# taz.de -- Neue Wohnformen in Berlin: „Coliving-Angebote sind exklusiv“ | |
> Die Stadtforscherin Larisa Tsvetkova untersucht gemeinschaftliche | |
> Wohnprojekte. Im Interview erklärt sie, was an Coliving wirklich neu ist. | |
Bild: Coliving basiert auf der Idee des Teilens, vergleichbar dem Car-Sharing | |
taz: Frau Tsvetkova, ist Coliving tatsächlich ein neues Phänomen in Berlin? | |
Larisa Tsvetkova: Dass Menschen sich Räume teilen, ist nicht neu. Es gibt | |
in Berlin schon lange Projekte gemeinschaftlichen Wohnens, die aus | |
Hausbesetzungen der 70er und 80er Jahre entstanden sind. | |
Was ist der Unterschied zwischen diesen Projekten und Coliving? | |
Coliving wird von globalen Investoren angeboten, deren Ziel es ist, mit den | |
Immobilien Geld zu verdienen. Bei selbstverwalteten Hausprojekten haben die | |
Bewohner ein anderes Interesse: Weil sie selbst in dem Haus wohnen, wollen | |
sie, dass das Zusammenleben im Haus und in der Nachbarschaft gut | |
funktioniert. Diese Wohnprojekte sind für die Stadt und Nachbarschaft | |
interessant, weil die Bewohner gleichzeitig Entwickler sind. | |
Kann man sagen, dass bei Coliving Wohnraum und Gemeinschaft einfach | |
konsumiert werden? | |
Bei Coliving wird Verantwortung abgegeben. Es wird für alles gesorgt: die | |
Einrichtung der Zimmer, Essen, Reinigung, Reparaturen, bürokratische | |
Angelegenheiten, Freizeitangebote. Coliving basiert aber auch auf der Idee | |
des Teilens, vergleichbar dem Car- und Bike-Sharing. Dahinter steckt eine | |
Art Abo-Mentalität. | |
Coliving-Anbieter werben offensiv mit dem Begriff „Community“. Was hat es | |
damit auf sich? | |
Es gibt hier ein anderes Verständnis von Community als bei langfristigen | |
gemeinschaftlichen Projekten. Communities bei Coliving und Coworking sind | |
zielorientiert. Es geht darum, voneinander zu lernen und gemeinsam | |
Start-ups und Firmen zu gründen. Man möchte voneinander profitieren. Bei | |
Coliving geht es auch um eine Art neuen Tourismus. Junge Menschen kommen | |
für drei, vier Monate nach Berlin und können hier eine Art Community | |
finden, ohne etwa Deutsch zu sprechen. Sie sind Teil einer globalen | |
Gemeinschaft, die sich in sozialen Medien vernetzt. Coliving funktioniert | |
ein bisschen wie soziale Medien. | |
In Berlin gab es bereits Proteste gegen den Coliving-Anbieter Rent24. | |
Dessen Schöneberger Standort liegt direkt neben dem autonomen Jugendzentrum | |
Potse, das die Räume verlassen muss. Es gab Gerüchte, dass Rent24 dorthin | |
expandieren wollte. Rent24 dementierte das. Verschärfen Coliving-Angebote | |
die Raumnot in Berlin? | |
Auf den ersten Blick beschränkt sich Coliving in Berlin noch auf ein paar | |
wenige Angebote. Aber es sind Projekte für die junge, globale Elite. Das | |
verursacht Gentrifizierung, weil diese Menschen die Gegenden aufwerten, in | |
denen sie sich bewegen. Andererseits bieten Coliving Spaces relativ kleine | |
Zimmer zu mittleren bis relativ hohen Preisen an. Räume werden also | |
flächeneffizient genutzt. Bei der Debatte um Wohnungsnot wird oft | |
vergessen, über Flächeneffizienz zu diskutieren. Ich bezweifle, dass die | |
sogenannten digitalen Nomaden nicht nach Berlin kommen würden, wenn es | |
keine Coliving-Angebote gäbe. Sie würden trotzdem kommen und sich auf dem | |
normalen Wohnungsmarkt bedienen. Deshalb verschärfen sie die Wohnungsnot | |
zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Allerdings ist das Phänomen Coliving relativ | |
neu und man kann das noch nicht abschließend beurteilen. Grundsätzlich | |
entschärfen flexible Angebote mit effizienter Flächennutzung die | |
