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# taz.de -- Prüfung durch den Verfassungsschutz: In welche Richtung kippt die …
> Für den Verfassungsschutz ist die AfD ein Prüffall. Die Partei weiß
> nicht, wie sie mit Rechtsradikalen umgehen soll.
Bild: Zeigt keine Hitlergrüße, ist von ihnen aber auch nicht beeindruckt: Bj�…
Zeulenroda/Berlin taz | Björn Höcke gibt sich entspannt. Die Haare
gescheitelt, der obere Hemdknopf offen, das Mikro am Kopf befestigt, steht
er am Donnerstagabend im Goldenen Löwen im thüringischen
Zeulenroda-Triebes. Er wirkt wie ein Lifecoach. Wortgewandt springt er
binnen weniger Minuten von Geflüchteten, die den Steuerzahler so viel Geld
kosten, zum „Krieg gegen den Diesel“, zum „Ja zum deutschen Kind“, zum
„sogenannten Klimawandel“.
Es ist das, was die Zuhörer im Löwensaal hören wollen. 150 Menschen sind zu
Höckes „Bürgergespräch“ gekommen, vor allem Männer über 50, vereinzelt
sieht man kahl rasierte Köpfe. Ein paar bunte Girlanden hängen von den
Holzbalkonen des Saales. Die Barbedienung trägt AfD-blaue Weste, den
Männern serviert sie Bier, den Frauen Saft oder Wein. Immer wieder
klatschen sie für ihren Höcke. Ein alter Mann mit Hosenträgern reckt, fast
reflexartig, seinen rechten Arm zum Hitlergruß. Niemand reagiert darauf –
auch Höcke nicht.
Höcke liefert die Schlagwörter: Steuerzahler, Geflüchtete, illegale
Migration, Familie, „Kartellparteien“ – es ist alles dabei. Nur ein Thema
spart der Thüringer aus: die Beobachtung der AfD durch den
Verfassungsschutz.
Dabei ist es Höckes erster öffentlicher Auftritt nach dem großen Schlag. Am
Dienstag hatte der neue Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang Höckes
[1][AfD offiziell zum Prüffall für sein Amt erklärt]. Man werde die
Gesamtpartei nun einer „systematischen“ Prüfung unterziehen und dafür
öffentliche Quellen auswerten.
Härter noch stufte der Verfassungsschutz die AfD-Jugend „Junge Alternative“
ein: als Verdachtsfall. Ab sofort könnte der Verfassungsschutz auch V-Leute
einsetzen und die Kommunikation überwachen. Gleiches traf auch den
„Flügel“, das weit rechte Sammelbecken der AfD. Höckes „Flügel“.
## In der AfD herrscht seit Dienstag Nervosität
Der Thüringer AfD-Chef ist unangefochtener Anführer der Rechtsradikalen in
der Partei. Und nun ist Höcke ein Problem. Denn der Verfassungsschutz
zitiert niemanden öfter in seinem internen Prüfgutachten als den
46-Jährigen. Eine „herausragende“ Bedeutung habe Höcke im „Flügel“ i…
Und die Gruppe mache Migranten „verächtlich“, wolle diese „weitgehend
rechtlos stellen“, drohe Muslimen mit Massenabschiebungen, schreibe
politischen Gegnern eine „Geisteskrankheit“ zu, relativiere den
Nationalsozialismus, rede einen gewaltsamen Umsturz herbei.
Nun aber steht Höcke im „Goldenen Löwen“ und sagt, als nach anderthalb
Stunden einer aus dem Publikum nach dem Verfassungsschutz fragt: „Ich
verspreche Ihnen, wir werden nicht gehen.“
Parteichef Alexander Gauland sagt, die Entscheidungen des
Verfassungsschutzes seien falsch, dessen Argumente „töricht“. Die AfD werde
dagegen klagen – und weiter mit dem „Flügel“ und der Jungen Alternative
zusammenarbeiten.
Aber so klar ist die Sache nicht. Denn in der AfD herrscht seit Dienstag
Nervosität. Erstmals steht die Partei nun unter offiziellem, staatlichem
Rechtsextremismusverdacht, rückt gefährlich nah an Schmuddelparteien wie
die NPD heran. Spenden könnten einbrechen und Beamte, die Mitglieder sind,
in die Bredouille geraten, weil sie zur Verfassungstreue verpflichtet sind.
