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# taz.de -- Neue Wohnformen in Berlin: Was ist das für 1 Co-Life?
> Ist Coliving die Wohnform der Zukunft? Oder nur eine weitere
> Investorenidee, um mit Wohnraum möglichst viel Geld zu verdienen? Eine
> Forschungsreise.
Bild: Tisch-Accessoire im Rent24: frohe Botschaften mit subtilem Hintergedanken?
Berlin taz | Federico Sansone steht in der Küche des Quarters in Moabit und
wartet auf seine Colivers. Der Norditaliener hat einmal in der Werbebranche
gearbeitet. Jetzt ist er Community-Manager in dem Coliving-Haus. Ein
Bewohner, der neben ihm hinter der grauen Kücheninsel steht, möchte noch
schnell auf sein Zimmer. Federico bittet ihn, den anderen Bescheid zu
geben. Denn es ist Donnerstag. Im Quarters heißt das: Community-Event.
Community-Manager Federico hat Bier gekauft und Pizza bestellt.
Was macht ein Community-Manager? Federico: „Ich bin für die Community
zuständig.“ Wenn Bewohner etwas brauchen, die Spülmaschine kaputt ist oder
an Abenden wie diesem, wenn man erst mal alle zusammentrommeln muss – dann
kümmert Federico sich.
Das Quarters passt auf den ersten Blick nicht ins Moabiter Straßenbild, das
an Kreuzberg und Neukölln vor der Gentrifizierung erinnert. Der
minimalistische graue Neubau versteckt sich hinter einer
sanierungsbedürftigen Häuserfassade und einer Spielhalle in einem
Hinterhof. Hier also wohnen Menschen aus aller Welt, die für sich
beanspruchen, anders zu wohnen, zu leben, zu denken. Anders ist zumindest,
dass sie die Türen mit dem Smartphone abschließen können. Und dass sie über
eine Bewohner-App kommunizieren.
Das Quarters ist ein Coliving-Haus. Coliving bedeutet Zusammenleben.
Eigentlich nichts Neues: Wohngemeinschaften gibt es schon lange. Coliving
ist inspiriert von Coworking, also gemeinschaftlich genutzten
Arbeitsplätzen. War das Großraumbüro mit Neonlicht einst Inbegriff des
langweiligen Angestelltenlebens, rücken Freiberufler und unabhängig
Arbeitende heute wieder enger zusammen – in Coworking-Spaces, die an
Großraumbüros erinnern.
## Der Gedanke der Gemeinschaft
Coliving soll der nächste Schritt in dieser Entwicklung sein. Diejenigen,
die zusammen arbeiten, sollen auch zusammen wohnen. Was das Coliving neu
macht, ist allerdings das eigene Verständnis von Gemeinschaft, „Community“,
wie es bei den Colivers heißt. Quarters definiert seine Zielgruppe so:
„Junge Berufstätige aus der Generation der Millenials und der Generation Y,
die modern, flexibel und zentral leben, aber gleichzeitig Teil einer
Gemeinschaft und untereinander vernetzt sein wollen. In den
Quarters-Häusern steht der Gemeinschaftsgedanke im Vordergrund.“
Schon 1930 kritisierte der Journalist und Soziologe Siegfried Kracauer in
„Die Angestellten“ eine bestimmte Idee von Gemeinschaft bei der Arbeit. Er
analysierte betrieblich geförderte Gemeinschaft, etwa durch Betriebssport,
und dass die Beschwörung von Gemeinschaft im Betrieb vom gemeinsamen
Interesse der Lohnabhängigen ablenken solle. Die Gemeinschaftsbeschwörung
der Arbeitgeber ziele auf Produktivität, nicht auf höhere Löhne und kürzere
Arbeitszeiten. Kracauers Fazit: „Wenn so jeder für sich stehen muß, ist die
Gemeinschaft ein Schein.“
Würde er die Freiberufler von heute analysieren, würde er wohl resümieren,
dass es der Beschwörung durch die Arbeitgeber nicht mehr bedarf. Und würde
vielleicht schreiben: Der Zwang zur betrieblichen Gemeinschaft muss heute
nicht von oben beschworen werden, die modernen Erwerbstätigen haben ihn
internalisiert.
