| # taz.de -- Senatorin zu Obdachlosencamps in Berlin: „Räumung ist keine Lös… | |
| > Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) erklärt, warum es falsch | |
| > ist, wenn eine Stadt Obdachlose einfach vertreibt, und erklärt, wie es | |
| > besser gehen könnte. | |
| Bild: Beliebter Schlafplatz: Ein Obdachloser liegt in einem Eingang einer Kirch… | |
| taz: Frau Breitenbach, der Bezirk Mitte hat [1][ein Lager von Obdachlosen | |
| am Hauptbahnhof] nach Beschwerden kürzlich räumen lassen. War das falsch? | |
| Elke Breitenbach: Solche Räumungen sind keine Lösung. Sie führen nur dazu, | |
| dass die Menschen an eine andere Stelle vertrieben werden und dort genauso | |
| im Elend leben. In der [2][Rummelsburger Bucht] sind wir mit dem Bezirk | |
| Lichtenberg einen ganz anderen Weg gegangen, der ausgesprochen erfolgreich | |
| ist. | |
| Welchen denn? | |
| Wir haben Sozialarbeiter des [3][Trägers Karuna] in das Camp der | |
| obdachlosen Menschen geschickt. Die haben geschaut, wer sich dort aufhält | |
| und was für Probleme es gibt. Überwiegend Jüngere leben in dem Camp, | |
| zeitweilig sind auch Roma da. Die Sozialarbeiter reden mit den Menschen und | |
| versuchen, mit ihnen individuelle Lösungen zu entwickeln. | |
| Zum Beispiel? | |
| Die Menschen sagen ja nicht, dass sie unbedingt weiter auf der Straße leben | |
| wollen. Sie wünschen sich auch eine Perspektive. Mehrere Junge sind bereits | |
| aus dem Camp weggezogen in eine feste Einrichtung von Karuna. Die anderen | |
| haben gemeinsam mit Karuna das Camp aufgeräumt. Die [4][Senatsverwaltung | |
| für Stadtentwicklung] hat Toiletten aufgestellt. Es gibt jetzt auch | |
| Holzöfen, damit die Menschen nicht frieren. Und es gibt die Zusicherung: | |
| Bis zum Ende der Kälteperiode werden sie nicht geräumt. Das ist der | |
| richtige Weg. So kann man Camps auflösen, ohne dass woanders neue Lager | |
| entstehen. Ich bedauere es, dass der Bezirk Mitte anders vorgeht. | |
| Ab dem 1. Mai muss die Fläche an der Rummelsburger Bucht aber leer sein, | |
| diese Zusicherung gibt es wiederum für den Eigentümer. Was, wenn sich bis | |
| dahin nicht alle Bewohner auf eine Alternative einlassen? | |
| Es ist illusorisch zu glauben, dass man in einer Metropole wie Berlin | |
| Obdachlosigkeit komplett abschaffen kann. Natürlich wird es einzelne | |
| Menschen geben, die aus welchem Grund auch immer keine Lösung möchten. Aber | |
| ich werde jetzt nicht darüber spekulieren, wie die Situation Ende April | |
| dort ist. Von den ursprünglich 35 Menschen konnten schon einige das Gelände | |
| verlassen. Mehrere waren krank, sie wurden erst mal in einem Hostel | |
| untergebracht, andere haben etwas für sich gefunden. | |
| Sie haben die Sozialstadträte der Bezirke eingeladen, um über einen | |
| berlinweit einheitlichen Umgang mit Obdachlosencamps zu sprechen. Soll die | |
| Rummelsburger Bucht dafür Vorbild sein? | |
| Das würden wir uns wünschen, allerdings entscheiden das am Ende die | |
| Bezirke. Als die Debatte über die Obdachlosen im Tiergarten hochkochte, | |
| haben wir uns mit der Innenverwaltung verständigt, dass wir natürlich nicht | |
| zusehen können, wie Camps entstehen und immer größer werden. Es kann aber | |
| auch nicht sein, dass die Camps einfach geräumt werden, ohne dass man den | |
| Menschen Unterstützung und Beratung anbietet. Wir werden immer einen Weg | |
| dazwischen suchen müssen. Wenn wir uns auf ein einheitliches Vorgehen | |
| verständigen könnten, wären wir schon einen Schritt weiter. | |
| Der Geschäftsführer von Karuna spricht von einer Taskforce, die stadtweit | |
| im Einsatz sein könnte. Wie soll das genau aussehen? | |
| Karuna beschäftigt unter anderem ehemalige Obdachlose. Wir erleben, dass | |
| Obdachlose auf sie viel offener reagieren. Das Vertrauen ist größer, wenn | |