Was also soll die AfD tun? Unbeirrt ihren Weg fortsetzen, der zuletzt
stetig nach rechts führte? Oder sich mäßigen, von ihren Rechtsnationalen um
den „Flügel“ distanzieren, um doch noch einer finalen Beobachtung des
Verfassungsschutzes zu entkommen?
Die AfD steht vor einer Zerreißprobe – und einem neuen Richtungsstreit.
## Keine Tränen für Höcke
Am Mittwochabend trifft sich die Fraktion im Bundestag, an hohen Tischen im
schicken Abgeordnetenrestaurant, im Hintergrund spielt eine kleine Kapelle.
Die Fraktion hat zum Medienempfang geladen. AfD-Abgeordnete sind gekommen,
Fraktionschef Alexander Gauland, Gäste aus den Landesverbänden, zahlreiche
JournalistInnen. Auch Björn Höcke ist da. Sollte er nervös sein, merkt man
es ihm auch hier nicht an. „Mir tun die Beamten jetzt schon leid, die ihre
Zeit damit totschlagen müssen, nach Dingen zu suchen, die es nicht gibt“,
hatte er zuvor getwittert.
Namentlich zitieren darf man von dem Empfang nicht, so ist die
Vereinbarung. An den Stehtischen aber gibt es vor allem ein Thema: den
Verfassungsschutz. Anwesende „Flügel“-Anhänger geben sich selbstbewusst.
„Wir müssen nichts ändern“, heißt es dort. Einige der Rechtsaußen, auch
Höcke, tragen das blau-weiß-rote Emblem des „Flügels“ am Revers.
Im „Golden Löwen“ nennt Höcke tags darauf die Verfassungsschutz-Beobachtu…
zumindest unangenehm. Man versuche die Partei mundtot zu machen, klagt
Höcke. „Wenn ich höre, dass die Verwendung des Begriffes Volk schon
völkisches Denken signalisiert, und das ist verfassungsfeindlich – dann
muss ich mir die Frage stellen, ob ich noch in einem demokratischen
Rechtsstaat lebe.“ Aber Höcke spielt auch mit der neuen Situation. Ob denn
schon jemand vom Dienst hier sitze, witzelt er in den Saal. Die Menge
lacht.
Es gibt aber auch andere Stimmen in der AfD. Die von Georg Pazderski etwa,
Berliner Landeschef und Vize-Vorsitzender der Bundespartei, einer der
Moderateren. Die Beobachtung des „Flügels“ und der JA durch den
Verfassungsschutz sei „ein deutlicher Auftrag an die Betroffenen zu
handeln“, sagt der. Selbstverständlich stehe die AfD auf dem Boden der
Verfassung. „Wer diese Position nicht mitträgt, ist bei uns falsch. Das
muss deutlich werden.“
Andere schließen sich an, vor allem die „Alternative Mitte“, die ein
Gegengewicht zum „Flügel“ in der AfD sein will. Der „Flügel“ und die …
bräuchten einen „Selbstreinigungsprozess, der alles nicht
verfassungskonforme Gedankengut entfernt“, sagt ihr Sprecher Uwe Witt, auch
er Bundestagsabgeordneter. Beide Gruppierungen müssten sich „von bestimmten
Leuten trennen“. Wen er damit meint, sagt Witt nicht. Man darf aber
vermuten: Höcke würde er wohl keine Träne nachweinen.
Nur: Die „Alternative Mitte“ ist relativ machtlos in der AfD. Der „Flüge…
ist es nicht.
## „Höcke hatte recht“-Taschen zu kaufen
Es ist der März 2015, der die Geburtsstunde des „Flügels“ markiert. Damals
veröffentlicht Höcke die „Erfurter Resolution“, zusammen noch mit André
Poggenburg. Die Resolution ist ein Manifest gegen den damaligen Parteichef
Bernd Lucke. Es müsse Schluss sein mit dem „vorauseilenden Gehorsam“, hei�…
es darin. Die AfD müsse eine „Widerstandsbewegung“ sein, „im vollen Eins…
für eine grundsätzliche politische Wende“. Mehr als 1.000 Parteimitglieder
hätten unterzeichnet, jubelt der „Flügel“ schon nach wenigen Tagen. Und
Lucke verlässt tatsächlich die Partei.