Wohnungsnot aber. | |
Der Anbieter Quarters bietet Zimmer für über 40 Euro pro Quadratmeter an. | |
Ja, das ist teuer. Allerdings ist ja der ganze Service dabei. Und es gibt | |
Gemeinschaftsräume. Woanders ist es viel teurer. Der gleiche Anbieter | |
vermietet auch in New York und Chicago 1- bis 5-Zimmer-Wohnungen, die | |
Preise fangen bei 1.549 Dollar an. In diesen Städten sind die Preise schon | |
in einer völlig anderen Dimension. | |
In Ihrem Buch über „CoHousing Inclusive“ schreiben Sie über partizipatives | |
und inklusives Wohnen. Erfüllt Coliving diese Kriterien? Schließlich | |
ermöglicht es Menschen, unkompliziert an Gemeinschaft und Wohnung zu | |
kommen. | |
Für die internationale Start-up-Szene ist das natürlich ein tolles Angebot. | |
Man kommt einfach unter Leute, die die gleichen Probleme haben. Ich | |
definiere Inklusion aber daran, wie zugänglich ein Ort für | |
unterschiedlichste Menschen ist – unabhängig davon, wie viel Geld sie | |
haben, ob sie einen Migrationshintergrund oder eine Behinderung haben. | |
Coliving-Angebote richten sich an eine sehr spezifische Zielgruppe und sind | |
insofern exklusiv. Sie könnten aber anders, indem sie Räume für soziale | |
Projekte nutzbar machten oder eine bestimmte Anzahl von Wohnungen sozial | |
vermieteten. Was Partizipation angeht: Dieser Begriff wird im Bereich | |
Stadtentwicklung verwendet für Beteiligungsprozesse. Partizipation in | |
diesem Sinne gibt es bei Coliving nicht, denn hier entscheidet das | |
Unternehmen über die Gestaltung des Wohnraums. | |
Sollte sich Coliving durchsetzen, würden dann Arbeit und Freizeit | |
irgendwann nicht mehr unterscheidbar? | |
Die Art und Weise, wie wir arbeiten, verändert sich. Immer mehr große | |
Firmen erlauben und fördern Home Office. Abgesehen davon verlagert sich | |
Arbeit immer weiter in Wohnräume. Es ist spannend, dass manche Projekte | |
Wohnen und Arbeiten bewusst verbinden wollen. Dadurch wird Wohnraum | |
konsequent reduziert und es entstehen vielfältige neue Räume. Ich denke, | |
das ist die Zukunft. | |
Ist diese Entwicklung gefährlich? | |
Teilweise. Freiberufler stellen oft fest, dass sie bei Flexibilität mehr | |
arbeiten und nicht weniger. Aber es ist auch eine Frage des persönlichen | |
Trainings, ob und wie man die eigene Arbeitszeit begrenzt. Dass sich Arbeit | |
in dieser Weise verändert, kann man gut oder schlecht finden. Allerdings | |
ist diese Veränderung insbesondere bei kreativen Berufen bereits Realität. | |
Also ist auch die Verbreitung von Coliving in Berlin unaufhaltsam? | |
Ich kann mir vorstellen, dass es viele werden. Das haben wir bei Coworking | |
auch gesehen. Vor ein paar Jahren hat das mit einem Haus angefangen, heute | |
gibt es in Berlin mehr als 150. Mittlerweile arbeiten hier nicht nur | |
Freiberufler: Es gibt Firmen, die auf Büros verzichten und lieber ein | |
Coworking Space nehmen. | |
Wie sollte die Stadt, die Politik mit dieser Entwicklung umgehen? | |
Die Entwicklung lässt sich vielleicht nicht aufhalten, aber sie lässt sich | |
regulieren: Die Stadt sollte darauf achten, dass lokale Interessen und | |
Entwicklungsstrategien nicht darunter leiden. Sie sollte im Blick bewahren, | |
was in den Nachbarschaften passiert. Verwaltungen sollten mit Investoren | |
kommunizieren und eigene Forderungen stellen. Man kann von ihnen verlangen, | |
dass sie nicht nur für Profit agieren, sondern einen Mehrwert für das | |
Quartier schaffen. | |
Schwerpunkt Coliving am Wochenende in der gedruckten taz | |
12 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
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