| Menschen kommen, die sich in ihre Lebenssituation wirklich hineinversetzen | |
| können, das ist auch bei den Stadtteilmüttern so und den Integrationslotsen | |
| für Geflüchtete. Deshalb hätten wir gerne, etwa im Rahmen des Solidarischen | |
| Grundeinkommens, rund 30 Plätze für Obdachlosen-Lotsen, die durch die Stadt | |
| gehen, Menschen ansprechen und sie an Unterstützungseinrichtungen | |
| weiterleiten. | |
| Die Frage ist, wo man sie alle unterbringen will. Ein Grundproblem für die | |
| Bezirke bleibt ja, dass es nicht genug Plätze für Wohnungslose gibt. | |
| Wenn die Menschen untergebracht werden wollen, dann müssen sie auch erst | |
| einmal untergebracht werden. Punkt. | |
| Aber wo? | |
| Die Bezirke schicken die Menschen zurzeit häufig auch in Hostels oder | |
| Pensionen, mit denen es keine Verträge gibt, weil es in den regulären | |
| Unterkünften für Wohnungslose nicht genug freie Plätze gibt. Um dem ein | |
| Ende zu setzen, brauchen wir eine gesamtstädtische Steuerung. Dafür | |
| benötigen wir zunächst eine entsprechende Software. Wenn wir diese Technik | |
| haben, werden wir uns sämtliche Unterkünfte in der Stadt angucken. Wir | |
| werden Mindeststandards für alle Unterkünfte festlegen und Verträge | |
| abschließen. Dann kann vielleicht auch ein Hostel in eine vertragsgebundene | |
| Unterkunft umgewandelt werden. | |
| Aber all dies schafft keine zusätzlichen Plätze. | |
| Wir brauchen erst mal einen Überblick, welche Plätze es wo überhaupt gibt. | |
| Und wir bauen ja auch neue Unterkünfte, im Moment zwar erst einmal für | |
| Flüchtlinge, aber in ein paar Jahren, wenn die Einschränkung durch das | |
| Flüchtlingsbaurecht nicht mehr gilt, können dort auch andere Menschen | |
| einziehen und integrative Wohnformen entstehen. | |
| Für Flüchtlinge wird zwar viel gebaut. Nur stehen die Containerdörfer und | |
| Mobilen Unterkünfte oft monatelang leer. Warum? | |
| Es waren zeitweise 19, jetzt sind es insgesamt noch 12 Unterkünfte, die | |
| nicht voll belegt sind, weil etwa umgebaut wird. Oder weil es Baupfusch | |
| gab: Bei einer neuen Unterkunft wurden alle Küchen falsch eingebaut. Das in | |
| Ordnung zu bringen dauert eben. Bei anderen Unterkünften waren die | |
| Außenanlagen nicht fertig wie in der Leonorenstraße die Wege. Dort kam | |
| schon der Lkw mit den Möbeln, ist dann aber im Matsch stecken geblieben. | |
| Die Leute sehen nur: Die Unterkunft ist fertig, aber es ziehen keine | |
| Menschen ein. Auch ich bin nicht zufrieden damit. Doch es gibt für den | |
| Leerstand natürlich Gründe. | |
| Dazu gehören auch die Ausschreibungen für den Betrieb der Heime, die | |
| gerichtlich angefochten werden. Warum kriegt das [5][Landesamt für | |
| Flüchtlingsangelegenheiten (LAF)] es nicht hin, rechtssicher | |
| auszuschreiben? | |
| Wir mussten bislang keine Ausschreibung zurückziehen – das gab es bei der | |
| ersten Ausschreibung, das war noch unter meinem Vorgänger Mario Czaja. | |
| Was ist dann das Problem? | |
| Also: Wir schreiben aus, die Interessenten bewerben sich. Die Bewerbungen | |
| werden vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten geprüft und bewertet, | |
| dabei zählt zu 70 Prozent die Qualität und zu 30 Prozent der Preis. Wenn | |
| einer ein super Konzept hat für einen unschlagbaren Preis, muss man noch | |
| mal besonders drauf gucken, ob das überhaupt realistisch ist. Dann trifft | |
| das LAF eine Entscheidung und informiert alle Bewerber. Die, die unterlegen | |
| sind, haben das Recht, die Vergabekammer anzurufen, damit diese die | |
| Entscheidung noch mal überprüft. Das geschieht auch zuweilen. | |
| Und dann? | |
| Es gab zuletzt drei Unterkünfte, die tatsächlich wegen der Vergabe | |