Bis heute ist Höcke die Leitfigur des „Flügels“. Der frühere
Gymnasiallehrer, der schon 2010 mit Neonazis in Dresden demonstrierte und
mit neurechten Vordenkern verbandelt ist, verfasst die Kernbotschaften der
„Sammlungsbewegung“, er füllt die Hallen und Plätze. Beim „Flügel“
verkaufen sie Taschen und T-Shirts mit seinem Konterfei. „Höcke hatte
recht“, steht darauf. Tatsächlich überstand der Thüringer den Versuch, ihn
aus der Partei auszuschließen – obwohl ihm der frühere Bundesvorstand eine
„übergroße Nähe zum Nationalsozialismus“ bescheinigt hatte. Und Höcke b…
die Machtbasis des „Flügels“ immer weiter aus. Bis zu ein Drittel der
30.000 AfD-Mitglieder werden dem Sammelbecken heute zugerechnet, so eine
parteiinterne Schätzung.
Der Fall der „Jungen Alternative“ ist anders. Auch über diese fällt der
Verfassungsschutz nun ein vernichtendes Urteil. Den Verband kennzeichne
eine „klare migrations- und muslimfeindliche Haltung“. Es werde von
„Messer-Migration“ geredet, von „Dreckskulturen“, von Geflüchteten, die
Deutschland zum „Freiluftbordell“ machten. Das Problem hatte die AfD auch
schon selbst erkannt, auch weil der Verfassungsschutz in drei Bundesländern
bereits die Beobachtung der JA aufnahm. Der Bundesvorstand kritisierte
darauf „menschenverachtende“ Äußerungen in seinem Jugendverband und
diskutierte, ob dieser in Gänze aufzulösen sei. Beim niedersächsischen
Landesverband ist dies bereits vollzogen.
Der „Flügel“ aber lässt sich nicht so einfach auflösen. Seine Struktur i…
unklar, eindeutige Mitgliedschaften gibt es nicht. Gemeinhin gilt als
Mitglied, wer die Erfurter Resolution unterschrieben hat. Doch das trifft
nicht immer zu.
Neben Höcke ist es Andreas Kalbitz, der dort den Ton angibt,
AfD-Vorsitzender in Brandenburg und Teil des AfD-Bundesvorstands. Der
Glatzkopf, ein früherer Zeitsoldat, hat eine einschlägige Vita. In den
Neunzigern war er bei den Republikanern. 2007 ist er auf Fotos eines
Zeltlagers der inzwischen verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend zu
sehen, die Kinder zur nationalsozialistischen Elite heranziehen wollte. Bis
2015 war er Vorsitzender eines rechtsextremen Vereins. Kalbitz gilt als
kluger und gewitzter Strippenzieher. Er gilt heute schon als
einflussreicher als Höcke. Irgendwann will er Gauland als AfD-Vorsitzenden
beerben.
Kürzlich nun wurden die „Flügel“-Anführer Kalbitz und Höcke zu
Spitzenkandidaten ihrer Partei für die Landtagswahlen im Herbst gewählt.
Auch AfD-Chef Gauland unterzeichnete die Erfurter Resolution, trat auf
„Flügel“-Treffen auf, hielt immer wieder seine Hand über Höcke. Zahlreic…
Bundestagsabgeordnete gehören der Truppe an. Andere, wie die
Landtagsabgeordneten Thorsten Weiß und Hans-Thomas Tillschneider, stehen
auf der Europaliste der AfD. Die „Flügel“-Leute sind keine radikalen
Randfiguren der AfD mehr. Sind sind Teil des Spitzenpersonals. Es geht
jetzt also nicht um eine Distanzierung vom rechten Rand. Es geht um den
Kurs der gesamten Partei.
## „Sicherheitsabstand“ zu extrem rechten Gruppen?
Der Verfassungsschutz hatte sich diesen zuletzt monatelang angeschaut. Eine
17-köpfige Arbeitsgruppe hatte Material über die AfD ausgewertet, 1.069
Seiten, zumeist geliefert von den Landesämtern. Parteiprogramme, 182 Reden,
80 Facebookprofile von Funktionären. Am Ende stand ein 442-seitiges
vertrauliches Gutachten, das der taz vorliegt. Die Parteiprogramme der AfD
seien verfassungskonform, heißt es dort. Immer wieder aber gebe es
Äußerungen, „die mit der Garantie der Menschenwürde unvereinbar sind“. N…
sei zu prüfen, ob diese repräsentativ für die Partei seien, die AfD sei ja
groß und heterogen. Beim „Flügel“ aber sei das Programm klar: Es stehe f�…
„Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von
Ausländern, Migranten, insbesondere Muslime, und politisch
Andersdenkenden“.
