# taz.de -- Co-Working-Projekte fernab der Stadt: Homeoffice in der Landkommune | |
> Die Digitalisierung der Arbeitswelt ermöglicht neue Wohn- und | |
> Arbeitsprojekte auf dem Land – eine Chance für demografisch angeschlagene | |
> Regionen. | |
Bild: Eine Stunde und 40 Minuten bis in die Berliner City: Bahngleise in Prötz… | |
BERLIN taz | Die Pendeldistanzen entscheiden mit über das eine oder andere | |
alternative Wohnprojekt auf dem Land. Der Hof Prädikow im Dorf Prötzel zum | |
Beispiel ist eine gute Autostunde vom Berliner Zentrum entfernt, jedenfalls | |
wenn kein Stau ist. Eine Stunde und 40 Minuten dauert die Fahrt mit Bus und | |
S-Bahn in die Innenstadt. Man könnte von Pendler-Einzugsgebiet sprechen. | |
Philipp Hentschel, 36, bald Bewohner auf dem Hof, sieht das anders. „Wenn | |
man täglich pendeln muss, ist nichts gewonnen“, sagt Hentschel, Manager für | |
Onlineprojekte. | |
Auf dem ehemaligen Vierseithof im Nordosten von Berlin sollen nach und nach | |
40 Erwachsene mit 25 Kindern hinziehen, erzählt Hentschel. Viele davon | |
arbeiten selbstständig und digital und können daher auch von einem Computer | |
auf dem Land aus tätig sein. Die BewohnerInnen gehen davon aus, in der | |
Woche lediglich nur einen bis vier Tage wegen der Arbeit nach Berlin | |
pendeln zu müssen, schildert Hentschel. Im Projekt gibt es unter anderem | |
Fotografen, Architekten, aber auch Handwerker und Leute in Pflegeberufen, | |
die vor Ort Aufträge und Arbeit finden können. | |
Welche Arbeits- und Einkommensmodelle die Leute haben, spielt eine wichtige | |
Rolle in den neuen [1][alternativen Wohnprojekten] auf dem Land. Das | |
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung und der Beratungsverein | |
Neuland 21 haben 18 dieser Projekte in den neuen Bundesländern | |
[2][untersucht,] wobei der Schwerpunkt auf Projekten lag, deren Mitglieder | |
im digitalen Bereich tätig sind. Die Ergebnisse der Studie unter dem Titel | |
„Urbane Dörfer“ wurden am Montag in Berlin vorgestellt. | |
„Dass junge Kreative und digital affine Städter das Land für sich | |
entdecken, birgt für demografisch angeschlagene Regionen eine große | |
Chance“, sagte Silvia Hennig, Gründerin von [3][Neuland 21]. Im Gegensatz | |
zu Aussteigermodellen im Westen vor 50 Jahren, wo junge Leute Landkommunen | |
gründeten und dort dann Musik machten, Silberschmuck bastelten, Kneipen | |
eröffneten oder ihr Erbe verballerten, setzen die neuen Projekte auf | |
Menschen in bürgerlichen Berufen mit Homeoffice-Modellen dank Internet. | |
„Die digitale Arbeit ist der Umzugshelfer“, sagte Reiner Klingholz, | |
Direktor des Berlin-Instituts. | |
## Schmerzgrenze 1,5 Stunden | |
Hennig machte vier Typen aus bei den neuen Landbewohnern, von denen die | |
Mehrzahl AkademikerInnen sind. Viele arbeiten digital im Homeoffice, | |
andere sind ÄrztInnen, HeilpraktikerInnen, LehrerInnen, die auch auf dem | |
Land gebraucht werden. Einige machen sich selbstständig, gründen ihr | |
eigenes Unternehmen, und eine Gruppe pendelt trotz der großen Distanzen | |
täglich in die Stadt zum Arbeiten. Anderthalb Stunden Fahrzeit in die | |
