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# taz.de -- Obdachlosencamp in Berlin: Kein Platz für Cassey
> Ein Modellprojekt hatten manche schon darin gesehen, doch nun steht auch
> im Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht die Räumung bevor.
Bild: Cassey (28) lebt seit Monaten im Camp an der Rummelsburger Bucht
Es ist ein sonniger, aber kalter Morgen auf der Brache an der Rummelsburger
Bucht. Ein Dutzend Bewohner*innen des Obdachlosencamps sind bereits wach,
sitzen auf alten Sofas um eine Feuerstelle. Es gibt vereinzelt Streit, die
Stimmung ist angespannt. Das Camp, in dem derzeit rund 50 Menschen leben,
soll Ende April geräumt werden. Viele Bewohner*innen wissen nicht, wohin.
„Das alte Spiel fängt von vorne an“, sagt der 28-jährige Cassey, „wir
werden wieder von A nach B gescheucht.“
Cassey ist einer der 35 Bewohner*innen, die [1][schon Anfang Dezember von
der Brache hätten geräumt werden sollen]. Die „Platte“, wie Orte genannt
werden, an denen Obdachlose Lager aufschlagen können, ist Teil eines
landeseigenen Grundstücks, das an verschiedene Investoren verkauft wurde.
Unter anderem soll hier das [2][umstrittene Aquarium] „Coral World“
errichtet werden. Seit Errichtung des Camps hatten sich Anwohner*innen
immer wieder um herumliegenden Müll und Lärm beschwert. Als mitten im
Winter die Ankündigung kam, dass das Lager geräumt werden sollte,
organisierten sich einige der Campbewohner*innen und besuchten gemeinsam
den Landesparteitag der Linken, um dort gegen ihre Räumung zu protestieren.
Bei den Parteimitgliedern stießen ihre Forderungen [3][auf offene Ohren].
Nicht nur wurde ihnen zugesichert, die Räumung bis zum 30. April
auszusetzen. Die zuvor unwürdigen Bedingungen im Camp sollten außerdem
deutlich verbessert werden: Zelte wurden winterfest gemacht, Müllcontainer,
Toiletten und ein Gemeinschaftszelt mit Ofen bereitgestellt, obwohl dies
kurz zuvor noch vom Bezirk Lichtenberg abgelehnt worden war. Des Weiteren
besuchen Sozialarbeiter*innen der Sozialgenossenschaft Karuna regelmäßig
das Camp, um mit den Bewohner*innen möglichst bis zum Ende der Frist eine
geeignete Unterbringung zu finden.
Einer dieser Sozialarbeiter*innen ist Lutz Müller-Bohlen, er betreut
das Camp seit Dezember. Er ist an diesem Morgen auch hier, redet
freundschaftlich mit den Bewohner*innen. Wer Unterstützung braucht, wendet
sich an ihn, dennoch „braucht es unglaublich lange, um Vertrauen
aufzubauen“, so Müller-Bohlen.
## Safe Places statt brutale Räumung
Der zunächst akzeptierende Umgang mit dem Obdachlosencamp am Ostkreuz wurde
in Medienberichten oft als „Modellprojekt“ bezeichnet, das Schule machen
könnte in Berlin: Statt brutaler Räumungen, wie sie diesen [4][Januar im
Bezirk Mitte Schlagzeilen machte], nun unterstützende Duldung und Einsatz
von Streetworkern. Darüber hinaus sorgte Sozialsenatorin Elke Breitenbach
(Linke) im März mit dem Vorschlag für Kontroverse, Obdachlose in [5][selbst
organisierten Zeltlagern], sogenannten „Safe Places“, kurzfristig
unterzubringen.