Im Grunde, sagten die Verfassungsschützer, habe man der AfD einen Gefallen
getan. Noch habe man die Partei ja nicht als extremistisch deklariert. Und
nun könne sie nachweisen, dass sie das nicht sei.
Die AfD selbst hatte das zuletzt probiert, zumindest Teile von ihr. Der
Bundesvorstand hatte eine Arbeitsgruppe eingesetzt, angeführt vom
Fraktionsvize im Bundestag Roland Hartwig, einst Chef-Justiziar bei Bayer.
Die Truppe sollte eigentlich eine Beobachtung des Verfassungsschutz
verhindern. Sie empfahl rascher verhängte Sanktionen gegen problematische
Mitglieder, einen „Sicherheitsabstand“ zu extrem rechten Gruppen, außerdem
kommunikative Zurückhaltung. Es reichte nicht.
Höcke indes kommentierte die Kommission als „politische Bettnässerei“. Au…
nun, nach dem Diktum des Verfassungsschutzes, hört man im „Flügel“ nur se…
vereinzelt nachdenkliche Stimmen. Es sei an der Zeit, rhetorisch etwas
abzurüsten und sich manchmal lieber etwas weniger pointiert und dafür
differenzierter zu äußern, sagt diese Woche ein „Flügel“-Mann. Doch das …
schwer, weil die Anhänger genau diese Zuspitzung erwarten würden.
## Höckes Name fällt im Gutachten mehr als 600 Mal
Tatsächlich verhielt sich Höcke zuletzt öffentlich so ruhig wie lange
nicht. Zuvor war er im Frühjahr noch bei Pegida in Dresden aufgetreten –
das viele selbst als Fall für den Verfassungsschutz sehen. Später
marschierte er mit Kalbitz und anderen AfD-Größen zusammen mit Neonazis
durch Chemnitz. Zwischendrin lud Höcke auf Schloss Burgscheidungen in
Sachsen-Anhalt zum „Kyffhäusertreffen“, der zentralen Versammlung des
„Flügels“. Hunderte Anhänger kamen. Und Höcke heizte ein, vor einer
riesigen Deutschlandfahne. Die Zeit „des Hinnehmens“, die „Schafszeit“,…
vorbei. „Das Alte und Morsche zerfällt.“ Nun sei Ungehorsam nötig, gegen
das „Unrecht“. Das „Flügel“-Publikum johlte, skandierte „Widerstand,
Widerstand“. Dann wurde es stiller um Höcke.
Intern aber hielt Höcke den „Flügel“ weiter auf Kurs. Schon im Dezember
warnte er in einer „Weihnachtsbotschaft“ vor der „Verfassungsschutzkeule�…
dem nächsten Schlag des „alten Machtkartells“. Zusammenhalt in der AfD sei
nun „so wichtig wie nie“. Es dürfe „keine inhaltlichen Zugeständnisse“
geben.
Nun sind Höckes Reden Belege, die Verfassungsschutzchef Haldenwang für die
verfassungsfeindlichen Bestrebungen des „Flügels“ anführt. Im internen
Gutachten seines Amtes fällt mehr als 600 Mal Höckes Name, 65-mal auch der
von Kalbitz. Höckes „Ideologiegebäude“ sei „in relevantem Maße von
rechtsextremistischen Motiven geleitet“, heißt es dort. Er verfolge ein
„völkisches Gesellschaftsbild“, Geflüchteten begegne er mit „pauschaler
Abwertung“, die Menschenwürde von Muslimen stelle er „eindeutig in Frage�…
Und Kalbitz „verleiht den Forderungen Höckes Nachdruck“. Auch AfD-Chef
Gauland wird im Gutachten breit zitiert. Als die Verfassungsschützer das
Gutachten am Dienstag mit einem Pressegespräch in Berlin vorstellen, fallen
indes nur drei Namen. Höcke, Kalbitz, Tillschneider. Drei „Flügel“-Köpfe.
