# taz.de -- FDP-Fraktionsvorsitzende im Interview: „Wir leugnen den Klimawand… | |
> Die Spitzenkandidatin der FDP, Anna von Treuenfels-Frowein, über ihre | |
> grüne Kindheit und ihre Themen und Ziele für die Bürgerschaftswahl 2020. | |
Bild: Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein will Verantwortung übernehmen | |
taz: Frau von Treuenfels-Frowein, haben Sie sich Ihren Sommerurlaub redlich | |
verdient? | |
Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein: Ich glaube schon, so wie andere | |
Bürger auch. | |
Aber Sie haben doch überhaupt nichts erreicht in den vergangenen | |
viereinhalb Jahren in der Bürgerschaft. | |
Da haben Sie unsere Arbeit offenbar nicht zur Kenntnis genommen. Auch aus | |
der Opposition heraus ist es uns gelungen, starke Akzente zu setzen: In der | |
Rechtstaatspolitik etwa bei der kritischen Einschätzung der Verträge mit | |
den islamischen Verbänden, in der Schulpolitik erleben wir bei den | |
Verhandlungen zum Schulstrukturfrieden echte Konzessionsbereitschaft. Wir | |
haben zum Beispiel auch die Kennzeichnungspflicht für Polizisten auf den | |
Weg gebracht. Das kann nur eine starke FDP-Opposition, die mit klarem Kurs | |
ihre Wahlversprechen einhält. | |
Welche Versprechen konnten Sie denn halten? | |
Wir bringen immer wieder Forderungen ein, um die Qualität des | |
Bildungssystems konkret zu verbessern. Mein erster Vorschlag damals, | |
nämlich dass der Ganztag freiwillig ist, hat es sogar ins Schulgesetz | |
geschafft. Das Scheitern von Rot-Grün in der Verkehrspolitik oder die | |
unverantwortliche Vernachlässigung der Justiz haben wir so deutlich | |
gemacht, dass ein nervöser Senat nun immerhin ein wenig umsteuert, wenn | |
auch zu spät und viel zu wenig. | |
Steuern sind aber nicht gesenkt worden. | |
Nein, das haben wir aber auch nicht versprochen. | |
Nichts versprochen haben sie auch beim Thema Klimaschutz oder Klimawandel – | |
und auch nichts getan. | |
Den Klimawandel zu begrenzen ist zuallererst eine internationale und | |
nationale Aufgabe. In diesem Rahmen machen regionale Projekte Sinn. | |
Man könnte aus der Kohle aussteigen, weniger Auto fahren, Häuser besser | |
dämmen … | |
Wir leugnen den Klimawandel ja gar nicht, ganz im Gegenteil. Man könnte, | |
anders als Rot-Grün es tut, mit Moorburg das modernste Kohlekraftwerk | |
Deutschlands statt der alten Dreckschleuder Wedel ans Netz geben. Wichtig | |
ist es, für die Mobilität mehr Alternativen zu schaffen. Ich persönlich | |
nehme die Klimapolitik sehr ernst, schon weil ich aus einem Elternhaus | |
komme, in dem man schon vor Jahrzehnten wusste, wie wichtig Nachhaltigkeit | |
ist. Wir haben unser Brotpapier für die Schule wieder nach Hause gebracht, | |
das gab es dann am nächsten Tag noch mal. | |
Klingt nach einer harten Kindheit. | |
Keineswegs, es war eine Kindheit, die von klarer Haltung geprägt war. Ich | |
komme vom Land, da haben wir Nachhaltigkeit wirklich gelebt. Nicht so wie | |
bei denen, die gerade ganz viel über den Klimaschutz reden und dann übers | |
Wochenende nach Mallorca fliegen. Im Übrigen gilt: Verbote sind der falsche | |
Weg, um Akzeptanz und Erfolg für gute Klimapolitik zu sichern. Ein | |
Nachhaltigkeitsbewusstsein muss auch Spaß machen, damit es Teil einer | |
Lebensqualität wird. | |
Nicht verzichten, lieber vernichten? | |
Nein. Im Supermarkt bekomme ich die meisten Produkte mehrfach in Plastik | |
eingeschweißt. Das stört mich schon seit Jahren massiv. Zu Hause landen die | |
ganzen Plastikmengen im Müll, das nervt mich. Denn es geht anders, es gibt | |
Alternativen, das begreifen längst auch Händler und Konzerne. Durch die | |
Fridays-for-Future-Bewegung wird das Bewusstsein dafür geschärft. Das finde | |
ich gut! | |
Die FDP ist also Teil einer Nachhaltigkeitsbewegung? | |
Selbstverständlich! Die FDP hat Nachhaltigkeitskonzepte. Wenn Sie mich aber | |
persönlich fragen, bezieht sich Nachhaltigkeit nicht nur auf die Umwelt, | |
sondern bedeutet auch, dass man der nächsten Generation keine Hypothek | |