Metropole sei für viele der zugezogenen Landbewohner die „Schmerzgrenze“, | |
so Hennig. Viele der untersuchten Projekte befinden sich in dieser Distanz | |
von Berlin. | |
Die hohen Mietpreise in Städten wie Berlin sind dabei ein starker | |
Push-Faktor. „Steigen die Preise, treibt dies die Leute nach draußen“, | |
sagte Hennig. Die „Familienwanderer“, die bedingt durch den Nachwuchs | |
hinausziehen ins Grüne, machen dabei einen gewichtigen Teil der | |
Stadtflüchtigen aus. | |
Entscheidend für die Wohn- und Arbeitsprojekte ist aber der Wille zum | |
Kollektiv, die ländlichen Digitalarbeiter suchten den „Kontakt zu | |
Gleichgesinnten“, heißt es in der Studie. Diese Umzugswilligen | |
interessierten sich für alte und baufällige Gebäude, etwa stillgelegten | |
Fabriken, Höfe, Schulen, viele im Ortskern. Damit könnten sie ein | |
Glücksfall sein für die „Donut-Dörfer“, deren Ortskern verfällt, währe… | |
Grün drumherum Einfamilienhäuser aus dem Boden sprießen. | |
Die Finanzierung beruht unter anderem auf Genossenschaftsmodellen. Wer etwa | |
auf den Hof Prädikow einziehen will, muss eine Einlage leisten und eine | |
Miete zwischen 8 und 10 Euro nettokalt pro Quadratmeter zahlen, berichtet | |
Hentschel. Ein billiges, komfortables Wohnmodell sind die neuen | |
Kollektivprojekte sicher nicht. Hentschel: „Da steckt unglaublich viel | |
ehrenamtliche Arbeit drin.“ | |
Auf dem Hof pflegt man jetzt schon den Kontakt zu Einheimischen. Demnächst | |
lädt man zum Dorffest in der alten Scheune ein, das es so dort schon lange | |
nicht mehr gegeben hat. | |
13 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://zukunftsorte.org/die-mission | |
[2] https://www.berlin-institut.org/publikationen/studien/urbane-doerfer.html | |
[3] https://neuland21.de/ | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
## TAGS | |
Arbeit | |
Digitalisierung | |
Stadt | |
Land | |
Wahlen in Ostdeutschland 2024 | |
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
Schwerpunkt Landtagswahl 2019 in Brandenburg | |
Arbeitswelt | |
Wohnen | |
Mietenwahnsinn | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Trans Ministerin über Taiwan: „Ich erteile keine Befehle“ | |
Als erste trans Ministerin weltweit: Audrey Tang war Programmiererin, bevor | |
sie sich überreden ließ, in Taiwan Digital-Ministerin zu werden. | |
200 Jahre altes Missverständnis: Die Oleander-Legende | |
Fontane berichtete einst von wunderbaren Oleander-Bäumen in Lübben. Die | |
Stadt nutzt den Mythos zum Marketing. Es gab sogar einen Oleander-Flashmob. | |
Neue Wohnformen in Berlin: Was ist das für 1 Co-Life? | |
Ist Coliving die Wohnform der Zukunft? Oder nur eine weitere | |
Investorenidee, um mit Wohnraum möglichst viel Geld zu verdienen? Eine | |
Forschungsreise. | |
Neue Wohnformen in Berlin: „Coliving-Angebote sind exklusiv“ | |
Die Stadtforscherin Larisa Tsvetkova untersucht gemeinschaftliche | |
Wohnprojekte. Im Interview erklärt sie, was an Coliving wirklich neu ist. | |
Die Wochenvorschau für Berlin: Drängende soziale W-Frage | |
Die Immobilienwirtschaft berät, wie sie ihre Interessen durchsetzen kann. | |
Und die SPD diskutiert darüber, wie soziale Wohnpolitik für Berlin geht. |