| leerstanden. Vor der Vergabekammer waren drei Einspruchsverfahren des | |
| Betreibers ZOF anhängig. Die Firma hat am Ende aber nicht recht bekommen. | |
| Doch solange die Vergabekammer prüft, können wir tatsächlich nur abwarten. | |
| Dann dauert das alles lange. | |
| Das LAF hat ja noch andere Probleme, etwa bei der Registrierung neuer | |
| Flüchtlinge. Das soll in einer Woche passieren, dauert aber oft Monate – | |
| obwohl nicht mehr so viele Flüchtlinge kommen und das Amt viel neues | |
| Personal hat. Woran liegt das? | |
| Das LAF hat zwar viel Personal bekommen, aber in der Registrierung fehlen | |
| nach wie vor Leute. Da wird jetzt also noch mal aufgestockt. Hinzu kommt: | |
| In dem Amt gibt es sehr viele Quereinsteiger, viele junge Menschen. Es gibt | |
| viele in Elternzeit, einen hohen Krankenstand, Pensionäre, die ausgeholfen | |
| haben, sind zurück in den Ruhestand gegangen. Aber: An einem Problem bei | |
| der Registrierung kann niemand etwas ändern. | |
| Nämlich? | |
| Nachdem wir die Hangars im Dezember freigezogen hatten, kam ein Teil der | |
| Menschen in die Karl-Marx-Straße … | |
| … in ein neues Tempohome, also ein Containerdorf … | |
| … und es dauerte nur wenige Tage, dann gab es dort die Röteln. Die anderen | |
| haben wir in die Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Spandau gebracht, da gab es | |
| dann die Masern. Immer wenn diese Krankheiten auftreten, muss man das | |
| Gesundheitsamt im Bezirk informieren. Das entscheidet dann, ob es eine | |
| Quarantäne gibt und damit einen Belegungsstopp. Dann können die Leute auch | |
| nicht mehr registriert werden, denn dafür müssen sie persönlich zum LAF in | |
| die Bundesallee kommen. Darum war meine Priorität nicht die Dauer des | |
| Aufenthaltes im Ankunftszentrum, sondern dass wir ein vernünftiges | |
| Ankunftszentrum kriegen. Und dort müssen auch die gesundheitlichen | |
| Untersuchungen stattfinden. Ansteckende Krankheiten werden immer vorkommen. | |
| Aber die verbreiten sich vor allem in Massenunterkünften. Wäre es nicht | |
| besser, mehrere kleine Erstaufnahmeeinrichtungen zu haben? Warum überhaupt | |
| ein großes Ankunftszentrum? | |
| Es geht ja nicht nur um die Registrierung. Die Menschen, die herkommen, | |
| müssen auch zur medizinischen Erstuntersuchung, zum Tuberkulose-Test, zum | |
| Impfen. Ich brauche ein Ankunftszentrum, in dem ich zuerst all diese | |
| Untersuchungen plus Registrierung durchführen kann. | |
| Jetzt hat es über zwei Jahre gedauert, bis Sie einen Ersatz für den Hangar | |
| als Ankunftszentrum gefunden haben. Aber auch die Knobelsdorf-Kaserne ist | |
| nur ein mittelmäßiges Provisorium. Hätte man das nicht früher haben können… | |
| Nein. Wir haben ja erst seit wenigen Monaten die Entscheidung des Senats, | |
| dass es ein neues Ankunftszentrum geben wird, auf dem Gelände der | |
| ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Reinickendorf. Als aber klar | |
| war, dass wir einen Neubau bekommen, was noch gut ein Jahr dauern wird, | |
| brauchten wir eine Übergangslösung. Die Interimslösung ist ja nicht die | |
| Kaserne, sondern es sind die sogenannten Sternhäuser auf dem Klinikgelände. | |
| Die Kaserne haben wir im Dezember nur als Ausweichquartier für die Hangars | |
| benutzt, weil wir die Menschen endlich dort herausbekommen wollten. | |
| Wann sind also Hangar und Kaserne passé? | |
| Unsere eigentliche Übergangslösung bis zum Neubau sind diese „Sternhäuser�… | |
| schon auf dem selben Standort wie das künftige Ankunftszentrum. Noch sind | |
| in den Gebäuden Geflüchtete untergebracht, aber bis spätestens Ende des | |
| ersten Quartals können diese Menschen in zwei neu gebaute Unterkünfte im | |
| Bezirk umziehen – dann werden die Sternhäuser unser provisorisches | |
| Ankunftszentrum. | |