Im Quarters ist Nicolas Reitmeier Teil der Gemeinschaft. Er stellt sich als
„Nick“ vor, auf Englisch, obwohl er aus Hessen kommt. Beim Community-Event
erscheint der 29-Jährige mit müden, aber glücklichen Augen, in Jogginghose
und einer bunten Jacke: Er habe den ganzen Tag gearbeitet, erzählt er. Nick
ist der einzige Bewohner, der auch im Haus arbeitet. Die anderen arbeiten
in umliegenden Coworking Spaces oder in den Räumen ihrer Unternehmen.
Während die anderen Mojito und Bier trinken, nippt Nick nur einmal am
Cocktail, um zu probieren. Eigentlich trinke er gar nicht: Das sei
ineffizient, wegen des Katers am nächsten Morgen.
## Kapitalismus, aber sozial
Reitmeier arbeitet eigentlich für den Unternehmensberatungsriesen
PriceWaterhouseCoopers, dem Wirtschaftsprüfer von DAX-Unternehmen wie
Bayer. Er hat BWL studiert und entwickelt Innovationsstrategien. Wirklich
wichtig ist ihm aber etwas anderes: Die bunte Jacke, die er trägt, ist
nicht irgendeine Jacke. Es ist das Produkt eines seiner Start-ups: Jacken,
die von indigenen Frauen in Guatemala gestrickt werden und die er weltweit
vermarkten möchte. Die Frauen könnten dann mehr Geld verdienen, zehn
Prozent des Erlöses würden an soziale Projekte gehen. „Social impact“ nen…
Reitmeier das oder „social entrepreneurship“, soziales Unternehmertum.
Reinen Kapitalismus findet er blöd. Berlin sei nicht wie Silicon Valley,
sondern ein Ort der „Hippie-Techszene“: eine Gemeinschaft von jungen
Leuten, die beim großen Spiel mitspielten, aber mit sozialem Bewusstsein
und Willen zur Veränderung. Den idealen Kapitalismus stellt sich Nick wie
ein Fußballspiel vor: „Es wird 90 Minuten gespielt, dann wird abgepfiffen
und umverteilt. Und dann geht das Spiel von vorne los.“
Genau das will er verwirklichen. Das Projekt mit den Jacken werde bald mit
einer Crowdfunding-Aktion beginnen. Die Idee, erzählt er, wurde im
Wohnzimmer des Quarters geboren, im Gespräch mit einem guatemaltekischen
Mitbewohner. Dafür ist Reitmeier dem Quarters dankbar. Wer ins Quarters
zieht, muss hier mindestens drei Monate lang wohnen, danach kann jederzeit
ausgezogen werden. Reitmeier lebt schon über ein Jahr im Quarters. Und er
möchte noch ein bisschen bleiben. Für ihn ist Coliving die Zukunft, global
und in Berlin.
Seine Fantasie reicht weiter: „Stell dir mal vor, dass ganze Familien so
zusammenleben würden.“ Die könnten sich dann eine Nanny teilen und sich den
wichtigen Dingen des Lebens widmen: Innovation, Vermarktung und „social
impact“.
## Die Coliving-Anbieter expandieren
Auch die Geldgeber glauben an die Zukunft dieser Form des Zusammenwohnens:
Quarters bezeichnet sich als „führenden Co-Living-Anbieter in Europa und
den USA“. Das Unternehmen ist eine Marke der Medici Living Group. Es bietet
weltweit 1.800 Coliving-Betten an, darunter auch in New York und Chicago.
Das Haus in Moabit wurde 2016 gebaut und beherbergt 45 Einwohner in neun
Wohnungen mit je fünf Zimmern. In den Wohnungen gibt es eine gemeinsame
Küche. Die Zimmer sind 10 bis 13 Quadratmeter groß und kosten monatlich 539
bis 589 Euro. Sie sind möbliert, wenn auch spartanisch: Bett, Schreibtisch,
Kleiderregal. Inklusive sind weitere Gemeinschaftsräume und
Gemeinschaftsereignisse.
Für das zweite Quartal des Jahres kündigt das Unternehmen ein weiteres
Coliving-Haus nahe der U-Bahn-Station Frankfurter Tor in Friedrichshain an.
Ein Haus in Mitte soll folgen. Medici Living arbeitet mit dem
Immobilien-Investmentmanager Corestate Capital zusammen. Gemeinsam legten
beide ein Investitionsprogramm von einer Milliarde Euro für den Bereich des
Coliving auf. Nach eigenen Angaben ist das die bisher größte Investition
auf dem Coliving-Markt.