hinterlässt. Was ich heute tue, hat immer auch Auswirkungen auf morgen. | |
Diese Begrifflichkeit ist bei jedem Thema gleich, ob Bildung, | |
Digitalisierung, Haushaltspolitik, das sollte für alles und überall gelten. | |
Sind Ihre Kinder bei Fridays for Future dabei? | |
Nein, meine beiden Ältesten haben ihren Schulabschluss bereits in der | |
Tasche, und mein Jüngster geht nicht hier zur Schule. Ich denke auch nicht, | |
dass er dabei gewesen wäre. | |
Aber Sie hätten es auch nicht verboten? | |
Warum? Ich war früher selbst auf vielen Demonstrationen: gegen | |
Atomkraftwerke, gegen Primarschulen – mit Erfolg, wie man heute sieht. Das | |
hätte ich meinen Kindern niemals verboten. Ich finde es gut, wenn man für | |
seine Ziele kämpft. | |
Auch während der Schulzeit? | |
Als Bildungspolitikerin sage ich: Demonstriert besser außerhalb der | |
Schulzeit. Es gibt ohnehin so viel Unterrichtsausfall, den die FDP hart | |
bekämpft. Da können wir nicht sagen, wir machen bei Fridays for Future mal | |
eine Ausnahme. Das ist für mich aber nicht der springende Punkt. Die Kinder | |
und Schulen müssen die Konsequenzen hinterher selber tragen. Der wichtigste | |
Aspekt ist doch, dass dort eine Bewegung entstanden ist, die Antworten auf | |
das Problem des Klimawandels einfordert. So eine Bewegung kann nicht falsch | |
sein. | |
Das klingt ja richtig liberal. | |
Das bin ich auch! | |
Ist der Schulfrieden bald wieder in Gefahr? | |
Ich spreche lieber vom Schulstrukturfrieden. Schulfrieden würde bedeuten, | |
dass alle Parteien von links bis rechts einer Meinung zur Schulpolitik | |
wären. Der sogenannte Schulfrieden läuft 2020 aus, und ja, es kann danach | |
sein, dass es bröckelt. Die CDU hat vorgeschlagen, G9 auch wieder an | |
Gymnasien zu etablieren. Das hat den Regierungsparteien ausgereicht, um | |
sich mit uns an einen Tisch zu setzen und eine interfraktionelle Lösung zu | |
suchen, damit wir diese Diskussion nicht nochmal führen müssen – G9 oder | |
nicht. Ich finde eine Rolle rückwärts total falsch, dann könnten die | |
Stadtteilschulen doch dichtmachen! | |
Der Schulfrieden und G9 sind also nicht miteinander vereinbar? | |
So einfach ist das nicht. G9 wäre ein erneutes Experiment für eine | |
Schülergeneration und ein riesengroßes Problem für die Stadtteilschulen, | |
wenn alle Kinder ans Gymnasium gehen und nur die Kinder übrig blieben, die | |
es definitiv nicht schaffen. Deswegen bin ich völlig dagegen, dass man das | |
jetzt aufbricht, denn durch solche gravierenden Strukturänderungen leidet | |
besonders die Schulqualität – die Verlierer wären die Schüler. | |
13 Jahre Unterricht muss deswegen ein Alleinstellungsmerkmal der | |
Stadtteilschulen bleiben? | |
Die Stadtteilschulen haben sehr eigene, heterogene Schülerschaften, die | |
alle Abschlüsse anstreben bis zum Abitur. Denen das Abitur wegzunehmen und | |
ihnen den Rest zu lassen, hielte ich schlichtweg für falsch. | |
Stichwort Ida-Ehre-Schule: Sie haben sich gegen die Symbole der Antifa | |
ausgesprochen. Was ist denn an Antifaschismus so falsch? | |
An Antifaschismus ist grundsätzlich nichts falsch, genau wie an | |
Antikommunismus. Aber Antifaschismus und Antifa ist nicht das Gleiche. | |
Links-, rechts- und religiös motivierte Extremisten sind Randgruppen, die | |
sich militant gegen die Verfassungsordnung stellen. Egal welches Spektrum, | |
keines davon hat an Schulen etwas verloren, da müssen wir klare Kante | |
zeigen. | |
Steht der Rechtsstaat in Hamburg unter Druck? | |
Die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats ist stark optimierbar: In der | |
Justiz sind wir durch grüne Unterlassungspolitik das Schlusslicht in Sachen | |
Verfahrensdauer. Jeder Bürger würde sich freuen, wenn die Justiz | |
effizienter arbeiten würde. Diese muss besser ausgestattet werden, das kann | |
man mit Digitalisierung und einer nachhaltigen Personalpolitik erreichen. | |
Und bei G20? | |
Da hat sich gezeigt, dass es an Durchsetzungsfähigkeit mangelte. Der | |
