# taz.de -- Debatte Parität im Parlament: Die Axt an der Freiheit | |
> In den Parlamenten sitzen zu wenige Frauen. Ein Paritégesetz wie in | |
> Brandenburg ist aber der falsche Weg, diesen Missstand zu bekämpfen. | |
Bild: Nicht nur in Brandenburg hinken die Frauen bei der Besetzung politischer … | |
Das [1][Paritégesetz Brandenburgs], das Parteien dazu verpflichtet ihre | |
Wahllisten paritätisch mit Männern und Frauen zu besetzen, hat in der | |
linken und liberalen Öffentlichkeit ein überwiegend positives Echo | |
gefunden. Die taz [2][verglich es mit der Einführung des Frauenwahlrechts] | |
vor 100 Jahren und bezeichnete es als „Meilenstein für die deutsche | |
Politik“. Ein Meilenstein ist dieses Gesetz gewiss, allerdings einer auf | |
dem Weg zur Aushöhlung politischer Gleichheit als demokratischen | |
Grundprinzips. | |
Die positiven Kommentare zum Brandenburger Gesetz weisen in der Regel | |
darauf hin, dass der Anteil von Frauen in den deutschen Parlamenten | |
deutlich unter 50 Prozent liegt, im Bundestag sogar bei der letzten Wahl | |
wieder leicht auf nun 30,9 Prozent gesunken ist. Dies lässt sich mit guten | |
Gründen als ein zu bekämpfender Missstand sehen. | |
Aber ist es legitim und politisch richtig, ihn zu beseitigen, indem man die | |
Parteien per Gesetz verpflichtet, ihre Listen paritätisch mit Männern und | |
Frauen zu besetzten? Der damit verbundene Eingriff in die demokratische | |
Willensbildung der Parteien und damit indirekt auch in die Wahlfreiheit der | |
Bürger wird in der Regel mit dem Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes | |
gerechtfertigt. Vor allem ein Satz in Artikel 3 des Grundgesetzes wird | |
hierfür herangezogen. Er lautet: „Der Staat fördert die tatsächliche | |
Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf | |
die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ | |
Nun ließe sich darüber streiten, ob dieser Satz tatsächlich den staatlichen | |
Auftrag enthält, in allen gesellschaftlichen Bereichen eine strikte | |
Geschlechterparität durchzusetzen. Schließlich steht der Artikel 3 unter | |
der Überschrift „Gleichheit vor dem Gesetz“. Gleichberechtigung verbietet | |
mit Sicherheit Benachteiligung und Diskriminierung. Ob sie Parität in allen | |
gesellschaftlichen Bereichen verlangt, ob also etwa alle Stellen im | |
Erziehungs- und Bildungsbereich oder alle Technikerstellen zu jeweils 50 | |
Prozent mit Männern und Frauen zu besetzen sein müssten, dürfte | |
gesellschaftlich, rechtlich und politisch höchst umstritten sein. | |
## Aufgelöst in Gruppenzugehörigkeiten | |
Bei Parlamentswahlen haben wir es jedoch mit einem anderen Fall zu tun. | |
Hier geht es [3][um die politische Repräsentation der Gesellschaft] und | |
damit auch um die Verteilung von Machtpositionen. Darauf bezogen, lautet | |
die Argumentation, das Parlament sollte gerechterweise die Zusammensetzung | |
der Bevölkerung widerspiegeln. Die ehemalige Verfassungsrichterin Christine | |
Hohmann-Dennhardt [4][formulierte gerade erst in der Süddeutschen Zeitung], | |
Frauen wollten sich „als die eine Hälfte des Volkes im Parlament | |
entsprechend repräsentiert sehen“. | |
Ein solches Plädoyer für eine die Struktur der Bevölkerung möglichst genau | |
widerspiegelnde Repräsentation im Parlament wirft selbstverständlich die | |
Frage auf, warum sie nur für Frauen gesetzlich durchgesetzt werden sollte, | |