Kai Drwecki, 29 Jahre alt, spielt in einer anderen Liga. Drweckis
Coliving-Angebot Happy Pigeons, „Glückliche Tauben“, im Prenzlauer Berg ist
viel kleiner. Die Versprechen sind ebenso wie der Ort unaufgeregter,
unaufgeregt ist auch Betreiber Drwecki.
Gemeinsam mit seinem Bruder Marc betreibt er in der Erich-Weinert-Straße 78
zwei Wohnungen mit fünf Zimmern und einem angeschlossenen Coworking-Space.
Ein zweites Haus in Charlottenburg hat auch fünf Zimmer. Die Brüder
betrieben das Coliving, weil es ihnen Spaß mache, sagt Drwecki: „Der Gewinn
steht bei uns nicht im Vordergrund.“ Er konkurriere nicht mit den Großen:
„Bei denen geht es um Rendite.“
## Gründerinnen, Designerinnen oder Fotografen
Trotzdem spiele der Betrieb einen kleinen Gewinn ein, auch wenn der den
Brüdern noch kein Gehalt ermögliche. Seine Firma wolle natürlich auch
wachsen, „aber wir sind klein, jeder kennt hier jeden“, sagt Drwecki. Immer
montags findet hier Stretching, jeden Mittwoch Yoga statt, offen auch für
die Nachbarschaft, auf Spendenbasis. Die Einbettung in den Kiez ist Drwecki
wichtig.
Die Mieten müssten den Coworking Space und die Community-Veranstaltungen
wie den Yoga-Kurs querfinanzieren. Das Startkapital für ihr Projekt haben
die Brüder von ihren Eltern bekommen, die in der Immobilienbranche tätig
waren. 2017 hat alles angefangen mit einer Testwohnung im Prenzlauer Berg.
Zu den bisherigen Wohnungen kommt im Mai 2019 eine Vierzimmerwohnung im
selben Haus in Prenzlauer Berg dazu.
Die fünf Bewohner des Happy Pigeons in Prenzlauer Berg sind zwischen 24 bis
39 Jahre alt. Nur einer ist Berliner. Sie sind Gründerinnen, Designerinnen
oder Fotografen. Anders als im Quarters arbeiten viele von ihnen auch im
hauseigenen Coworking Space. Die Zimmer bei Happy Pigeons sind zwischen 19
und 35 Quadratmeter groß und kosten im Prenzlauer Berg 620 Euro im Monat,
in Charlottenburg 550 Euro. Coworking Spaces gibt es für monatlich 75 Euro.
Auch hier gilt die Regel: Mindestaufenthaltsdauer drei Monate. Drwecki
erzählt, dass die Nachfrage das Angebot übertreffe. Und dass Bewerber einen
Bewerbungsprozess durchlaufen müssten.
Der Coworking-Bereich ist ein ehemaliges Ladengeschäft, die Frühlingssohne
strahlt durch die große Schaufensterscheibe auf drei junge Menschen, die an
ihren Laptops sitzen. Auf die Toilettenwand hat jemand mit Kreide auf
Englisch gekritzelt: Welches Tier würdest du gerne sein? Auf einer Tafel an
der Küchenwand steht – ebenfalls mit Kreide – ein Wochenplan. Darunter die
Aufgabenliste der Woche: Bei Drwecki steht: „Visibility of coworking on
google“. Eine andere Bewohnerin möchte diese Woche einen Designer für ein
Projekt finden.
## Viele Menschen, keine Gemeinschaft
Auch hier isst man gerne zusammen, auch hier wird das als Community-Event
bezeichnet – im Gespräch scheint es aber manchmal so, als sei Drwecki diese
Sprache zuwider. Die Räume wirken wie in einer stinknormalen WG – eine WG,
die überdurchschnittlich und gerne mit Kreide kommuniziert.
Gleichzeitig ist schwer zu sagen, ob diese Bodenständigkeit nicht schon
Teil des Marketings ist. Was ist also der Unterschied zu einer normalen WG?
Die „community“, sagt Drwecki, und „unsere Werte“. Dazu gehören laut d…
Happy-Pigeons-Webseite „Aufgeschlossenheit und eine proaktive und
freundliche Atmosphäre“. Drwecki ergänzt:„Freunde und Kontakte, die einen
weiterbringen.“
Und wieso macht er das, wenn er davon nicht reich wird? Drwecki ist ein
großer, schlanker Mann, der viel lächelt und einen Wollpulli mit roten,
gelben, grünen Mustern trägt. Er sitzt in der Küche an einem großen
Küchentisch aus hellem Holz, vor ihm auf dem Tisch steht ein Glas
Ingwertee. Auf der Internetseite von Happy Pigeons finden sich Steckbriefe
von ihm, seinem Mitbetreiber und den Bewohnern. Bei Drwecki steht, dass
Teetrinken zu seinen Hobbys gehört.
