# taz.de -- Kameraüberwachung am Bremer Bahnhof: Verdrängt durch Glotzen | |
> Nach der Verlagerung der Kriminalität durch Videoüberwachung braucht die | |
> Polizei noch mehr Kameras im Umfeld des Hauptbahnhofs. | |
Bild: Neue Überwachungsmaßnahme in der Bahnhofsstraße: Einsatzwagen mit Kame… | |
Bremen taz | Das überwachungskritische Bündnis Brementrojaner kritisiert | |
den Ausbau von Kameraüberwachung am und im Hauptbahnhof. Maike | |
Schmidt-Grabia, Sprecherin des Zusammenschlusses verschiedener | |
gesellschaftlicher Gruppen, sagte der taz: „Überwachung löst keine Ursachen | |
von Kriminalität, sondern verlagert diese nur.“ Negativer Nebeneffekt sei | |
zudem die Veränderung des Sozialraumes am Hauptbahnhof. „Videoüberwachung | |
bringt immer normiertes Verhalten vor.“ | |
Wenn eine sich dort treffende Gruppe von People of Colour nun überwacht und | |
infolgedessen regelmäßig gefragt werde, was sie dort mache, und | |
kontrolliert würde, träfen sie sich beim nächsten Mal lieber woanders, so | |
Schmidt-Grabia. „Technik soll Mittel zum Zweck sein und unser Leben | |
vereinfachen – hier führt sie eher dazu, dass sich Rassismus verstärkt.“ | |
Vergangenen Mittwoch hat die Polizei schon wieder eine neue | |
Überwachungsmaßnahme in der Bahnhofsstraße vorgestellt: Ein Polizeifahrzeug | |
mit Kameraturm soll „den sich dort entwickelnden offenen Drogenhandel“ | |
eindämmen. | |
Die Drogendealerei hat sich vom bereits komplett überwachten Hauptbahnhof | |
offenbar in das Umfeld verlagert. Dafür sorgen seit November 2017 im | |
Bahnhof knapp 90 neue Kameras, vergangenen [1][Juli kamen noch mal mehrere | |
Dutzend Kameras] und mobile Einsatzteams der Polizei mit Bodycams auf dem | |
Bahnhofsvorplatz dazu. Acht Personen wachen rund um die Uhr vor | |
Bildschirmen. Die Technik dafür kostet laut Behörde 1,86 Millionen Euro, | |
der Betrieb noch mal Personalkosten von jährlich circa 400.000 Euro. | |
## Dunkle Scheiben, provisorisches Poster | |
Es handelt sich um einen mit einem provisorischen Poster „Mobile | |
Videoüberwachung“ beklebten Einsatzwagen, der seit 2009 etwa bei | |
Fußballspielen in Gebrauch ist, wie ein Polizist vor Ort erzählt. Der Wagen | |
mit den verdunkelten Scheiben parkt an der von Straßenbahnen befahrenen | |
Bahnhofstraße gegenüber einer Würstchenbude. | |
Gerichtet ist der Kameraturm auf dem Dach gerade auf eine Szene auf der | |
gegenüberliegenden Straßenseite. Und was dort passiert, bestätigt | |
buchstäblich genau das, was Schmidt-Grabia von Brementrojaner kritisiert: | |
Dort filzen gerade drei Polizist*innen vier nichtweiße Jugendliche am | |
Stehtisch der Würstchenbude. Was sie verbrochen haben, ist unklar – gefilmt | |
werden sie dabei trotzdem. | |
Den Grund für die Personenkontrolle will die Polizei vor Ort nicht | |
verraten. „Es handelt sich um Interna der Polizei“, sagt ein großer | |
Polizist, der eindringlich deutlich macht, keine weiteren Fragen dazu | |
beantworten zu wollen. Die Jugendlichen sind geschätzt zwischen 16 und 19 | |
Jahre alt, müssen ihre Ausweise vorzeigen, sämtliche Taschen leer räumen | |
und werden in einer längeren Maßnahme sorgsam abgetastet. Ihnen ist es | |
sichtlich unangenehm. Als sie gehen dürfen – verbrochen haben sie offenbar | |
nichts –, ziehen sie schnell von dannen. | |
## Anlaufstelle für Wohnungslose | |
Wohl auch hinsichtlich des im Mai anstehenden Bürgerschaftswahlkampfes hat | |
Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) eine Reihe von Maßnahmen vorgestellt, um | |
Drogenabhängige, Obdachlose und Dealer vom Bahnhof zu vertreiben. Zwar soll | |
auch eine Anlaufstelle für Wohnungslose und Süchtige bei der Inneren | |
Mission geschaffen werden – die aber existiert laut der Inneren Mission | |
frühestens im Januar –, verscheucht wurden die Obdachlosen aber dennoch | |
schon mal ([2][taz berichtete]). | |
Schmidt-Grabia vom Bündnis Brementrojaner hält die Videoüberwachung nicht | |
nur für teuer, sondern auch für ineffektiv, weil Kriminelle sich darauf | |
einstellten und halt woanders dealten. Zudem könne sie spontane | |
Kriminalität wie Schlägereien nicht verhindern. | |
Ob eine tatsächlich bessere Aufklärung nach Straftaten Kosten in | |
Millionenhöhe rechtfertigten, ist aus Sicht von Schmidt-Grabia fraglich. | |
Sie glaubt eher, dass die Maßnahmen zum einen mit der Eröffnung des | |
City-Gate-Centers, dem millionenteuren Gewerbeprojekt am Bahnhof, zum | |
anderen eben mit dem Wahlkampf zusammenhängen. | |
## Nachtsicht und Zoom | |
Die Innenbehörde hält den Ausbau der Überwachung weiter für sinnvoll – | |
aufgrund der technischen Möglichkeiten wie Nachtsicht und Zoom habe man mit | |
Kameras sogar bessere Möglichkeiten, Gefahren zu erkennen, als mit mehr | |
Polizist*innen auf Streife. | |
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei zudem nur teilweise | |
eingeschränkt – die Kameraüberwachung sei ja deutlich gekennzeichnet. So | |
„besteht die Möglichkeit, diese Bereiche zu erkennen und sich insoweit hier | |
nicht oder nur kurz aufzuhalten“, so der Leiter des Senatorenbüros, Nikolai | |
Roth, auf Nachfrage. Die Polizei greife in keinen besonders | |
schutzbedürftigen Bereich der Privat- oder Intimsphäre ein. | |
In Bremen hatte die Linke den Ausbau der Überwachungsmaßnahmen unter | |
anderem als „Wahlkampfplacebo“ kritisiert. Es fehle eine Evaluation | |
darüber, ob bestehende Überwachung überhaupt etwas brächte. In anderen | |
Städten hätte sich gezeigt, dass mehr Kameras Kriminalität nicht gemildert | |
hätten. Auch die FDP forderte eine Evaluation. | |
15 Oct 2018 | |
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## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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