| Sie schildern die Mühen der Ebene. Rot-Rot-Grün hat bald Halbzeit. Gibt es | |
| etwas, was Sie in den verbleibenden zweieinhalb Jahren unbedingt schaffen | |
| wollen? | |
| Einiges von dem, was wir jetzt entwickelt haben, steht noch auf dem Papier, | |
| sei es das Gesamtkonzept zur Partizipation und Integration Geflüchteter | |
| oder die Strategie im Umgang mit Wohnungslosigkeit. Die spannende Frage | |
| ist, wie wir all die Maßnahmen umsetzen. Ich will schließlich keine | |
| Märchenbücher schreiben, sondern wirklich etwas ändern, ich will Ergebnisse | |
| sehen. Sonst hätte ich nicht Senatorin werden müssen. | |
| 22 Jan 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Raeumung-von-Obdachlosen-in-Berlin-Mitte/!5563672 | |
| [2] /Umgang-mit-Obdachlosen-in-Berlin/!5557413 | |
| [3] http://cms.karuna-ev.de/ | |
| [4] http://www.stadtentwicklung.berlin.de/ | |
| [5] https://www.berlin.de/laf/ | |
| ## AUTOREN | |
| Antje Lang-Lendorff | |
| Susanne Memarnia | |
| ## TAGS | |
| Elke Breitenbach | |
| Rummelsburger Bucht | |
| Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
| Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin | |
| Berlin | |
| Obdachlosigkeit | |
| Sozialpolitik | |
| Räumung | |
| Elke Breitenbach | |
| Elke Breitenbach | |
| Hostel | |
| Rummelsburger Bucht | |
| Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
| Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
| Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
| Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
| Elke Breitenbach | |
| Florian Schmidt | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Wohnungslosigkeit: Senat legt neue Leitlinien vor | |
| Die Sozialverwaltung will eine berlinweite Steuerung der Unterbringung von | |
| Wohnungslosen. Obdachlose sollen erstmals auch gezählt werden. | |
| Obdachlosencamp in Berlin: Kein Platz für Cassey | |
| Ein Modellprojekt hatten manche schon darin gesehen, doch nun steht auch im | |
| Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht die Räumung bevor. | |
| Hostelbetreiber unter Verdacht: Aus der Notlage Geld machen | |
| Landeskriminalamt ermittelt: Aus der Wohnungsnot von Geflüchteten und | |
| Obdachlosen wird durch Abrechnungsbetrug Profit geschlagen. | |
| Bebauung der Rummelsburger Bucht: Freiheit für die Fische | |
| GegnerInnen der Bebauung der Rummelsburger Bucht präsentieren eine | |
| Alternative: ohne Aquarium, dafür mit Platz für Natur und bisherige Nutzer. | |
| Umgang mit Obdachlosen in Berlin: Eine einheitliche Linie ist nicht in Sicht | |
| Die Debatte über Obdachlose ist dank eines taz-Videos wieder aufgeflammt. | |
| Kaum vorstellbar, dass sich Senat und Bezirke bald einigen. Ein | |
| Wochenkommentar. | |
| Eine Nacht am Kältebahnhof Lichtenberg: Im Vorbeigehen pöbeln die Passanten | |
| An zwei Kältebahnhöfen in Berlin werden Obdachlose nicht vertrieben. | |
| Unbehelligt bleiben sie dort trotzdem nicht. | |
| Berliner Obdachlosenprotest: Grundrecht auf Wohnen gefordert | |
| Der selbstorganisierte Protest von Obdachlosen am Roten Rathaus, eine | |
| Mahnwache für jüngst Verstorbene, wirft Fragen nach deren Rechten auf. | |
| Räumung von Obdachlosen in Berlin-Mitte: Empörung über rabiaten Einsatz | |
| Nach der Räumung eines Obdachlosenlagers am Hauptbahnhof will der Senat | |
| einen einheitlichen Umgang mit solchen Camps. | |
| Obdachlosigkeit in Berlin: Der Senat will erstmals zählen lassen | |
| Bislang gibt es nur Schätzungen, wie viele Menschen in der Hauptstadt auf | |
| der Straße leben. Jetzt sollen bald BefragerInnen ausschwärmen. | |
| Umgang mit Obdachlosen in Berlin: Menschen mit Rechten und Würde | |
| An der Rummelsburger Bucht sollen Obdachlose vertrieben werden. Dagegen | |
| protestierten sie auf dem Linke-Parteitag. Ein Wochenkommentar. |