
| und werden dort entsprechend gewählt, andere Stadtteile vernachlässigen sie | |
| allerdings. | |
| Die Linke bekam bei den Bezirkswahlen 11, bei der Europawahl 7 Prozent – | |
| Triumphe sehen anders aus. | |
| Özdemir: Bei den Bezirkswahlen haben wir Stimmen dazugewonnen. Sie sehen | |
| also, dass wir in den Stadtteilen eine gute Arbeit leisten, unsere | |
| Positionen bezüglich der Europawahl war vielen jedoch nicht klar. Deshalb | |
| haben wir bei der Europawahl nicht gut abgeschnitten. | |
| Bei den Bezirkswahlen hat Ihre Partei nur maximal 1,5 Prozentpunkte | |
| gewonnen, während sich die Wählerbeteiligung um 17 Prozent erhöhte. Wieso | |
| haben Sie nicht davon profitieren können? | |
| Özdemir: In absoluten Zahlen ist es ein deutlich besseres Ergebnis gewesen. | |
| Wir sind über die Bestätigung vor Ort dankbar. | |
| Die Zahlen deuten aber darauf hin, dass keine Neu- oder Wechselwähler*innen | |
| dazugewonnen wurden. Ist Ihr Potenzial erschöpft? | |
| Boeddinghaus: Es ist doch ganz klar, dass wir weiterhin einen großen | |
| Ehrgeiz entwickeln müssen, um zuzulegen. Das machen wir bereits über die | |
| ganze Legislaturperiode und besonders beim bevorstehenden | |
| Bürgerschaftswahlkampf. Die Linke zu wählen ist manchmal komplizierter als | |
| die grüne Gute-Laune-Partei, denn wir stellen oft Dinge infrage. Dabei | |
| fordern wir vor allem grundlegende Veränderungen und nicht nur kleine | |
| kosmetische Verbesserungen. In der Verkehrspolitik etwa wollen wir weniger | |
| Individualverkehr, beim sozialen Wohnungsbau braucht es viel mehr | |
| Wohnungen. In solchen Auseinandersetzungen benötigt es Überzeugungskraft, | |
| um die Menschen an sich zu binden. | |
| Wann wird Die Linke in Hamburg denn regierungsfähig sein, um ihre Ziele | |
| umzusetzen? | |
| Özdemir: Mit Blick auf Berlin, wo Rot-Rot-Grün regiert, sieht man, wie | |
| wichtige sozialpolitische Maßnahmen wie der Mietendeckel umgesetzt werden | |
| können … | |
| … Und in Bremen laufen gerade rot-rot-grüne Koalitionsverhandlungen. In | |
| anderen Städten kann Die Linke was erreichen, warum in Hamburg nicht? | |
| Özdemir: In diesen Städten ist die Bereitschaft von SPD und Grünen da, | |
| wirklich etwas zu ändern. In Berlin war das der Mietendeckel, in Bremen | |
| nimmt man die Kinderarmut in den Fokus. Die Linke ist aber kein | |
| Mehrheitsbeschaffer, die nur dazu da ist, die bestehende Politik | |
| fortzusetzen. | |
| Nur weil niemand Sie anfleht mitzuregieren, bleibt Die Linke also in der | |
| Schmollecke? | |
| Boeddinghaus: Das ist ja wohl ein total schräges Bild, man übernimmt doch | |
| nicht erst Verantwortung in der Regierung! Die Opposition spielt in der | |
| Politik eine wichtige Rolle und die füllen wir sehr verantwortungsvoll für | |
| unsere Wähler aus. In Hamburg muss man das realistisch betrachten: Wir | |
| würden in einem rot-rot-grünen Dreibündnis in Hamburg keine starke Kraft, | |
| sondern nur ein kleines Rädchen sein. Da erreichen wir in der Opposition | |
| mit Druck viel mehr! | |
| Konkret also: Nicht mit diesen Grünen und nicht mit dieser SPD? | |
| Özdemir: Wir erleben, dass SPD und Grüne unsere Forderungen wie nach einem | |
| Mietendeckel mit Häme als unrealistisch darstellen, obwohl es in Berlin | |
| gelingt. Die Grünen und die SPD in Hamburg unterscheidet also inhaltlich | |
| wirklich viel von den Berliner oder Bremer Parteien. | |
| Sollte Rot-Grün im nächsten Jahr bei der Bürgerschaftswahl keine Mehrheit | |
| mehr haben, bräuchten sie einen dritten Partner. Dafür kämen die CDU, die | |
| FDP oder Die Linke infrage. Überlassen Sie denen kampflos das Feld? | |
| Boeddinghaus: Die Linke wird sich auf keinen Fall dafür hergeben, eine | |
| Politik zu unterstützen, die sie seit Jahren kritisiert. Damit würden wir | |
| unsere Glaubwürdigkeit verlieren. Es liegt also daran, ob SPD und Grüne | |
| ernsthaft eine soziale und ökologische Politikwende wollen. | |
| Selbst für Senatorensitze würden Sie das nicht ein bisschen lockerer sehen? | |
| Boeddinghaus: Ganz sicher nicht! | |
| Özdemir: Wir treten unsere Themen nicht für ein paar Senatorensitze ab. Uns | |
| ist eben nicht egal, ob sich etwas an der politischen Situation ändert oder | |
| nicht. Die Linke hatte immer den Anspruch, der auf den Friday´s for | |
| Future-Demos gerade so präsent ist: „Change the system!“ Wenn im Senat mal | |
