# taz.de -- Jura-Professorin über Parité-Gesetz: „Faktische Nachteile für … | |
> Paritégesetze sollen mit quotierten Wahllisten mehr Frauen in die | |
> Parlamente holen. Die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf befürwortet das. | |
Bild: Warben zwar für einen Mann, durften aber selbst wählen: Frauen. | |
taz: Frau Brosius-Gersdorf, die SPD in Niedersachsen will ein Paritégesetz | |
einführen, um mehr Frauen ins Parlament zu bekommen. Ist das der richtige | |
Schritt? | |
Frauke Brosius-Gersdorf: Das kommt darauf an, wie es ausgestaltet ist. Ich | |
finde es richtig, gesetzliche Quoten zur Steigerung des Frauenanteils in | |
den Parlamenten vorzuschreiben. Die freiwilligen Verpflichtungen einzelner | |
Parteien haben nur begrenzt zum Erfolg geführt. Das liegt auch daran, dass | |
in den Parlamenten teilweise bis zu 100 Prozent der Sitze über die | |
Erststimme gewonnen werden und dafür gibt es gar keine Quoten, nicht einmal | |
freiwillige. Gesetzliche Quoten könnten auf Grundlage des geltenden | |
Verfassungsrechtes aber nur solche sein, die die Chancengleichheit der | |
Frauen bei der Wahl herstellen. | |
Das heißt? | |
Der niedrige Frauenanteil in den Parlamenten liegt daran, dass Frauen | |
ungleiche Chancen bei der Wahl haben. Es gibt faktische Nachteile. Die | |
Parteien nominieren Frauen trotz gleicher Eignung nicht gleichermaßen auf | |
den Listen. Und auch auf den Direktwahlplätzen kommen sie nicht so zum Zuge | |
wie Männer. Die Nachteile beim Zugang zu Listen- und Direktwahlplätzen | |
innerhalb der Parteien müssen abgebaut werden. Dazu ist der Gesetzgeber | |
sogar verpflichtet wegen des Gleichberechtigungsauftrags im Grundgesetz. Es | |
geht aber nicht darum, eine Ergebnisparität im Parlament herzustellen. Am | |
Ende entscheidet der Bürger. | |
Woran liegt es, dass Frauen in Parteien benachteiligt sind? | |
Es gibt vielfach Männerbündnisse, die zusammenhalten. Wenn Frauen nominiert | |
werden, bekommen sie oft aussichtslose Listenplätze. Außerdem ist es für | |
viele Frauen nachteilig, dass viele Sitzungen am Abend stattfinden. Wenn | |
sie Familienarbeit leisten, können sie eben nicht dabei sein. Es gibt auch | |
immer noch männlich geprägte Karrieremuster und Vorbehalte gegenüber der | |
Eignung von Frauen für Abgeordnetensitze. | |
Und wie kann die Chancengleichheit hergestellt werden? | |
Zum Abbau dieser Nachteile reicht ein Quotenmodell, wie es gerade die | |
schleswig-holsteinische Justizministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) | |
vorgeschlagen hat. Das sieht vor, dass die Parteien in den Wahlkreisen | |
Bewerbertandems aus Mann und Frau aufstellen. Dann hat der Bürger die Wahl, | |
einen Mann oder eine Frau aus den Tandems zu wählen. | |
Die SPD in Niedersachsen will hingegen die Wahlkreise vergrößern und dann | |
jeweils für eine Partei ein Team aus Mann und Frau wählen lassen. Pro | |
Wahlkreis würden dann eine Kandidatin und ein Kandidat gemeinsam in den | |
Landtag einziehen. | |
Dieses Modell beseitigt nicht nur die Nachteile für Frauen bei der | |
Nominierung in den Parteien, sondern geht darüber hinaus und sorgt für eine | |
paritätische Vertretung von Frauen und Männern im Parlament. | |
Das wäre doch wünschenswert. | |
Politisch durchaus, aber nach unserem Grundgesetz muss und darf der | |
Gesetzgeber nur Chancengleichheit für Frauen und nicht Ergebnisgleichheit | |
herstellen; bei der Wahl hat der Bürger das letzte Wort. Und wenn Frauen | |
und Männer zu gleichen Teilen zur Wahl stehen, entscheidet der Bürger, in | |
welcher Anzahl sie in die Parlamente einziehen. | |
Bei dem Modell, das sie bevorzugen, würde weiterhin nur eine Person direkt | |