Höcke nennt das Gutachten auf Nachfrage „einen Skandal“. Es sei die AfD,
die „diesen Staat und seine Verfassung erhalten wolle“. Die AfD verletze
die Menschenwürde? „Teil der Menschenwürde ist auch das Recht auf Heimat“,
sagt Höcke. „Und Heimat verliert man auch dadurch, dass man zur Minderheit
im eigenen Land wird.“ Der Thüringer spricht von einer Gretchenfrage, die
nun gelte: „Bist du für Deutschland oder gegen Deutschland?“ Die aktuelle
Lage passt in Höckes Inszenierung: als Märtyrer für das deutsche Volk. Als
„Staatsfeind Nummer 1“, wie er selbst sagt.
Auch Kalbitz gibt sich unnachgiebig. „Verändern müssen wir gar nichts“,
sagt er dieser Tage über den „Flügel“. „Da, wo es nötig war, haben wir
bereits Konsequenzen gezogen. Die, die nicht tolerierbar sind, müssen
gehen.“ Er selbst müsse sich nicht ändern, sagt er. „Mein Verhalten war
gestern genauso verfassungskonform wie heute und morgen.“ Die Entscheidung
des Verfassungsschutzes tut Kalbitz als politisch motiviert ab – wie die
gesamte Parteiführung. Sie werde der AfD bei den Wahlen im Osten nicht
besonders schaden, ist er überzeugt. „Dass der Staat den Geheimdienst
vorschickt, wenn er mit Argumenten nicht mehr weiter weiß, das hatten wir
hier schon mal“, so Kalbitz. „So empfinden es sehr viele Menschen.“
## Die AfD glaubt nicht an eine fachliche Entscheidung
Dass Verfassungsschutzchef Haldenwang sagt, er habe sein Prüfergebnis „ohne
jeden politischen Druck“ gefällt, dass auch CSU-Innenminister Horst
Seehofer von einer rein fachlichen Entscheidung spricht, ficht die AfD
nicht an. Es wird dort schlicht nicht geglaubt.
Und die AfD glaubt, dass die WählerInnen im Osten es auch nicht glauben
werden: Die Partei setzt hier auf einen Opferbonus in der Rolle der
unbequemen, vom Staat verfolgten Opposition. Im Westen aber könnten ihr
durchaus einige WählerInnen verloren gehen. Dort sei in konservativen
Kreisen das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden recht ausgeprägt.
Parteichef Gauland sorgt sich vor allem um eine Klientel: „Langfristig
mache ich mir schon Sorgen, dass wir die Beamten verlieren.“
Die West-Verbände könnten nun versuchen, Druck auf die AfD im Osten zu
auszuüben, gemäßigter vorzugehen, auch auf Höcke und Kalbitz. „Die Wessis
halten die Ossis für zu radikal, die Ossis die Wessis für Waschlappen“,
sagt ein AfD-Funktionär aus dem Osten. Kalbitz spricht von „einzelnen
Hysterikern und Hasenfüßen“, die es immer gebe. Einer, der wohl wahlweise
unter die Waschlappen oder die Hasenfüße fällt, hätte nichts gegen ein
kurzzeitigen Einbruch der AfD-Umfragewerte: „Das würde parteiinternen Druck
entfalten.“ Kalbitz hält dagegen: „Versuche, die Partei zu spalten, werden
nach hinten losgehen.“
An die Eintracht halten sich indes auch nicht alle „Flügel“-Mitstreiter. So
fordert Thomas Röckemann, AfD-Landeschef aus Nordrhein-Westfalen, am
Donnerstag den Rauswurf einiger „Flügel“-Kritiker. Einer davon: Uwe Witt,
der Sprecher der „Alternativen Mitte“.
Unter der Überschrift „Spalter raus“ schreibt Röckemann auf Facebook: „…
derartig mit dem Finger auf andere zeigt, spielt dem Verfassungsschutz in
die Hände. Diese Erfüllungsgehilfen brauchen wir gewiss nicht in der AfD!“
Erst kürzlich erklärte Kalbitz, dass die Brandenburger AfD künftig regieren
wolle. Auch in Sachsen ist das ihr Ziel. Nun aber, unter offiziellem
Extremismusverdacht, kann sich die AfD Koalitionen abschminken.