Drwecki erzählt von einem Auslandssemester im französischen Grenoble, wo er
in einem Studentenwohnheim gelebt hat. Dort hätten so viele Menschen
gewohnt, aber eben alle für sich alleine. Das habe ihn bedrückt. Da sei die
Projektidee entstanden. Über Grenoble schreibt er auf der Website: „Many
people – no community“. Das ist der Gründungsmythos von Happy Pigeons.
Trotz vieler Unterschiede zum Quarters, wo Nick Reitmeier lebt: Dessen
Idealismus ist auch bei Happy Pigeons ein Motiv. Geworben wird mit Zitaten
wie dem des Tesla-Chefs Elon Musk: „I think it matters whether someone has
a good heart.“ Musk ist das Vorbild einer technologieaffinen Community; ein
Idol für die Colivers. Bevor Drwecki das Coliving gegründet hat, hat er im
Familienbetrieb gearbeitet. Das hat ihn nicht erfüllt. Das Coliving-Projekt
ist für ihn mehr als Arbeit. Drwecki will die Welt verändern, so wie
Reitmeier. Sie sind Teil einer jungen, digitalen Gemeinschaft, die sich von
der reinen Profitmaximierung abgrenzen, sozialen Mehrwert schaffen will.
Tatsächlich glaubten auch Marxisten einmal, das neue Zeitalter der
Informationsgesellschaft würde neue Voraussetzungen für eine Revolution
schaffen: die sogenannten Postoperaisten, die sich in Anlehnung an eine
soziale Bewegung im industrialisierten Norditalien der 1960er und 70er
Jahre so nannten. Michael Hardt und Antonio Negri veröffentlichten zum
Jahrtausendbeginn ihr Buch „Empire“. Darin schrieben sie von immaterieller
Arbeit, also Kopf- und Kreativarbeit, die die körperliche zunehmend ablösen
würde.
Weil damit auch die Produktionsmittel von der Fabrik in die Köpfe der
Einzelnen wanderten, eigneten sich die Lohnabhängigen diese langsam, aber
sicher an – und damit auch die Macht der Kapitalisten. Die neue moderne
Arbeiterschaft müsse sich dessen nur bewusst werden – und die Verhältnisse
dann umwälzen.
Knapp zwanzig Jahre nach dem Erscheinen des Buches haben sich die
Verhältnisse nicht grundsätzlich geändert. Die Ökonomie scheint sich die
Köpfe der Einzelnen zu eigen gemacht zu haben. Und auch deren Erzählung der
Weltveränderung.
## Im Konflikt mit autonomen Jugendzentren?
Wenn man Rent24 mit den Idealisten bei Quarters und Happy Pigeons
vergleicht, könnte man sagen: Rent24 ist einfach ehrlich. Seine Häuser sind
größer, die Einrichtung pompöser, hier hängen die schriftlichen
Lebensweisheiten eingerahmt an den Wänden – „Lebe dein Leben. Und riskiere
alles. Nutze die Chance. Fordere dich immer neu heraus. Wachse durchs
Leben“. Oder sie kleben in der Küche am Kaffeeautomaten – „I love it when
the coffee kicks in and I realize what an adorable badass I’m going to be
today.“Es sind Sprüche, die cool klingen, aber subtil Druck ausüben: Du
musst funktionieren, erfolgreich sein! Da hilft es auch nicht, wenn Rent24
damit wirbt, dass es in seinem Haus „um eine gesunde Mischung aus Arbeit
und Entspannung“ gehe.
Das Unternehmen ist neben Medici Living einer der Big Player auf dem noch
jungen Berliner Coliving-Markt. In Berlin betreibt Rent24 mehrere Coworking
und drei Coliving-Spaces: in der Potsdamer Straße 182, in der
Karl-Liebknecht-Straße 34 und am Olivaer Platz 8. Der Standort in
Schöneberg stand Ende des Jahres im Fokus, weil nebenan die autonom
verwalteten Jugendzentren Potse und Drugstore weichen mussten. Der
Eigentümer hatte den Mietvertrag mit dem Bezirk nicht verlängert.