Doch Lutz Müller-Bohlen warnt vor zu viel Euphorie: „Das Hauptziel war es,
die Leute über den Winter zu kriegen.“ Zuvor seien die Zustände
katastrophal gewesen, es gab Müllberge und eine Rattenplage. Obwohl die
Situation nun etwas besser ist, solle man das Camp nicht als Modell für
Safe Places sehen. „Das ist kein Modell für irgendwas“, so Müller-Bohlen.
„Keiner will, dass Menschen so leben wie hier.“ Es fehlten fließend Wasser,
Waschmöglichkeiten und andere wichtige Infrastruktur, die für das
Safe-Place-Konzept essentiell seien. Auch ist das Camp nicht sicher, es kam
immer wieder zu Brandanschlägen. Zuletzt brannten im März das
Gemeinschaftszelt und ein Zweipersonenzelt nieder, verletzt wurde niemand,
die Täter*innen konnten nicht gefasst werden. Die Anschläge verunsicherten
die Bewohner*innen: „Wenn wir das Camp verlassen, fragen wir uns: Brennt
jetzt das nächste Zelt?“, fürchtet Cassey.
Dennoch blickt Cassey, der mit seinem Verlobten und Hündin Lolita die
letzten Monate hier verbrachte, wohlwollend auf die Zeit im Camp: „Im
Vergleich zu früheren Wintern haben wir hier verhältnismäßig luxuriös
gewohnt.“ Trotz der Hilfe der Sozialarbeiter*innen ist es bislang nicht
gelungen, eine alternative Unterkunft für ihn zu finden. „Wenn mir jemand
eine Wohnung geben würde, würde ich die sofort nehmen“, so Cassey. Bei dem
ohnehin knappen Wohnungsangebot sind obdachlose Menschen besonders
benachteiligt. Für sechs der ursprünglich 35 Menschen, die im Dezember auf
der Brache gewohnt haben, wurde eine dauerhafte Lösung gefunden. Sechs von
ihnen sind noch hier, der Rest ist weitergezogen.
Weil es immer weniger „Platten“ in Berlin gibt, sind in den vergangenen
Monaten viele weitere Obdachlose neu dazugekommen. Darunter sind eine
Gruppe von Osteuropäern und eine Gruppe, die zuvor auf dem besetzten
ehemaligen Jugendschiff „Freibeuter“ gewohnt hatte, das im Februar geräumt
wurde. Andernorts werden obdachlose Menschen weiterhin vertrieben. „Ich hab
den Eindruck“, sagt Ingo Bauer, der ebenfalls in dem Camp wohnt, „dass die
Innenstadt geräumt werden soll von Leuten wie uns“.
Die Sozialsenatorin sieht das Camp an der Rummelsburger Bucht dennoch als
Erfolg: „In dem Wissen, dass die Rahmenbedingungen nicht optimal sind“, so
Breitenbach gegenüber der taz, „ist es ein positives Beispiel.“ Es sei
gelungen, in Zusammenarbeit mit einem Träger Menschen zu erreichen, die man
sonst nicht erreiche. Nun gelte es, das Konzept der „Safe Places“ mit
passender Infrastruktur umzusetzen. Ob es dazu kommt, hänge maßgeblich von
den Bezirken ab, die für die Unterbringung von obdachlosen Menschen
verantwortlich sind. Die Senatsverwaltung befinde sich dazu mit den
Bezirken im Gespräch, so Breitenbach.
Ob die „Safe Places“ tatsächlich kommen, ist also noch längst nicht gewis…
Dass das Camp an der Rummelsburger Bucht weg soll, hingegen schon.
Angesichts der anstehenden Räumung ist Cassey enttäuscht: „Man hat uns
versprochen, Alternativen zu finden.“
22 Apr 2019
## LINKS
[1] /!5556684/
[2] /Bebauung-der-Rummelsburger-Bucht/!5578308/
[3] /Senatorin-zu-Obdachlosencamps-in-Berlin/!5564123/
[4] /!5563998/
[5] /Staatlich-organisierte-Obdachlosen-Camps/!5579480/
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
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