Am Montag wird der AfD-Bundesvorstand zu einer Schaltkonferenz
zusammenkommen, um sich über das weitere Vorgehen zu beraten. Am Freitag
folgt eine längere Sitzung in Berlin. Parteichef Gauland aber stellt sich
schon jetzt vor Höcke, Kalbitz und die „Flügel“-Leute auf der Europaliste:
„Weder was die Spitzenkandidaten für die Landtagswahlen noch was die
Europaliste angeht, wird die Entscheidung des Verfassungsschutzes
irgendwelche Konsequenzen haben.“
## AfD wird zwei Jahre geprüft
Also bleibt die AfD auf ihrem Rechtskurs? Der Verfassungsschutz wird das
nun genau beobachten. Noch am Dienstag erklärte der sächsische
Verfassungsschutz, er werde der Einschätzung des Bundesamts folgen, andere
Landesämter schlossen sich an. Einige klagten zwar, nicht vorab vom
Bundesamt informiert worden zu sein, inhaltlichen Widerspruch aber gibt es
nicht. Im Gegenteil: Thüringen hatte die AfD zuvor schon als „Prüffall“
eingestuft. Niedersachsen, Bremen und Baden-Württemberg die Junge
Alternative unter Beobachtung genommen.
Schon am Mittwoch wird sich Haldenwang mit den Länderchefs im Bundesamt in
Köln zusammensetzen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Zwei Jahre lang
will er die Partei prüfen, so hört man. Für den „Flügel“ und die Junge
Alternative könnte der Verfassungsschutz nun sein volles Arsenal nutzen:
V-Leute, Handyüberwachung, E-Mails mitlesen. Im Amt wird aber betont, diese
schweren Eingriffe blieben vorerst nur „theoretischer Natur“.
Dennoch: Ab jetzt wird in den Ämtern alles über die AfD systematisch
dokumentiert. Jede Rede, jeder verfängliche Facebook-Post, auch interne
Dokumente. Geschaut wird auch: Wie agiert die Partei mit Rechtsextremen wie
den Identitären oder Pro Chemnitz? Und die Verfassungsschützer können zu
den Führungsfiguren des „Flügels“ und der JA nun Akten anlegen und sie in
ihren Personenregistern abspeichern. Höckes Vorgehen werde man dabei „in
besonderer Weise erfassen und auswerten“, erklärt Haldenwang.
Hier aber beginnt ein Problem: Wer, so grübeln die Geheimdienstler, gehört
eigentlich zum „Flügel“? Auch dort wird sich auf die Unterzeichner der
„Erfurter Resolution“ bezogen, auf die Teilnehmer an den
Kyffhäuser-Treffen. Präsident Haldenwang erklärte am Mittwoch im
Innenausschuss des Bundestags, es spreche auch einiges dafür, dass AfD-Chef
Gauland zum „Flügel“ gehöre.
Das zweite Problem: Höcke, Kalbitz, Gauland – fast alle „Flügel“-Köpfe…
auch Abgeordnete. Und hier gelten hohe Hürden für eine Beobachtung – wie
der Linke Bodo Ramelow 2013 mit einer erfolgreichen Klage gegen
Verfassungsschutz klarstellte. Von einem „hochgradigen Politikum“, spricht
auch ein Verfassungsschützer. „Wir müssen jetzt ganz streng rechtlich
arbeiten.“
## Der „Flügel“ ist unbeeindruckt
In der AfD setzen jetzt viele darauf, dass ihre Klage erfolgreich wird. Die
allerdings könnte auch zum Bumerang werden: Dann nämlich, wenn Gerichte
bestätigen, dass die AfD tatsächlich extremistisch auftritt.
„Außerordentlich gelassen“ sehe man dem entgegen, heißt es im
Verfassungsschutz. Es sei die Pflicht seines Amtes, als „Frühwarnsystem“
auf extremistische Bestrebungen hinzuweisen, sagt Haldenwang. Das tue man
nun.
Der „Flügel“ lässt sich davon bisher nicht beeindruckt. Bereits für
Mittwoch lädt er zur nächsten Zusammenkunft, zum „Sachsentreffen“. Wieder
mit dabei: Höcke und Kalbitz. Man werde regionale Veranstaltungen in diesem
Jahr noch ausweiten, kündigt Höcke an. Im Frühsommer solle es ein „noch
größeres“ Kyffhäuser-Fest geben. Und im Herbst dann könnte die AfD in
Brandenburg und Sachsen, vielleicht auch in Thüringen, stärkste Kraft
werden. Mit zumindest zwei „Flügel“-Männern an der Spitze.
19 Jan 2019
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[1] /AfD-im-Blick-des-Verfassungsschutzes/!5565986
## AUTOREN
Konrad Litschko
Sabine am Orde
Sarah Ulrich
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