Drugstore ging. Die Potse blieb und gab die Schlüssel nicht ab. Die
Jugendlichen waren der Überzeugung, dass sie gehen müssten, weil Rent24
expandiere. Rent24 dementierte. Eine Sprecherin des Unternehmens wiederholt
das beim Besuch im Rent24. Sie sagt, Rent24 wolle Teil der Nachbarschaft
werden.
Rent24 betreibt 55 Standorte auf drei Kontinenten. In der Potsdamer Straße
182 ging es 2016 mit den Coworking-Flächen los, im Mai 2018 eröffnete das
Coliving. Das Haus ist eines mit Geschichte. Es wurde in den 1930er Jahren
erbaut, diente einst als BVG-Zentrale. Heute dient es als Rent24-Zentrale.
Auf den Stockwerken 4 und 5 gibt es 1.500 Quadratmeter Coworking
(Tagespreis ab 10 Euro, Monatsmitgliedschaft ab 50 Euro) und Coliving mit
55 Zimmern (50–75 Euro pro Nacht).
## Grenze zwischen Arbeit und Leben
Es gibt einen Gemeinschaftsraum mit Küche, einen Activity-Raum mit
Tischkicker und Playstation, diverse Besprechungsräume, die man zusätzlich
anmieten kann, einen Sportraum mit Yogaangebot, einen Kinderraum mit
Spielzeug und ein Kino. Es gibt sogar eine Bar mit Balkonen. Bei einer
Zigarette kann man von hier aus den Fernsehturm bestaunen. Die Bar ist so
groß, dass sie den Namen Club verdient hätte. Wenn man hier wohnt und
arbeitet, dann kann man hier auch feiern und seine Freizeit verbringen. Es
gibt kaum etwas, wofür man aus dem Haus gehen müsste.
Hier gibt es also alles; aber eine „Community“, die gibt es nicht. Beim
Community-Dinner, es gibt Pasta mit Gemüsesauce, kommt man hier nicht mit
zwei Dutzend Menschen zusammen wie im Quarters. Man sitzt mit fünf
Mitarbeitern von Rent24 am Tisch – und das internationale Team unterhält
sich über das Angestelltendasein im Rent24. Auch bei der Karaokeparty am
Abend freuen sich vor allem Mitarbeiter über Cocktails zum halben Preis.
Die Geschäftsidee von Rent24 – am selben Ort wohnen, arbeiten, feiern –
wirkt auch am nächsten Morgen wie eine Kopfgeburt von Geschäftsleuten, die
überschüssiges Geld noch irgendwie rentabel investieren wollten. Beim
freitäglichen Community-Frühstück im Coworking Space trifft man junge
Selbstständige, die im Internet Nahrungsergänzungsmittel vertreiben oder
Unternehmen beim Datenmanagement beraten, aber eigene Wohnungen haben und
nur zum Arbeiten hierherkommen. Fragt man sie, ob sie jemanden kennen, der
hier arbeitet und wohnt, sagen sie Nein.
Es gibt im Rent24 auch Beispiele, die allen Befürchtungen, Arbeit und Leben
würden nun untrennbar verschmelzen, widersprechen: Alina Greger, 30 Jahre
alt, gründete mit ihrem Freund ein Unternehmen, mit dem sie
Publikationsprojekte und Autoren bewirbt. Zwei Jahre haben die beiden im
Homeoffice gearbeitet. Irgendwann habe sie dann aber angefangen,
zwischendurch Wäsche zu waschen oder Freunde zu empfangen, erzählt Greger.
Die verlorene Arbeitszeit musste sie dann am Wochenende ausgleichen.
Irgendwann kam die Einsicht: „Es muss sich etwas ändern!“
Seit knapp einem Monat nutzt das junge Unternehmerpaar den Coworking Space
von Rent24. Greger sagt: „In der Zeit, in der wir hier sind, fokussieren
wir auf die Arbeit.“ Sie habe jetzt auch wieder das Gefühl, es gebe ein
Wochenende. Würde sie jemals das Coliving nutzen? „Muss für mich nicht
sein“, sagt Alina Greger.
(Rent24 war der einzige Anbieter, bei dem der Autor für seine Recherche
eine Nacht übernachten durfte.)
22 Apr 2019
## AUTOREN
Volkan Ağar
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