nicht aber auch für andere benachteiligte Gruppen. Die amerikanische | |
Feministin Iris Marion Young forderte deshalb für die USA auch bereits in | |
den 1990er Jahren besondere Repräsentationsrechte für eine lange Reihe | |
historisch unterdrückter Gruppen: für „women, blacks, Native Americans, | |
Chicanos, Puerto Ricans and other Spanish-speaking Americans, Asian | |
Americans, gay men, lesbians, working-class people, poor people, and | |
mentally and physically disabled people“. | |
Die Konsequenz, mit der Young ihre Konzeption von Gruppenrepräsentation und | |
differenzierter Staatsbürgerschaft ausbuchstabiert, enthüllt zugleich deren | |
Kehrseite: Die rechtliche und politische Gleichheit, auf der moderne | |
Demokratien basieren, wird aufgelöst in Gruppenzugehörigkeiten. | |
Anders als in traditionalen Gesellschaften entsteht mit der modernen | |
Demokratie eine politische Ordnung, die nicht mehr der Ordnung der | |
Gesellschaft entspricht. Die Gleichheitsordnung bildet hier einen eigenen, | |
gewissermaßen künstlich geschaffenen Bereich, in dem Konflikte unter | |
Abstraktion von gesellschaftlichen Hierarchien politisch, das heißt durch | |
Diskussionen und letztlich durch Wahlen und Abstimmungen, entschieden | |
werden. | |
Gewiss hebt die rechtliche und politische Gleichheit, wie schon vor mehr | |
als 150 Jahren Marx kritisierte, die weiterbestehenden gesellschaftlichen | |
Ungleichheiten nicht auf. Die Arbeiter blieben Arbeiter, auch als sie das | |
allgemeine und gleiche Wahlrecht erkämpft hatten. Ihre Parteien konnten | |
jedoch, sofern sie Mehrheiten gewannen, über Arbeitsgesetze, | |
Bildungspolitik und staatliche Umverteilung auf den Abbau dieser | |
Ungleichheiten hinwirken. Und grundsätzlicher: Gerade die Abstraktion von | |
weiterbestehenden gesellschaftlichen Ungleichheiten schafft einen Bereich, | |
in dem sich Menschen als Gleichberechtigte begegnen und frei entscheiden | |
können. Deshalb setzt er auch eine Handlungslogik frei, die derjenigen von | |
Markt und Herrschaft entgegensteht. | |
So steht es politischen Parteien selbstverständlich frei, Maßnahmen zu | |
fordern, mit denen existierende Diskriminierungen beseitigt und Hindernisse | |
für eine politische Repräsentation benachteiligter Gruppen abgebaut werden | |
sollen. Eine Partei kann auch beschließen, mehr Kandidatinnen als | |
Kandidaten zur Wahl zu stellen – ein Recht, das die Grünen seit Jahren so | |
wahrnehmen. | |
Ein Gesetz jedoch, das es Parteien verbietet, zur Wahl zu stellen, wen sie | |
wollen, und ihnen vorschreibt, in welchem Umfang sie bestimmte | |
Bevölkerungsgruppen auf ihre Listen zu setzen haben, beschränkt die | |
demokratische Willensbildung der Parteien und die Wahlfreiheit der Bürger. | |
Es regelt die Zusammensetzung des Parlaments zunächst in einer, potenziell | |
jedoch in vielerlei Hinsichten statt durch Wahlentscheidungen durch | |
gesellschaftlichen Proporz. Damit legt es die Axt an den Kernbereich | |
politischer Gleichheit und Freiheit. | |
21 Feb 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Brandenburg-will-Wahllisten-quotieren/!5566925 | |
[2] /Kommentar-Quotierte-Wahllisten/!5566752 | |
[3] /SPD-Fraktionschefin-ueber-Maenner/!5565076 | |
[4] https://www.sueddeutsche.de/politik/aussenansicht-parite-1.4322053 | |
## AUTOREN | |
Winfried Thaa | |
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