ins Parlament einziehen. Würde das nicht dazu führen, dass die Parteien in | |
den Wahlkreisen nicht nur mit anderen Parteien, sondern auch die Tandems | |
untereinander konkurrieren? | |
Das ist die notwendige Konsequenz. Damit wäre der Wahlkampf innerhalb der | |
Tandems aus Mann und Frau eröffnet. | |
Hätten die Parteien die Möglichkeit, die Wahl von Männern weiter zu | |
begünstigen? | |
Die Parteien könnten theoretisch die Chancengleichheit für Frauen leer | |
laufen lassen, indem sie sehr ungleiche Tandems aufstellen: der | |
erfolgreiche, charismatische Ministerpräsident und die erfolglose, blasse | |
Fleischwarenverkäuferin. Der männliche Kandidat würde quasi auf dem | |
Silbertablett serviert. Wenn der Gesetzgeber darlegen könnte, dass das ein | |
realistisches Problem ist, wäre meiner Meinung nach auch das | |
En-bloc-Tandemmodell der SPD zulässig. Es reicht allerdings nicht, das zu | |
behaupten. Man muss es durch Studien oder ähnliches nachweisen. | |
Ist es Ihrer Meinung nach überhaupt legitim, die Parteien so in ihrem | |
Selbstbestimmungsrecht zu beschneiden? | |
Beide Modelle für die Erststimme, die En-bloc-Tandems und die | |
Auswahltandems beschneiden die Autonomie und die Chancengleichheit der | |
Parteien. Artikel 3, Absatz 2, Satz 2 des Grundgesetzes gibt dem Staat aber | |
den Auftrag, für die Chancengleichheit der Frauen zu sorgen. Das | |
rechtfertigt in meinen Augen, dass die genannten Rechte beschnitten werden | |
– zumindest durch das Auswahltandem. | |
In Deutschland gibt es zudem die Listenwahl über die Zweitstimme. Wie | |
sollte der Staat hier eingreifen? | |
Im geltenden System starrer Wahllisten lässt sich Chancengleichheit | |
eigentlich nur über ein Reißverschlussverfahren realisieren. Genau wie die | |
En-bloc-Tandems bei der Erststimme würde das aber die Wahlfreiheit des | |
Bürgers einschränken und über den Gleichberechtigungsauftrag aus dem | |
Grundgesetz hinausschießen, weil wieder für Parität gesorgt wird. | |
Aber wieso schränkt das die Wahlfreiheit ein? Die Wähler*innen können doch | |
ohnehin nur eine Liste wählen, egal ob eine Partei fünf Männer aufgestellt | |
hat oder durch das Gesetz im Wechsel Frauen und Männer darauf stehen. | |
Es macht für den Bürger einen Unterschied, ob die Parteien, denen sie | |
vertrauen, die Listen aufstellen oder ob das der Staat macht. Dennoch meine | |
ich, dass das Reißverschlussverfahren zulässig ist, weil der Gesetzgeber | |
das Wahlsystem grundsätzlich frei gestalten kann und sich für starre Listen | |
entschieden hat. Und da ist es das einzig mögliche Mittel, um | |
Chancengleichheit für Frauen bei der Wahl zu gewährleisten. | |
Wie sollen sich Menschen in die Listenplätzen einordnen, die sich dem | |
dritten Geschlecht zugehörig fühlen? | |
Das ist ein schwieriges und wichtiges Problem. Ich finde es aber richtig, | |
über diese Quote zunächst ohne Rücksicht auf das dritte Geschlecht zu | |
sprechen. Eventuell lässt sich das sprachlich lösen durch die Bezeichnung | |
der Listen- und Direktwahlplätze als Frau/Divers und Mann/Divers. | |
Wäre es legitim, wenn die Wahlleitung auf die Wahlzettel schreiben würde, | |
dass ein Kreuz für Frauen begrüßt wird? | |
Ich finde nicht, dass das ein geeignetes Mittel ist, weil es die | |
Chancengleichheit von Frauen nicht sicher herstellt. Das kann nur eine | |
Quote. Frauen müssen nicht in allen Lebensbereichen in gleicher Anzahl wie | |
Männer vertreten sein, aber sie müssen die gleichen Chancen haben. | |
11 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Andrea Maestro | |
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