# taz.de -- Überwachung im öffentlichen Raum: Posse um Polizeikameras | |
> In Hannover geht der Streit um Überwachungskameras weiter. Die Polizei | |
> bringt neue Hinweisschilder an – auch dort, wo es gar keine Kameras gibt. | |
Bild: Weit über der Stadt lugt die Kamera auf ihre Bewohnerinnen | |
HANNOVER taz | Mitten auf dem Lister Platz in Hannover, am Ende der | |
Einkaufs- und Bummelstraße Lister Meile, steht eine etwa sieben Meter hohe | |
Betonsäule. Weit über den Köpfen der Passant*innen und | |
Autofahrer*innen ist eine schwenk- und zoombare Überwachungskamera | |
montiert. Ihr Blick richtet sich am Sonntagvormittag auf eine Häuserfront | |
und mutmaßlich auch auf den Gehsteig davor. | |
Ob die Kamera läuft oder nicht, ist nicht zu erkennen. Bewegt hat sie sich | |
in der letzten Woche nicht. Schilder, die auf eine Videoüberwachung | |
hinweisen, gibt es am Lister Platz keine. Lediglich in den Nebenstraßen | |
finden sich einige zerkratzte Sticker. | |
Seit einem Jahrzehnt streitet der Blogger und Persönlichkeitsrechtler | |
Michael Ebeling nun mit der Polizeidirektion Hannover über die | |
[1][Videoüberwachung der Stadt]. 2016 klagte er gegen 78 Polizeikameras. | |
Das Verwaltungsgericht urteilte und die Polizeidirektion musste 56 der | |
Apparate abschalten. Sie ging in Berufung, acht der Kameras wollte sie | |
weiter betreiben. | |
Im Oktober vergangenen Jahres urteilte das Oberverwaltungsgericht auf der | |
Grundlage des neuen Polizeiordnungsgesetzes, dass auch von diesen acht | |
Kameras fünf deaktiviert werden müssen. Darunter ist auch die Kamera am | |
Lister Platz. Denn eine der Rechtsgrundlagen für den Einsatz von | |
Videoüberwachung im öffentlichen Raum war nicht gegeben: eine Statistik | |
nach Paragraf 32, Abs. 3, Satz 1, Nr. 2 NPOG. | |
## Kamera zwangsweise stillgelegt | |
Der Pressesprecher der Polizei Hannover, Michael Bertram, schreibt auf | |
Anfrage der taz, dass nach dem Urteil sofort reagiert worden sei. Seit dem | |
9. Oktober 2020, drei Tage nach der Urteilsverkündung, sei die Kamera am | |
Lister Platz vollständig von der Üstra als Videonetzverantwortliche | |
abgeschaltet worden – und von der Polizei damit nicht mehr nutz- und | |
steuerbar. | |
Für Passant*innen ist das auf den ersten Blick aber nicht ersichtlich. | |
Weggeschwenkt oder verdeckt sind die Kameras nicht. Für Michael Ebeling ist | |
deswegen nur ein Teilsieg errungen. Allein durch die Präsenz wirkten die | |
Kameras, sagt er der taz. Dafür sei der tatsächliche Betrieb unerheblich: | |
„Schlussfolgerlich müssen die Kameras weg.“ | |
Viele Jahre lang habe die Polizei Hannover diese rechtswidrig betrieben. | |
Die dafür Zuständigen bei der Polizeidirektion wechselten und manchmal habe | |
er den Eindruck, dass er der einzige sei, der beständig am Thema | |
dranbleibe. „Ich kann nicht feststellen, dass der | |
persönlichkeits-rechtskonforme Umgang mit den Kameras ein Herzensanliegen | |
ist.“ | |
Das zeigt sich unter anderem bei der Beschilderung. Mit der neuen | |
Datenschutzgrundverordnung wurde 2018 die Kennzeichnungspflicht | |
kameraüberwachter Bereiche im öffentlichen Raum ausgeweitet. Die korrekte | |
Beschilderung der Videoüberwachung war ebenfalls Gegenstand des letzten | |
Urteils des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg. Die Polizeidirektion brachte | |
bisher Aufkleber an Laternen an, die auf die Überwachung hinweisen sollten | |
– aus Kostengründen. | |
In der Straße Lange Laune am Steintor finden sich noch solche Sticker. Die | |
meisten Passant*innen dürften diese aber übersehen: Der Text auf den | |
Stickern ist von keiner Seite der Pfosten gänzlich zu lesen. “berwach“ | |
steht dort für flüchtige Betracher*innen. Auch das war Gegenstand der Klage | |
von Ebeling und nach neuer Rechtsprechung reichen die unleserlichen | |
Aufkleberhinweise nicht aus. | |
„An Stellen, zu denen das Gericht Hinweise hinsichtlich der Überarbeitung | |
von Beschilderungen gegeben hat, läuft derzeit eine Nachbesserung“, sagt | |
die Polizei Hannover. Alu-Schilder sollen her. Es geht um mehrere Hundert, | |
deren Austausch einen erheblichen logistischen Aufwand bedeute und noch | |
andauere. | |
Nun nimmt die vor zehn Jahren begonnene Geschichte eine neue absurde | |
Wendung. Seit Neuestem gibt es laut Ebeling zwei Orte in der Innenstadt | |
[2][Hannovers], die mittels neuer Beschilderung als polizeilich | |
videoüberwacht gekennzeichnet worden sind – obwohl sie das gar nicht sind. | |
Damit entsteht der Eindruck von konstanter Überwachung, obwohl das nicht | |
der Fall ist. „Dass die Schilder in der Innenstadt dort waren, wo sich | |
keine Polizeikameras befinden, das ist Fakt.“ Ebeling kann dies mit Bildern | |
belegen. | |
## Demnächst vor Gericht | |
Auf die Vorwürfe antwortet die Polizeidirektion Hannover wiederum, dass | |
derzeit Genaueres geklärt werde. Nach einer ersten Prüfung sei die Behörde | |
der Meinung, die Vorwürfe seien nicht richtig. „Demzufolge erfolgt der | |
Einsatz der Videoüberwachung im Zuständigkeitsbereich Hannover rechtmäßig.�… | |
Michael Ebeling sieht das anders und will nicht aufgeben. Das nächste | |
Kapitel der Kameraposse aus Hannover bahnt sich vor Gericht an. „Solange | |
Menschen der Polizei auf die Finger schauen, gehen die mit Kameras | |
grundsätzlich anders und vorsichtiger um“, sagt Ebeling. Das heiße | |
zugleich, dass die Wachsamkeit aller nicht nachlassen dürfe. | |
2 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Prozess-gegen-Kameraueberwachung/!5655981 | |
[2] http://www.hannover.de/ | |
## AUTOREN | |
Michael Trammer | |
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