| # taz.de -- Nach rabiater Räumung: Berlin-Mitte macht nicht mit | |
| > Der Senat will ehemalige Obdachlose berlinweit als Streetworker | |
| > einsetzen, um auf der Straße lebende Menschen besser zu erreichen. | |
| Bild: Polizist*innen in Berlin zogen einer Obdachlosen ein Tuch über den Kopf,… | |
| Der Senat will eine neue Taskforce gegen Obdachlosigkeit einrichten: Rund | |
| 30 Menschen, die früher selbst auf der Straße gelebt haben, sollen als | |
| Obdachlosen-Lotsen durch die Stadt gehen, Menschen ansprechen und sie an | |
| Hilfseinrichtungen weiterleiten. Das sagte Sozialsenatorin Elke Breitenbach | |
| (Linke) der taz: „Das Vertrauen ist größer, wenn Menschen kommen, die sich | |
| in ihre Lebenssituation wirklich hineinversetzen können.“ | |
| Wohnungslose sollen im Gespräch überzeugt werden, freiwillig in eine | |
| Unterkunft zu wechseln. Auf diese Weise will die Senatorin Räumungen von | |
| Obdachlosencamps verhindern. Finanziert werden könnten die Lotsen über das | |
| Solidarische Grundeinkommen, einem öffentlichen Beschäftigungsprogramm | |
| Berlins, das in diesem Jahr als Modellprojekt starten soll. | |
| Zuletzt hatte die [1][rabiate Räumung] eines Camps nahe dem Hauptbahnhof | |
| für Empörung gesorgt. [2][Ein von der taz veröffentlichtes Video] zeigt, | |
| wie die Einsatzkräfte einer gefesselten Frau von hinten ein Tuch wie einen | |
| Sack über den Kopf ziehen und sie dann abführen. Breitenbach bezeichnete | |
| das als „unerträglich“. Mehrere Landespolitiker [3][verurteilten den | |
| Einsatz] als „unverhältnismäßig“ und forderten Aufklärung. Die Polizei | |
| rechtfertigte ihr Vorgehen mit dem Schutz der eigenen Leute – die Frau habe | |
| viele Läuse gehabt. Sie sei auch aggressiv gewesen und habe gespuckt. Auf | |
| dem Video ist das nicht zu sehen. | |
| Der Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel (Grüne), hatte sich | |
| zunächst bei den Einsatzkräften „für ihr umsichtiges Handeln“ bedankt. | |
| „Auch mich hat der veröffentlichte Ausschnitt des Videos verstört“, teilte | |
| von Dassel am Montag mit. In Zukunft will er für mehr Transparenz sorgen: | |
| „Das Bezirksamt wird den Einsatz von Bodycams für Beschäftigte für | |
| konflikthafte Einsätze im Außendienst prüfen.“ | |
| ## Eine einheitliche Linie | |
| Von Dassel hatte zunächst behauptet, gegen die Frau auf dem Video habe ein | |
| Haftbefehl vorgelegen. Dem widersprach die Polizei. Am Dienstag sagte von | |
| Dassel der taz: „Zur Frage des Haftbefehls muss ich einräumen, dass ich | |
| hier einen großen Fehler gemacht habe.“ Er habe die Information nicht | |
| ausreichend verifiziert. So sei der Eindruck entstanden, er wolle | |
| Obdachlose bewusst kriminalisieren. „Das war nicht meine Absicht, sondern | |
| ich dachte, dies könne den Widerstand der betroffenen Frau erklären.“ | |
| Geht es nach Sozialsenatorin Breitenbach, dann soll es bald eine | |
| [4][einheitliche Linie] im Umgang mit Obdachlosencamps geben. Deswegen habe | |
| ihre Verwaltung die Sozialstadträte der Bezirke eingeladen. Als Vorbild | |
| nennt sie die Rummelsburger Bucht, wo Sozialarbeiter des Trägers Karuna | |
| gemeinsam mit Obdachlosen nach Lösungen suchen. | |
| „Wir haben geschaut: Gibt es eine Gesprächsbereitschaft? Wie können wir den | |
| Menschen behilflich sein?“, berichtet Jörg Richert, Geschäftsführer von | |
| Karuna, von der Arbeit an der Rummelsburger Bucht. Sie hätten dicke | |
| Schlafsäcke verteilt gegen die Kälte und Öfen aufgebaut – und immer wieder | |