Rechtsstaat muss konsequent handeln – ganz egal, ob gegen rechten, linken | |
oder religiös motivierten Extremismus. Sobald Menschen nicht mehr an ihn | |
glauben, steht der Rechtsstaat unter Druck, denn er lebt von Akzeptanz. | |
Wenn diese Akzeptanz nicht mehr gegeben ist, wandern die Menschen in die | |
linke oder rechte Ecke ab und das ist nicht gut. | |
Sehen Sie eine politische Justiz gegenüber G20-Gegnern, die dort | |
demonstriert haben? | |
Nein. Ich bin die Letzte, die etwas gegen Demonstrationen hat. Man kann zu | |
G20 stehen, wie man will, das steht jedem frei. Aber gegen brutale | |
Gewalttaten muss und wird der Rechtsstaat hart vorgehen. | |
Kommen wir zum Thema Wahlen: Die FDP konnte 5,6 Prozent bei der Europawahl, | |
5,7 Prozent bei den Bezirkswahlen einfahren. Waren Sie sehr enttäuscht? | |
Nein, wir haben ein solides Ergebnis eingefahren, Triumphe sehen jedoch | |
anders aus. Auf Bezirksebene haben wir das Ziel erreicht, überall in | |
Fraktionsstärke vertreten zu sein, bei der Europawahl haben wir im ganzen | |
Land fast eine Million Stimmen dazugewonnen, was wegen der deutlich höheren | |
Wahlbeteiligung aber nicht in Prozenten deutlich wurde. Da können wir noch | |
nachlegen. | |
Woran liegt es, dass die FDP von der um 17 Prozent gestiegenen | |
Wählerbeteiligung nicht profitieren konnte? | |
Wir haben fast eine Million Stimmen gewonnen. Gleichwohl hätten wir das | |
dominierende Thema Klimapolitik besser bedienen müssen. Unsere Schwerpunkte | |
wie Wirtschaftskompetenz, Digitales oder Bildung drangen weniger stark | |
durch, deswegen sind sie aber nicht weniger wichtig. | |
Sie haben also auf das falsche Pferd gesetzt. | |
Ich glaube nicht, dass man immer auf das Pferd aufspringen muss, das gerade | |
vorn im Rennen ist. Dennoch hätten wir etwa unsere Haltung für einen | |
Klimazertifikate-Handel und gegen eine Klimasteuer stärker deutlich machen | |
müssen. Bildung erachte ich aber als mindestens genauso wichtig, | |
Digitalisierung auch. Und das Thema bessere Rahmenbedingungen für die | |
Wirtschaft ist wichtig, weil alles, was wir beim Klima erreichen wollen, in | |
der Wirtschaft erarbeitet werden muss. | |
Kann es sein, dass Sie Ihr Wählerpotenzial in Hamburg bereits ausgeschöpft | |
haben? | |
Nein, unser Wählerpotenzial gerade in Hamburg ist zweistellig. Besonders in | |
der bürgerlichen Mitte haben wir eine große Chance. | |
Was ist Ihr Ziel für die Bürgerschaftswahl – 10 plus x? | |
Wir treten für ein solides zweistelliges Ergebnis an. | |
Das wäre ein Drittel mehr als bei der Bürgerschaftswahl 2015 mit 7,4 | |
Prozent. | |
Sowohl die SPD als auch die CDU schwächeln stark, das eröffnet die Chance, | |
die bürgerliche Mitte für die FDP zu gewinnen. | |
Ist die Hamburger FDP, anders als im Bund, bereit und fähig zu regieren? | |
Die FDP ist das im Bund und auch in Hamburg. Die Oppositionsjahre in der | |
Bürgerschaft haben Spaß gemacht und wir konnten viele Erfahrungen sammeln. | |
Jetzt haben wir den Anspruch, mitzugestalten und zu regieren. Es ist Zeit, | |
für liberale Politik im Senat. | |
In welchen Konstellation am liebsten? | |
Wir werden unseren Wahlkampf nicht danach ausrichten, wie wir der SPD | |
gefallen könnten, und wir fragen uns auch nicht, was Grüne oder CDU denken. | |
Stattdessen wollen wir mit einem klaren liberalen Kompass Politik machen, | |
und so werden wir auch unseren Wahlkampf führen. Ich schiele nicht erst | |
nach links oder rechts. Wir vertreten eine glasklare liberale Politik, so | |
wie wir es auch in den letzten Jahren in der Bürgerschaft getan haben. | |
Und welchen Senatorenposten streben Sie an? | |
Ich strebe ein gutes Wahlergebnis für die Freien Demokraten an, mit dem wir | |
in den Senat einziehen. Daraus ergibt sich alles Weitere. Klar ist: Vor | |
Verantwortung laufe ich nicht weg, sondern nehme sie gerne an. | |
11 Jul 2019 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
Katharina Gebauer | |
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