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# taz.de -- SPD-Fraktionschefin über Männer: „Die kleinen Sticheleien “
> Johanne Modder, die erste Frau an der Spitze der SPD-Fraktion in
> Niedersachsen, läuft zur Hochform auf, wenn sie nicht ernst genommen
> wird.
Bild: Fordert das Paritégesetz: Johanne Modder (SPD)
taz: Frau Modder, haben Sie jemals gemerkt, dass Sie in der Politik nicht
ernst genommen werden, weil Sie eine Frau sind?
Johanne Modder: Ja. Ganz am Anfang meiner politischen Aktivitäten, als ich
bei mir im SPD-Ortsverein aufgeschlagen bin. Die Männer dort haben meine
Wortmeldungen abgetan, weil ich neu war und angeblich wenig Erfahrung
hatte.
Sind Sie da als junge Frau in einen Männerzirkel geplatzt?
Das war 1986, als ich mich dazu entschieden habe, erstmalig für den
Samtgemeinderat zu kandidieren. Wir hatten dort zwar zwei aktive Frauen,
aber insgesamt war es eine sehr männerdominierte Welt.
Was hat es mit Ihnen gemacht, wenn Sie von den Männern nicht ernst genommen
wurden?
Wer mich ein bisschen kennt, weiß, dass ich dann richtig zur Hochform
auflaufe. Solche Situationen stacheln mich eher an. Ich bin hartnäckig
geblieben und das hat auf der anderen Seite Eindruck gemacht. Wir Frauen
mussten Kampfeswillen haben, dafür sorgen, dass wir nicht unterbrochen und
ernst genommen werden – und das scheint auch heute noch vorzukommen.
Gab es eine Situation, in der ein Mann versucht hat, Ihre Karriere
tatsächlich zu blockieren?
Nein. Es blieb bei den Vorbehalten gegenüber einer politisch engagierten
jungen Frau, die gerade eine Familie gegründet und eine pflegebedürftige
Mutter zu Hause hatte. Da war immer die Frage der Männer: Kann sie das
überhaupt schaffen? Es liegt wohl schon in meiner Biografie, dass ich immer
ein bisschen kämpfen musste.
Inwiefern?
Ich komme aus einfachen Verhältnissen und meine Familie war wirtschaftlich
nie auf Rosen gebettet. Ich will aber ausdrücklich sagen, dass ich eine
sehr glückliche Kindheit hatte. Es hat uns nichts gefehlt, weil eben andere
Sachen da waren: Zuneigung, Liebe, meine sechs Geschwister. Es gab aber
Zeiten in meinem Leben, die nicht einfach waren.
Was ist passiert?
Ich habe später meinen Beruf als Verwaltungsangestellte aufgegeben, weil
unsere Mutter ein Pflegefall wurde. Ich habe sie fünf Jahre pflegen dürfen.
Das hat mir noch mal einen ganz anderen Eindruck davon vermittelt, was das
Leben so parat hält. Als meine Mutter verstorben ist, ist meine Schwester,
selbst Mutter von drei Kindern, kurze Zeit später leider sehr schwer an
Krebs erkrankt und ich durfte sie dann beim Sterben begleiten. Ich sage
ausdrücklich durfte, weil das viel mit einem macht.
Hilft es Ihnen in der Politik, dass Sie diese Erfahrungen gemacht haben?
Ich glaube, dass es im politischen Arbeiten wichtig ist, eine Ahnung davon
zu haben, wovon man spricht.
Sie sind die erste weibliche Fraktionsvorsitzende der SPD in Niedersachsen
und haben in dieser Position berühmte männliche Vorgänger wie Sigmar
Gabriel oder Gerhard Schröder. Werden Sie als Frau in diesem Job anders
beurteilt?
Ich denke schon, dass ich als Frau kritischer gesehen werde, obwohl ich das
gar nicht an etwas Konkretem festmachen kann. Es sind die kleinen
Sticheleien und Bemerkungen. Im alltäglichen Arbeiten werde ich aber nicht
mit Gerd Schröder oder Sigmar Gabriel verglichen.
Warum sind Sie in die Politik gegangen?
Ich war immer jemand, die sich kritisch eingemischt hat. In der Schule, im
Handballverein, in der Kirchengemeinde. Weil ich in der Verwaltung
gearbeitet habe, sind Kommunalpolitiker auf mich aufmerksam geworden. Als
ich meinen Beruf wegen meiner Mutter aufgegeben hatte, kam der
Bürgermeister der Gemeinde zu mir und fragte mich, ob ich mich ehrenamtlich
engagieren möchte. Er hat wörtlich gesagt: „Das kann doch nicht alles
gewesen sein, was du willst?“
Das hat Sie zum Nachdenken gebracht?
Ja. Natürlich habe ich das – typisch Frau – gut durchdacht, ob ich das
wirklich will und zeitlich hinbekomme. Ein kommunalpolitisches Mandat war
nicht so einfach wegen der Pflege meiner Mutter und der Versorgung unserer
Kinder. Aber dann habe ich mich entschieden, diesen Weg zu gehen, auch weil
mein Mann mir den Rücken freigehalten hat.
Wie sind Sie Abgeordnete im niedersächsischen Landtag geworden?
Ich habe mich nie in den Vordergrund gespielt. Es ist einfach auf mich
zugekommen. Mein Vorgänger hatte sich entschieden, nicht mehr zu
kandidieren und dann kam die Partei auf mich zu und hat mich gefragt. Ich
habe gleich zugegriffen und mich der innerparteilichen Auseinandersetzung
um das Mandat gestellt.
Hatten Sie weibliche Vorbilder?