| mit den Leuten gesprochen. „So entstehen Beziehungen“, sagt Richert. | |
| Manche der Obdachlosen wollten als Gruppen in eine WG ziehen, andere würden | |
| gerne raus aus der Stadt. Für alle passende Unterkünfte zu finden, sei | |
| nicht leicht, sagt Richert. „Deshalb brauchen wir Zeit.“ Es gebe die Zusage | |
| vonseiten der Behörden, das Camp bis Ende April nicht zu räumen. Ab 1. Mai | |
| muss die Fläche allerdings frei sein. Richert ist optimistisch: „Wir haben | |
| 35 Bewohner zu Beginn angetroffen. Zehn konnten bereits vermittelt werden | |
| oder haben selbst eine Lösung gefunden.“ | |
| ## Es braucht professionelle Sozialarbeiter | |
| Jochen Biedermann (Grüne), Sozialstadtrat in Neukölln, begrüßt Breitenbachs | |
| Vorstoß für ein einheitliches Vorgehen. „Die Probleme enden ja nicht an den | |
| Bezirksgrenzen.“ Ehemalige Obdachlose zu beschäftigen, die zu den Menschen | |
| auf der Straße eine Beziehung entwickelten, findet er „total sinnvoll und | |
| wichtig“. Sie müssten aber von professionellen Sozialarbeitern begleitet | |
| werden. | |
| Die Spanne von Wohnungslosen sei sehr groß, sagt Biedermann. Den einen | |
| merke man die Obdachlosigkeit nicht mal an, andere vegetierten vor sich | |
| hin: „Wir müssen zu möglichst vielen einen Zugang bekommen.“ Dafür brauc… | |
| es Leute, die sich über einen längeren Zeitraum kümmerten. | |
| Einen Richtlinie zum einheitlichen Umgang der Bezirke mit Obdachlosencamps | |
| fordere er schon lange, so Stephan von Dassel. „Wir brauchen neue Wege, um | |
| insbesondere kranken obdachlosen Menschen den Weg in unser Hilfesystem zu | |
| erleichtern.“ Es dürfe sich aber nicht der Eindruck verfestigen, dass | |
| solche Camps ein regulärer Teil des Hilfesystems seien. „Staatlich betreute | |
| Favelas können nicht das Ziel der Sozialpolitik im Land Berlin sein.“ | |
| ## Plätze bleiben frei | |
| Für Mitte komme das von der Senatorin geforderte Modell der Rummelsburger | |
| Bucht nicht in Betracht, sagte von Dassel. „Dafür sind unsere Grünflächen | |
| zu zentral.“ Angesichts der großen Zahl obdachloser Menschen sei zudem die | |
| Gefahr zu groß, dass entweder ein Riesencamp entstehe oder sehr viele | |
| kleine. Auch Gewaltvorfälle seien nicht auszuschließen, so von Dassel. | |
| Ehemalige Obdachlose stärker in die Arbeit der Träger und der Behörden | |
| einzubinden, halte er aber für sinnvoll. | |
| Die derzeit kalten Nächte sind für Wohnungslose, die draußen schlafen, | |
| gefährlich. In der Nacht zu Sonntag starb ein Obdachloser im Humboldthain, | |
| der 55-jährige Russe wurde am Morgen auf einer Parkbank tot aufgefunden. | |
| Insgesamt stellt die Kältehilfe in diesem Winter rund 1.200 Plätze bereit. | |
| Trotz der Minusgrade bleiben zahlreiche Betten frei. „Im Schnitt gibt es | |
| pro Nacht etwa 220 freie Schlafplätze. Wir hoffen, dass noch mehr Menschen | |
| das Angebot wahrnehmen“, sagte Regina Kneiding, Sprecherin der | |
| Sozialverwaltung. | |
| Mit einer Schweigeminute will ein Bündnis heute um 17 Uhr am Roten Rathaus | |
| der verstorbenen Obdachlosen wie dem Mann aus dem Humboldthain gedenken. | |
| Eine Mahnwache ist ebenfalls geplant: Wohnungslose fordern, dass das Recht | |
| auf Wohnen im Grundgesetz verankert wird. Auch die Räumung des Camps nahe | |
| dem Hauptbahnhof soll Thema sein. | |
| 23 Jan 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Antje Lang-Lendorff | |
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| Florian Schmidt | |
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