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# taz.de -- Kneipenkollektiv droht Rauswurf: Bald vorbei mit Meuterei
> 2019 ist das Jahr der bedrohten linken Räume in Berlin. Nach dem Syndikat
> und der Potse droht nun dem Kneipenkollektiv Meuterei der Rauswurf.
Bild: Ende Januar meuterten viele Menschen gegen die Verdrängung von Kiezkultur
Berlin taz | Christine Gohlke schiebt einen hölzernen Wagen mit Strohschirm
vor die Reichenberger Straße 58. Es ist ein mobiler Infostand, den sie
gemeinsam mit einer Bekannten gebaut hat. Gohlke und andere haben im Herbst
eine Gruppe gegründet, die „Leute für die Meute“ heißt. Sie wollen
verhindern, dass das Kreuzberger Kneipenkollektiv Meuterei verschwindet.
Heute – es ist Valentinstag – lassen sie Helium in rote herzförmige
Luftballons und binden diese an den Wagen, informieren Passanten und
sammeln Unterschriften für den Erhalt der Kneipe. Seit fast zehn Jahren
gibt es die Meuterei. Jetzt soll sie weg, denn der Gewerbemietvertrag läuft
Ende Mai aus, und der Vermieter will nicht verlängern. Hinter dem Tresen
hängt eine rote LED-Anzeige an der Flaschenvitrine, auf der die Zahl 106
leuchtet. Es ist ein Countdown: noch 106 Tage, bis die Meuterei rausmuss.
Das Kreuzberger Kneipenkollektiv ist in bester Gesellschaft: 2019 ist in
Berlin bislang das Jahr der bedrohten linken Räume. Die Neuköllner
Szenekneipe Syndikat hat keinen Mietvertrag mehr und verweigerte zu
Jahresbeginn eine Schlüsselrückgabe, ähnlich ist es beim autonomen
Jugendzentrum Potse in Schöneberg. Gegen das Syndikat ist bereits eine
Räumungsklage eingereicht, der Schöneberger Jugendstadtrat wollte die Potse
zunächst nicht räumen lassen, jüngsten Berichten zufolge will er das jetzt
wohl doch – und nun also auch noch die Meuterei?
Die Kneipe sei mehr als nur ein Ort für günstige Getränke, sagt Gohlke. Sie
hat die Meuterei als Stadtteilarbeiterin kennengelernt: „Die Meuterei
übernimmt viele Aufgaben in diesem Kiez“. Zweimal im Monat findet dort eine
Sozial- und Mietrechtsberatung statt. Die Kneipe ist zudem ein wichtiger
Nachbarschaftstreffpunkt, an dem sich Initiativen organisieren.
Auch für Kim Archipova, Kunstlehrerin, ist die Meuterei ein Ort des
politischen Handelns. Sie engagiert sich ebenso für den Erhalt und hat die
Kollektivkneipe als politische Aktivistin kennengelernt: Als sie mit der
Nachbarschaftshilfe Ohlauer Straße die Flüchtlinge in der besetzten
Gerhart-Hauptmann-Schule unterstützte, waren die Räume ein Ort, an dem man
sich zurückziehen, organisieren und besprechen konnte.
## Wohnungsbesitzer wollen keine Kneipe unter sich
Archipova wohnt seit den Achtzigern im Kiez. Früher habe es hier auch
andere Orte gegeben, wo Menschen einfach zusammenkamen, egal wie viel Geld
sie hatten. Viele Räume seien leise verschwunden. Was stattdessen kam?
„Coworking Spaces“. Archipova sagt: „Orte, die Teilhabe und
gemeinschaftliches Arbeiten auf ihre Fahnen schreiben, aber das passiert
dort auf kommerzialisierter Basis.“
2011 kaufte die Firma Zelos Properties GmbH mit Sitz im brandenburgischen
Zossen die Reichenberger Straße 58. Das Haus wurde aufgeteilt, die
Wohnungen wurden saniert und weiterverkauft. Auch die Meuterei sollte weg.
Das Kollektiv schreibt auf seiner Website, dass es nach einer Kündigung zum
Rechtsstreit kam, den die Meuterei gewann. Die Kneipe konnte erst mal
bleiben mit einem Vertrag, der Ende Mai 2019 ausläuft.
Der taz gegenüber gibt sich der Geschäftsführer Goran Nenadic höflich und
auskunftsfreudig. Er sei mit den Meuterei-Betreibern in freundlichem
Kontakt, habe ihnen angeboten, das Gewerbe selbst zu kaufen, und bereits
per Mail einen Preis mitgeteilt, sagt er. Die Auskunftsfreudigkeit endet
bei der Frage nach dem konkreten Preis. Ist es ein Preis, den das
Kneipenkollektiv entbehren kann? „Ich bestimme nicht den Markt. Ich bin nur
eine kleine Schraube im Marktgeschehen“, sagt Nenadic.
Ein Kollektivmitglied der Meuterei, das seinen Namen nicht in der Zeitung
lesen will, erzählt von einem Treffen mit Nenadic im September: „Ein
junger, adretter Typ, der freundlich und nett war.“ Nenadic sei für das
Gespräch in die Meuterei gekommen und habe sogar darauf bestanden, seinen
Tee zu bezahlen. Er habe vor allem mit den Wohnungseigentümern
argumentiert, die keine Kneipe unter sich haben wollten. Sie bestätigen,
dass Nenadic dem Kollektiv angeboten hat, den Laden selbst zu kaufen –
allerdings zu einem für das Kollektiv unbezahlbaren Preis.
Es wäre nicht das erste Mal, dass Zelos Properties GmbH eine linke Kneipe
verdrängt: Im Herbst 2012 kaufte die Firma die Torstraße 69, in dem das
Baiz einst sein Zuhause hatte. Im Februar 2014 musste es raus. Die Kneipe
fand neue Räume.
Einen Umzug könnte auch die Meuterei sich vorstellen, wie ein
Kollektivmitglied sagt. Weit weg gehe aber nicht, man habe schließlich eine
Kiezbindung: „Wir können nicht einfach nach Lichtenberg-Süd.“ Aber ein
Umzug im Kiez erscheint den Kollektivmitgliedern als unwahrscheinlich. Die
Kommerzialisierung des Kiezes, schon zu weit vorangeschritten. Die
LED-Anzeige zeigt mittlerweile nur noch 100 verbleibende Tage an.
## „Mit wehenden Fahnen untergehen“
Auf Wunder hofft hier niemand mehr, auch nicht auf politische Hilfe –
selbst in einem Bezirk, in dem der grüne Baustadtrat Florian Schmidt
Investoren ärgert. Der Kollektivsprecher sagt dazu: „Politiker wollen
Wahlen gewinnen.“ Er fügt zumindest hinzu: „Wenn der gute Baustadtrat was
tun will, dann soll er das. Wir werden ihn nicht darum bitten.“
Den Glauben hat die Meuterei trotz allem noch nicht verloren. Ganz in ihrer
Nähe musste kürzlich mit Google ein Riese seine Investitionspläne aufgeben
– nicht wegen der Politiker, sondern wegen der vielen Menschen, die vor dem
geplanten Campus protestiert haben.
Unterstützer werden weiter mit dem mobilen Infowagen durch den Kiez fahren,
das Kollektiv wird weitere Gespräche führen. Und wenn alle Stricke reißen,
heißt es in einem Flyer der Meuterei, will man „mit wehenden Fahnen
untergehen“.
24 Feb 2019
## AUTOREN
Volkan Ağar
## TAGS
Verdrängung
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