Meine Mutter ist mein Vorbild! Sie hat uns Kinder nie merken lassen, dass
sie es schwer hatte. Ich werde heute noch sehr empfindlich, wenn jemand
urteilt, wenn Kinder aus einer kinderreichen Familie stammen und diese als
bildungsfern tituliert. Meine Mutter hat alles daran gesetzt, dass ihre
Kinder etwas lernen und anständige Menschen werden. Und wir haben ihr viel
zu verdanken.
Wie fördern Sie heute andere Frauen?
Indem ich diese Funktion nutze und versuche, auch zu beweisen, dass Frauen
das können. Ich möchte Frauen ermutigen, mitzumachen und sich einzumischen.
Ab März mache ich deshalb auch ein Mentorinnenprogramm innerhalb der SPD
mit. Neue Frauen begleiten dabei erfahrene Frauen im politischen Alltag und
geben ihnen Hilfestellung für das politische Engagement.
Woran liegt es, dass der Anteil der Frauen im Landtag und vielen
Kommunalparlamenten zurückgeht?
Es gibt nicht den einen Grund und die eine Lösung. Bei den
Kommunalparlamenten sind oftmals auch die Rahmenbedingungen nicht sehr
familienfreundlich. Junge Frauen fragen sich oft , ob sie dieses Ehrenamt
neben Job, Familie und vielleicht noch Pflegefall übernehmen wollen. Sie
überlegen für sich, ob sie sich dieser Auseinandersetzung stellen wollen.
Die Politik ist ja nicht mit Applaus versehen. Deshalb müssen sie dafür
brennen, dass sie was verändern wollen und mitgestalten können.
Gibt es noch klassische Männerbünde?
In einigen Regionen ist die Politik leider immer noch eine starke
Männerdomäne. Frauen werden stärker hinterfragt und hinterfragen sich auch
selbst, ob sie es können, sich trauen und wollen. Männer sagen eher: Hier
bin ich und ich mach das. Wenn mancher Mann sich stärker selber
hinterfragen würde, wäre uns einiges erspart geblieben.
Unterscheidet sich die Politik von Frauen und Männern?
Frauen haben andere Sichtweisen und sie gehen anders mit Konflikten um als
Männer. Wir Frauen haben ein gutes Gespür dafür, ob in einer Situation der
Kompromiss gesucht werden muss oder unbedingt die Auseinandersetzung für
Klarheit sorgt.
Ist das nicht auch ein Vorurteil gegenüber Frauen, wenn auch ein positives?
Ich will das nicht pauschalieren, aber als Fraktionsvorsitzende beobachte
ich die unterschiedlichen Herangehensweisen. Deshalb tut es Parlamenten
gut, wenn die Geschlechter paritätisch vertreten sind.
Warum fordern Sie heute nicht mehr eine härtere Quote, um den Frauenanteil
zu erhöhen, sondern ein Parité-Gesetz?
Wir haben in meiner Partei, der SPD, unsere Erfahrungen mit den Quoten
gemacht. Für mich fühlt es sich so an, als würden wir uns mit 30 Prozent
zufriedengeben.
Warum?
Uns stehen 50 Prozent zu. Diese Quoten führen nicht zu den Ergebnissen, die
wir uns wünschen. Ich will mich deshalb mit einer Quotendiskussion nicht
mehr zufriedengeben.
Was genau ist das Parité-Gesetz?
Ein Gesetz, mit dessen Hilfe je die Hälfte eines Parlamentes mit Frauen und
Männern besetzt wird. Die genaue Ausgestaltung müssen wir noch besprechen.
Denn anders als in Frankreich, dem Ursprungsland des Gesetzes, haben wir
eine Persönlichkeits- und eine Listenwahl und deshalb verfassungsrechtliche
Fragen zu klären. Eine Wahlrechtsreform bricht man nicht übers Knie,
sondern muss gut vorbereitet und breit diskutiert werden.
Bei der Direktwahl stimmen Wähler*innen direkt für Kandidat*innen und
hebeln so die oftmals bereits paritätisch besetzten Listen aus, sodass doch
wieder mehr Männer im Parlament sitzen.
Genau. Eine Variante wäre es, in den Wahlkreisen Duos zu bilden, sodass
immer ein Mann und eine Frau direkt gewählt werden. Damit sich nicht das
Parlament verdoppelt, bräuchten wir größere Wahlkreise. Aber das ist schon
das erste Problem. Dafür ist die Wahlkreisreform nötig.
Glauben Sie, das ist mit Ihrem männerdominierten Koalitionspartner CDU zu
machen?
Im Moment eher unwahrscheinlich. Aber die Debatte, die aufgrund von 100
Jahren Frauenwahlrecht in Gang gekommen ist, baut Druck auf. Wir werden das
immer und immer wieder fordern und lauter werden. Und doch stehen Ihnen die
Männer im Weg.
Ja, weil sie etwas zu verlieren haben. Aber die Unterstützung ist ebenfalls
groß: In Niedersachsen hat Ministerpräsident Stephan Weil selbst das Thema
gesetzt.
Sie sind schon länger Fraktionsvorsitzende, als viele Ihrer männlichen
Kollegen es waren. Was haben Sie sich persönlich noch für berufliche Ziele
gesetzt?
Ich verschwende nicht so viele Gedanken daran, was ich noch alles machen
möchte.
Unterscheidet Sie das von Männern?
Vielleicht. Es gibt sicherlich bestimmte Typen von Männern, die diese
Position nutzen würden, um für sich selbst mehr zu erreichen. Ich versuche
lieber, meine Fraktion vernünftig zu leiten.
29 Jan 2019
## AUTOREN
Andrea Maestro
## TAGS
Parität
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Gleichberechtigung
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