| von Armutsbekämpfung gesprochen wird, sind das immer nur kosmetische | |
| Maßnahmen und keine richtige Bekämpfung. Das ist nicht der Wechsel, für den | |
| wir stehen. | |
| Werden Sie beide wieder für eine Doppelspitze kandidieren? | |
| Boeddinghaus: Uns macht die gemeinsame Arbeit sehr viel Spaß, da sind wir | |
| auf einer politischen Wellenlänge. Wir stellen unsere Kandidatur zur | |
| Verfügung, der Parteitag im Herbst entscheidet dann. Bis dahin werden wir | |
| unser Wahlprogramm schreiben, die Inhalte gehen vor. | |
| Die Linke wird also weiter aus der Opposition heraus wirken? | |
| Boeddinghaus: Ich bin völlig überzeugt davon, dass wir diesen Job gut | |
| machen. | |
| Finden Sie sich auch so toll, Frau Özdemir? | |
| Özdemir: Ob wir uns toll finden oder nicht, ist doch nicht die Frage. Wir | |
| finden aber die Themen, für die wir stehen und für die wir kämpfen, extrem | |
| wichtig. Es geht darum, wie standhaft man für diese Themen eintritt. | |
| Boeddinghaus: Und wir haben es durchgezogen! Und das sehen unsere Wähler. | |
| Ich erinnere auch gerne an die Verhinderung von Olympia bin Hamburg, da war | |
| es dasselbe. | |
| Özdemir: Ein weiteres wichtiges Thema, für das wir uns immer stark gemacht | |
| haben, ist die Forderung nach einem NSU-Untersuchungsausschuss. Gerade im | |
| aktuellen Bezug nach der Ermordung Walter Lübckes müssen solche rechte | |
| Strukturen aufgedeckt werden, muss die jahrelange Verharmlosung rechter | |
| Verbrechen als Einzeltaten aufhören. | |
| Werden Sie die Forderung nach einem NSU-Untersuchungsausschuss in Hamburg | |
| erneuern? | |
| Özdemir: Diese Forderung ist für uns stets aktuell und notwendig. Im Fall | |
| Lübcke muss überprüft werden, ob es dort Verbindungen zum NSU-Netzwerk gab. | |
| Dafür braucht es bundesweit Akteneinsicht in die verschlossenen Akten, um | |
| Licht in dieses Dunkel zu bekommen. Rot-Grün weigert sich weiterhin, über | |
| eine solchen Ausschuss in Hamburg nachzudenken. Stattdessen dämonisiert der | |
| Senat aufgrund von Stickern an der Ida-Ehre-Schule die Antifa Altona Ost | |
| und lenkt so von der Verharmlosung des offensichtlich strukturellen | |
| Problems rechter Netzwerke ab. | |
| 5 Jul 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Sven-Michael Veit | |
| Katharina Gebauer | |
| ## TAGS | |
| Hamburg | |
| Die Linke | |
| Hamburgische Bürgerschaft | |
| Die Linke Hamburg | |
| Hamburger Bürgerschaft | |
| Sozialpolitik | |
| Klima | |
| Interview | |
| Armutsbekämpfung | |
| Armutsforschung | |
| Umwelt | |
| Die Linke Hamburg | |
| DGB | |
| City-Maut | |
| G20-Prozesse | |
| Gymnasium | |
| Obdachlosigkeit in Hamburg | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Soziale Spaltung in Hamburg: Armut sichtbarer machen | |
| Die Linke fordert einen Armuts- und Reichtumsbericht um Maßnahmen gegen die | |
| soziale Spreizung zu entwickeln. | |
| Luftverschmutzung in Hamburg: Der Hafen dieselt vor sich hin | |
| Der Naturschutzbund (Nabu) ermittel am nördlichen Hafenrand | |
| Stickoxid-Werte, die zwar hoch sind aber nicht verboten. Trotzdem gibt es | |
| Handlungsbedarf. | |
| Wahlkampf in Hamburg: Das soziale Gewissen der Stadt | |
| Die Prognosen für Die Linke in Hamburg liegen bei bescheidenen 8 Prozent. | |
| Dabei hat die kleine Fraktion aus der Opposition einiges bewirkt. | |
| Forderung nach höherem Mindestlohn: Ein bisschen Fairness | |
| DGB und Linke wollen einen höheren Mindestlohn und höhere Sozialstandards | |
| bei Hamburgs öffentlichen Aufträgen festschreiben. | |
| Katharina Fegebank über grüne Politik: „Keine City-Maut. Das gilt“ | |
| Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) über | |
| Hochschulen, Klima und die Fortsetzung der rot-grünen Koalition nach der | |
| Wahl 2020. | |
| FDP-Fraktionsvorsitzende im Interview: „Wir leugnen den Klimawandel nicht“ | |
| Die Spitzenkandidatin der FDP, Anna von Treuenfels-Frowein, über ihre grüne | |
| Kindheit und ihre Themen und Ziele für die Bürgerschaftswahl 2020. | |
| Schulentwicklungsplanung in Hamburg: Streit um dritte Schulform | |
| Rabes Schulplan sieht zehn „Campus-Schulen“ vor mit Stadteilschule und | |
| Gymnasium unter einem Dach. Kritiker sehen darin Angriff auf die übrigen | |
| Stadtteilschulen | |
| Obdachlose in Hamburg: Erfolgreich abgeschreckt | |
| Sozialsenatorin Leonhard zieht Bilanz: Das Winternotprogramm war diesen | |
| Winter nur zu zwei Dritteln ausgelastet. Woran lag das? |